JATA 2020

Westdeutsche Notfalltage – 36. Jahrestagung der AGNNW

Thomas Jakob – unter Mitarbeit von Sandra Döpker, Bernd Strickmann, Holger Wißuwa und Volker Göbel

Erneut „ausverkauft“!!

Am 17. und 18. Januar fanden die Westdeutschen Notfalltage 2020  und damit die 36. Jahrestagung der AGNNW statt. Die Veranstaltung war wiederum so beliebt, dass mit über 550 Teilnehmenden die Kapazitätsgrenze der Räumlichkeiten erreicht wurde.

Im Folgenden möchten wir Ihnen einen –teils stichwortartigen- Überblick über die Inhalte geben, damit diejenigen, welche nicht teilnehmen konnten, sich einen kleinen Einblick verschaffen können. Und zugleich ein Argument geliefert bekommen, warum es sich lohnt, vor Ort an der JaTa teilzunehmen. Denn dort wird immer noch viel mehr vermittelt: mehr Information, mehr Austausch, mehr Zusammenhalt, mehr gemeinsame Erinnerungen.

 

Freitag: Berufspolitisches Programm

Der Dialog mit den Ministerien eröffnete am Freitag traditionell die Tagung. Der AGNNW- Vorsitzende Dr. Peter Gretenkort (Krefeld) und Vorstandsmitglied Prof. Dr. Dr. Alex Lechleuthner begrüßten Herrn Ministerialrat Bernd Schnäbelin (MAGS), Herrn Dr. Peter Johann May von der Krankenhausgesellschaft NRW, Herrn Martin Pin (Vorsitzender der DGINA) und Dr. Florian Reifferscheid als Vorsitzenden der BAND. Hier wurden erfrischend  ehrlich auch kritische Worte zu den Planungen des Bundesgesundheitsministeriums zur Neuordnung der Notfallversorgung und deren Auswirkungen auf die Krankenhäuser, die Notaufnahmen und den präklinischen Rettungsdienst geäußert. Das trug entscheidend zum gegenseitigen Verständnis und zur Vertrauensbildung bei. So äußerte Herr Schnäbelin auch durchaus Kritik am Bundesministerium für Gesundheit. Dank gab es von ihm für die Mitarbeit der notärztlichen Vertreter in der Arbeitsgruppe zum §7 RettG. Hier stellt sich Ostwestfalen-Lippe zunehmend als Modellregion heraus. Weitere Themengebiete, die momentan im MAGS bedeutsam sind, bestehen in der Implementierung von Telenotarzt- Systemen, der Fortentwicklung der Behandlungspfade und Standardarbeitsanweisungen für Notfallsanitäterinnen und –Sanitäter, in der Regelung der Leitstellenausbildung und in der Verbesserung des Meldewesens bei Gewalt im Rettungsdienst.

Martin Pin sieht durch die Planungen des BMG die Sektorengrenzen des Gesundheitswesens künftig in die Krankenhäuser verschoben und dort zementiert statt aufgelöst.

Die fachliche Leitung durch die KV könnte alleine schon aufgrund von Personalmängeln schwierig werden. Auch die präklinische Unterscheidung zwischen „sicher stationär“  oder „ambulant“ wird für Krankenhäuser ohne Integriertes Notfallzentrum zu immensen Problemen und finanziellen Abschlägen führen. Kann z.B. ein Krankenhaus ohne INZ einen ambulant behandelbaren Patienten einfach abweisen? Was ist, wenn ein Krankenhaus ohne INZ einen Patienten nach Diagnoseerstellung als ambulant behandelbar erkennt, der vorher als „sicher stationär“ vom Rettungsdienst zugewiesen worden war?

 

Herr May blickte auf das Nachbarland Dänemark, in welchem Planungen bereits verwirklicht sind, die den Vorhaben aus dem BMG ähneln. Dort entstanden Kosten von 80 Milliarden Euro, es gab vielfältige Organisationsprobleme, und die Zufriedenheit der Bevölkerung hielt sich in Grenzen. Er befürchtete einen chaotischen Ressourcenabbau „durch die kalte Küche“.

Florian Reifferscheid erachtete die Zentrenbildung als unausweichlich an und mahnte an, dafür geordnete Wege zu finden.

Aus dem Auditorium kam die Ergänzung, dass auch die Niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen der Basis massive Probleme durch die Planungen des BMG auf sich zukommen sehen.

Zusätzlich berichteten Dr. Ingo Christiansen (ÄLRD reis Paderborn) über erste Erfahrungen der Planung einer Telenotarzt Pilotregion und Dr. Matthias Bollinger (Essen) über den Umgang mit invasiven Maßnahmen in der Notfallsanitäter-Ausbildung.

