Fall des Monats September 2015

Alarmierung des NEF gegen 22:00 Uhr:

Notfallmeldung durch einen Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes

Atemnot bei einem älteren Patienten mit Tracheostoma

Eintreffen des Notarztes am Einsatzort. Wohnung in der ersten Etage eines mehrstöckigen Hauses. Der dort wohnende 70-jährige Patient ist mitteilungsgemäß alleinlebend. Der in der Wohnung anwesende Mitarbeiter des ambulanten Pflegedienstes berichtet,

dass bei dem 70-jährigen Mann vor 2 Jahren  aufgrund einer weitergehenden Tumoroperation im Kehlkopfbereich bei Malignom ein Tracheostoma angelegt worden sei.

Genauere Angaben zu diesem operativen Eingriff vor 2 Jahren und zum anschließenden Rehabilitationsverlauf sind allerdings nicht zu erhalten.

Der 70-jährige Mann, bei dem auch eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung GOLD-Stadium  II – III bekannt ist, würde ca. 6 Stunden im Tagesverlauf mit Sauerstoff (Flow 2 l/min) über eine“ feuchten Nase“

versorgt. Die Tracheostoma-Pflege sei vom mitbetreuenden Pulmonologen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege mehrmals pro Woche durch einen qualifizierten Pflegedienst verordnet worden.

Am heutigen Abend sollte die Trachealkanüle gewechselt werden. Die Umgebung der zuvor einliegenden Trachealkanüle sei jedoch bereits erkennbar gerötet gewesen (Eigenmanipulation durch den Patienten?)

Beim Versuch des Einbringens der neuen Trachealkanüle habe dies nicht funktioniert.

Es folgen 2 Weitere Versuche durch den Pflegedienstmitabeiter mit Aufbringen von Gleitgel im Spitzenbereich der Trachealkanüle.

Die beiden Versuche bleiben leider ohne Erfolg.

Die Einmündungsstelle der Trachealkanüle habe auch leicht geblutet. Als auch ein dritter Versuch der Trachealkanülen-Platzierung fehlgeschlagen ist, habe der Mitarbeiter des ambulanten Pflegedienstes –

nach Rücksprache mit seinem Vorgesetzten- die Rettungsleitstelle alarmiert.

Der Mitarbeiter des Pflegedienstes hält das Ansatzstück des Sauerstoffzuleitungsschlauches vor die Einmündungsstelle des Tracheostomas.

Erstbefund:

70-jähriger Mann, auf dem Küchenstuhl sitzend, leicht erhöhte Atemfrequenz zwischen 14 und 16 Atemzügen / min. Nur geringer Einsatz der Atemhilfsmuskulatur.

Nur leicht verlängertes Exspirium. Bei der Lungenauskultation allenfalls diskrete Bronchospastik.

Blutdruck: 140/90 mmHg , Puls 96/min, rhythmisch.

Sauerstoffsättigung (bei zuvor noch vorgehaltenem Sauerstoff-Flow von 2 l/min): 90 %

Die Inspektion des Tracheostomas ergibt den nachfolgend abgebildeten Befund.

 

 

Bei der Inspektion der in der Wohnung vorhandenen blockbaren Trachealkanülen zeigen sich an der Trachealkanüle, die neu platziert werden sollte, leichte Blutspuren am Cuff.

Im Equipment des RTW’s wird ein Set zur chirurgischen Koniotomie mitgeführt. In diesem Set befindet sich auch das nachfolgend abgebildete Spekulum (vergleichbar mit dem Trousseau-Dilatator )

 

Die nächste HNO-Klinik ist mit Fahrzeit von 50 Minuten erreichbar.

Erstmaßnahmen:

Ein intravenöser Zugang wird angelegt und ebenso das Standardmonitoring

Blutdruck: 130/90 mmHg , Puls 92 /min,

Atemfrequenz unverändert zwischen 14 und 16 Atemzügen / min , Sauerstoffsättigung weiterhin bei 90 %

Weiteres Procedere ?

Stay and play ?

Oder

Load and go ?

4 thoughts on “Fall des Monats September 2015

  1. Vorweg: Ich bin Rettungssanitäterin.

    Zum Fall: Auch, wenn mir das nicht gefällt, wie eng das Tracheostoma aussieht, würde ich mich für die Option load&go entscheiden, einfach weil der Pat. weitgehend beschwerdefrei ist. SpO2 und AF sind für ein COPDisten  m. E. soweit ok.