Projektplanung in einer „Telenotarzt“- Pilotregion; Ingo Christiansen (ÄLRD Kreis Paderborn)

Warum wollen wir ein Telenotarztsystem?

  • Verbesserung der Versorgungsqualität / Ressourcenschonung
  • Entlastung stark frequentierter Notarztstandorte
  • Unterstützung des nichtärztl. / ärztl. Personals vor Ort
  • bessere rechtliche Absicherung z.B. Transportverweigerung, Bagatelleinsätze,

         Schmerztherapie->Btm-Delegation; …

  • Übernahme geeigneter Sekundärtransporte
  • Unterstützung der Leitstellendisponenten
  • bessere Verteilung der Patienten in die passenden Versorgungssysteme 116 117 bzw.

         112

  • Rezertifizierung Notfallsanitäter „on-the-job“ ?

 

Was es nicht sein soll (und auch nicht kann)…

  • Ersatz bedarfsnotwendiger Notarztstandorte
  • Ersatz für hochqualifiziertes nichtärztliches Rettungspersonal

 

Mitgeteilte Erfahrungen …

  • Aachen:

Reduzierung der Notarztquote von 36 % auf 19 %

mehr als 15.000 Patienten komplikationslos versorgt

  • Greifswald:
    In 19 % der Fälle können Patienten zuhause bleiben
  • Straubing:
    Ganz Bayern soll unterstützend Telenotärzte einsetzen
  • Main-Kinzig-Kreis:
    Die Notfallsanitäter erreichen mit Telenotarzt das, wofür sie ausgebildet worden sind

 

Wunsch der Vernetzungsgemeinschaft:

  • Kritische Prüfung der gewonnenen Erkenntnisse in Verbindung mit der
  • kritischen Prüfung der Erkenntnisse in anderen Bundesländern
  • Bei positivem Verlauf: Prüfung der Kostentragung
  • Implementierung eines solchen Systems

 

Invasive ärztliche Maßnahmen in der Notfallsanitäter- Ausbildung; Matthias Bollinger (Essen)

Können die erwünschten Maßnahmen in der dreijährigen Ausbildung erlernt werden?

Maßnahmen für die eine gewisse Expertise besteht (gemessen an den Kennzahlen des BV-ÄLRD):

  • Gesichtsmaskenbeatmung
  • Atemwegssicherung mit extraglottischen Atemwegen
  • Periphervenöser Zugang
  • Defibrillation
  • Blutstillung und Immobilisation

 

Maßnahmen für die keine ausreichende Expertise am Ende der Ausbildung besteht (gemessen an den Kennzahlen des BV-ÄLRD):

  • Nicht-invasive Beatmung
  • Intraossärer Zugang
  • Nadelthorakostomie
  • Elektrische Kardioversion
  • Schrittmachertherapie
  • Geburtsbegleitung
  • Umgang mit tracheotomierten und tiefes endobronchiales Absaugen

 

Die Maßnahmen unterscheiden sich erheblich in Ihrer Komplexität.

Abseits vom Beherrschen handwerklicher Fähigkeiten erfordert die „Indikationsstellung“ eine hohe klinische Erfahrung.

Einige Maßnahmen sind wegen ihrer geringen Inzidenz nur am Phantom erlernbar. Manche Maßnahmen können nicht am Phantom erlernt werden

 

Die Inzidenz der meisten invasiven Maßnahmen ist gering. Für die meisten invasiven Maßnahmen gilt, dass weder der Erwerb noch der Erhalt manueller Fähigkeiten in einer rein rettungsdienstlichen Tätigkeit möglich ist. Die Verteilung invasiver Maßnahmen auf einen breiten Anwenderkreis muss daher kritisch hinterfragt werden.

Spannungsfeld zwischen medizinischer und logistischer Notwendigkeit (vitale Indikation; Notarzt nicht schnell genug vor Ort) und Erlernbarkeit andererseits.

Für seltene und komplexe Maßnahmen stellt sich die Frage, ob die Durchführung durch Notfallsanitäter sinnvoll ist

Die Ausbildung muss die Notfallsanitäter zur Durchführung der Maßnahmen befähigen oder es muss hinterfragt werden ob diese Maßnahme durch (alle) Notfallsanitäter durchgeführt werden soll.

Der Gesetzgeber hat nicht explizit festgelegt welche Maßnahmen durch Notfallsanitäter durchzuführen sind. Dies bietet die Chance sich jederzeit an aktuelle Veränderungen in der Medizin anzupassen.

Die Ausbildung darf daher nicht nur auf die aktuell diskutierten Maßnahmen abheben. Letztlich sollte es das Ziel sein einen Maßnahmenkatalog auszubilden, der einerseits durch die Notfallsanitäter umgesetzt werden kann (Rechtssicherheit), und andererseits die beste Versorgung der Patienten ermöglicht.

 

Freitag: Neue Erkenntnisse aus Registern

 

  1. Traumaregister der DGU; Arasch Wafaisade (Köln-Merheim)

Geriatrisches Trauma erlangt zunehmende Wichtigkeit.

Stellenwert von Etomidate neutral,  Propofol unklar.

Becken-Stabilisierung sehr wichtig.

Kolloide sind nicht mehr empfehlenswert.

Volumen: balanciert

Tranexamsäure empfohlen.

GCS < 9: Intubation + Narkose !

 

  1. Deutsches Reanimationsregister; Matthias Fischer (Göppingen)

 

Zieldefinition:

> 4 von 10 Patienten sollten nach präklinischer Reanimation mit eigenem Kreislauf die Klinik erreichen.

> 20 Patienten / 100 000 Einwohner und Jahr sollten nach präklinischer Reanimation die Klinik lebend erreichen.

Erfolgreiche CPR: Ein Einzelfall? NEIN!

Brauchen wir CPR durch Laien? JA! Aber es braucht ein System um mehr Leben zu retten!

Nicht nur „Early CPR“, sondern „GUTE CPR“ durch RD: Adrenalin + endotracheale Intubation.

 

EARLY CPR: Das reanimationsfreie Intervall muss verkürzt werden, es beeinflusst die Überlebens-wahrscheinlichkeit relevant. Laienreanimationsquote muss verbessert werden (Ziel > 60%).

 

GOOD CPR: Kurze RD-Hilfsfrist auch bei Laien-CPR wichtig. Profis mit Beatmung und CPR-Feedback-System. Frühe Defibrillation, endotracheale Intubation, Adrenalin

 

Verbessertes Outcome durch Deutsches Reanimationsregister:

Epidemiologie: Häufigkeit

Wissenschaft: Überprüfung der Therapie

Qualitätsmanagement: Optimierung der Behandlung

 

  1. Atemwegsregister in Europa; Felix Girrbach (Leipzig)

Kennzeichen einer randomisierten Studie:

Selektionierte Studienkohorte

Definierte Ein- und Ausschlusskriterien

Trainiertes Studienteam

Oft kleine Fallzahlen

Definierte Endpunkte

Weniger geeignet für seltene Ereignisse

Merkmale eines Registers:

Abbildung des täglichen Lebens

Keine Einschluss-/Ausschlusskriterien

Generierung großer Datenmengen

Verwendung als Qualitätssicherung möglich

Verbesserung der Dokumentation

Auch seltene Komplikationen werden erfasst

Zentrale Fragen an ein deutsches Atemwegsregister:

Wie läuft prähospitales Atemwegsmanagement in Deutschland ab?

Gibt es Unterschiede zum Atemwegsmanagement in der Notaufnahme?

Werden Leitlinien beachtet?

Wie sind FPS und Komplikationsraten in einem arztbesetzten Rettungssystem?

Welche Vorteile bringen neue Verfahren (Videolaryngoskopie)?

Fazit:

Atemwegsregister dienen Forschung und Qualitätssicherung

International fehlende Vergleichbarkeit durch große Heterogenität

Bisher nahezu keine Registerdaten für Deutschland (Europa) vorhanden

 

 

Freitag: Gewalt und Terror

  1. Gewalt im Rettungsdienst; Felix Leuchter (Lübeck)

Die Ursache, dass es zu konfliktreichen und bedrohlichen Situationen im Rettungsdienst kommt, liegt häufig in Intoxikationen. Auch psychische Erkrankungen spielen zum Teil eine Rolle. Gemischte Teams scheinen weniger häufig solche Situationen zu erleben. Durch die Ausbildung zum Notfallsanitäter, die nun dreijährig ist, gibt es nun einen zeitlichen Rahmen in denen sich gut Deeskalationstraining mit in den Lehrplan aufnehmen lassen. Generell ist die Gewalt deutlich weniger als sie über mediale Berichte suggeriert wird.

 

  1. Terror in Deutschland aus Sicht des Rettungsdienstes; Frank Sensen (Düsseldorf)

Obwohl einige das Thema schon nicht mehr hören können, ist es noch nicht überall angekommen. Die Awareness und die Vorbereitungen sollten aufrechterhalten werden. Es braucht auch hier Einsatzkonzepte die entwickelt und geübt werden müssen. Begonnen mit Tourniquets über spezielle CBRN-Sets lässt sich vieles im Vorfeld planen. Dem Selbstschutz der Rettungsdienstmitarbeiterinnen und Mitarbeiter soll dabei auch ein Augenmerk gelten. Die Antidot-Sets in Düsseldorf beinhalten immer drei Dosen, eine für den Patienten und jeweils eine weitere für beide MitarbeiterInnen. Das macht noch mal bewusst was Terror bedeuten kann.