    Damit das für alle entspannt bleibt, würde ich Pat. etwas Mo für den Transport gönnen und seine üblichen 2l O2. Fall sich die Situation verschlechtert, kann man sich immer noch auf die eine oder andere Art verlustieren, das geht im RTW auch nicht nennenswert schlechter als in der Wohnung. Wenn der Patient eine Atemnot entwickelt, würde es sich aber meiner Meinung nach lohnen, kurz nochmal nachzusehen, ob es sich tatsächlich um das zu erwartende A-Problem handelt, und nicht um ein B-Problem das der Pat. wegen dem Stress eine Spastik entwickelt o.ä.

    Was an der Lösung load&go doch stört ist die Fahrzeit. Deshalb frage ich mich, wieso die Option „nächste Notaufnahme“ nicht in Erwägung kommt. Dafür würde sprechen, dass man weniger Fahrzeit hätte und man für eine dislozierte Trachealkanüle vielleicht nicht unbedingt eine HNO braucht. Das würde ich empfehlen, aber vorher anrufen und bescheid sagen, dass man kommt.

    Das ist sicherlich keine elegante Lösung, ich könnte mir aber auch vorstellen, dass ein Scheitern beim Wiedereinlegen der Kanüle eine unschöne Nummer wird. Sehr gespannt wie sich die anderen sich entscheiden.

     

  2. Weiterer Verlauf des Septemberfalls 2015:

     

    Hallo Inga !

    Dein Respekt vor der engen Tracheostoma-Öffnung  ist sicher berechtigt.

    Insofern war die Load and go-Strategie (aufgrund der noch tolerablen Vitalparameter des Patienten) anfangs auch die favorisierte erste Lösung.

    Auch die Möglichkeit des Ansteuerns einer nahgelegenen Klinik wurde dikutiert, aber in Kenntnis von klinik-internen Widrigkeiten wieder verworfen.

    In Anbetracht der 50-minütigen Fahrtstrecke zur HNO-Klinik wurde ein Seldinger-Versuch erwogen und der Kinder-Notfallkoffer herangezogen.

    Der dünne Führungsstab der Kinder-Endotrachealtuben wurde an der Spitze so vorgebogen, so dass er der Krümmung der nicht zu platzierenden Trachealkanüle entsprach

    Die nicht zu platzierende Trachealkanüle wurde gleitfähig gemacht und über den Führungsstab geschoben. Die Trachealkanüle war ausreichend über dem Führungsstab verschiebbar.

    Dann wurde der Führungsstab sehr vorsichtig durch die enge Tracheostoma-Öffnung vorgeschoben, was glücklicherweise auch ohne spürbaren Widerstand mit einer Einführungstiefe von ca. 2 cm unter der Trachealöffnung gelang.

    Über den Führungsstab wurde dann die Trachealkanüle in die enge Tracheostoma-Öffnung vorgeschoben, was sich auch ohne Widerstand durchführen ließ.

    Anschließend war der Transport zur HNO-Klinik bei zufriedenstellende Sättigungswerten bei leichter Sedierung des Patienten ohne Komplikationen durchführbar.

    Das Procedere ist (trotz der hier erfolgreichen Durchführung) dennoch nicht unbedingt zur Nachahmung zu empfehlen.

     

    Dr. Gerrit Müntefering
    Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

  3. Ich würde mich auch eher für minimal handling und load and go entscheiden, solange der Patient kompensiert ist. O2 ggf. höher dosieren, Therapie der COPD je nach Klinik. Transport in die nächste Notaufnahme kommt für mich allerdings nur in Frage, wenn die Infrastruktur passt (Anästhesist und Chirurgie Facharzt im Haus etc.)

    Mein Vorgehen, wenn der Patient beginnt zu dekompensieren, lehnt sich an eine Dilatationstracheotomie auf Intensiv. Allerdings wenn möglich keine Narkoseeinleitung, ggf. milde Sedierung oder Lidocaininhalation. Dann Einführen einer 16G Plastikkanüle (ohne Metallmandrin), das geht auch bei sehr engem Loch, darüber Seldingerdraht (aus ZVK Set) und dann einen dünnen (Kinder-)Tubus mit dem Ziel, so zumindest eine Oxygnierung gewährleisten zu können.

    Auf Manipulationen mit Material aus dem Tracheotomieset würde ich wenn irgend möglich gerne verzichten.

    Ich hoffe, der Patient konnte in stabilem Zustand eine HNO zur definitiven Inspektion und Versorgung erreichen.

  4. Auf Grund der beschriebenen klinischen Situation ist der begleitete Transport vertretbar und zu favorisieren.

    Sollte es aber zu einem A Problem kommen, würde ich, nach bereits mehrfach gescheiterten Versuchen, keine Repositionierung einer Trachealkanüle versuchen sondern einen Endotrachealtubus zur Sicherung der Oxygenierung platzieren.

     

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