 

  1. Terror in Deutschland aus Sicht der Krankenhäuser; Thomas Wurmb (Würzburg)

Mit wenigen Veränderungen kann ein Krankenhaus- Alarm- und Einsatzplan an das Thema Terror angepasst werden. Von Rekrutierungsmöglichkeiten des dienstfreien Personals wird bis zur Umstellung medizinischer Strategien von normaler chirurgischer Versorgung zur TASC „tactical abbreviated surgical care“ wurden einige Optionen genannt.

Falls es zu einer solchen Lage kommt, kann es sein, dass unmittelbar die ersten Patienten eintreffen und je nach Lage des Krankenhauses zum Einsatzgebiet größtenteils auch unversorgt ohne Transport durch den professionellen Rettungsdienst. Die schnelle Etablierung einer Führungsstruktur, Raumordnung und Priorisierung sind Schlüsselmomente wie in der Präklinik.

Besonderheiten beim Terroranschlag:

Dynamisches Ereignis

Kurze oder keine Vorbereitungszeit

Präklinische Patientenversorgung eingeschränkt

Mögliche Eigengefährdung

Krankenhaus als Anschlagsziel

 

Verletzungsmuster:

Blutung

Blast-Injury

Schussverletzungen

Brandverletzungen

CBRN

 

Maßnahmen zur Steigerung der Kapazität:

Schnelle Etablierung einer Führungsstruktur

Raumordnung

Sichtung

Priorisierung der Behandlung

Medizinische Versorgungsstrategien anpassen (z.B. TASC)

Personal rekrutieren

Materialplanung- und bevorratung (z.B. OP-Siebe)

Apotheke, Blutbank……

Einschränkung/Einstellung des Routinebetriebes

Entlassung von Patienten

Abbestellen elektiver Patienten

Kooperation mit anderen Krankenhäusern

 

Maßnahmen zum Erhalt der Funktionalität:

Stabsarbeit

Sicherheitskonzepte

Dokumentation, Verwaltung, Registrierung

Ablöse des Personals/”Durchhaltefähigkeit”

PSNV für das Personal

Angehörigenbetreuung

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

 

 

Samstag: Wissenschaftliches Programm; Sitzung 1

Skill Lecture: Blick über den Horizont

 

  1. S1-Leitlinie Prähospitales Atemwegsmanagement; Christian Byhahn (Oldenburg)

 

Die LL wurde 2019, später als geplant, fertig. Es dauerte mehr als 10 Jahre von der Idee bis zur Leitlinie. 2007 wurden in der Notfallmedizin 7% ösophageale Fehlintubationen gezählt, in mehr als 50% der Atemwegsprozeduren war nicht der Endotrachealtubus, sondern der Larynxtubus die 1. Wahl, und das Videolaryngoskop schien nur für Freaks eine Bedeutung zu haben.

 

  1. a) Zentrale Frage: ab wann kann man intubieren? Die DGAI-Handlungsempfehlung von 2012 war online der meistgelesene Artikel und bestätigte, dass dies eine „Marktlücke“ war.
  2. b) Zentrale Botschaften:

-ETI ist und bleibt der Goldstandard in der Atemwegssicherung

-Der Intubationserfolg beim ersten Versuch ist von großer Bedeutung (First Pass)

-Um die Beherrschung der ETI nachweisen zu können, bedarf es >100 unter Aufsicht und

         dokumentierter durchgeführter ETI.

 

Vergleich mit „Sammeln“ chirurgischer Skills: „Ich müsste heute mal eine Bypass-OP üben.“
Für Chirurgen werden 55-80 Sigma-OPs gefordert, damit sie sie allein bzw. als Verantwortlicher durchführen dürfen. Drei Jahre Gallenoperationen, 150 Ösophagusresektionen. Die Durchleuchtungszeit (und damit die Prozedurendauer) im HKL sinkt erst ab 140-160 Coronarangiografien.

 

-Mehr als 2 ETI-Versuche multiplizieren die Komplikationsrate.

-Direkte Laryngoskopie (McIntosh-Spatel) mit VLS soll als erster Versuch starten, D-Blade nur als

               Reserve.

-EGA ja, wenn ETI nicht beherrscht wird als primäre Strategie.

-Wenn EGA, dann 2. Generation mit Magensonde (nicht Absaugkatheter, sondern Magensonde!!!),

               bei Kindern LM, nicht LT, und immer Cuffdruck messen!!

-Nachteil LT: kann oxygenieren und dennoch letale Folgen haben
-Training ist eine essentielle Komponente: nicht am Manikin, sondern am Patienten, da keine Puppe

die Pharynx- und Larynxeigenschaften ausreichend realistisch widerspiegelt. (Es gibt einen CT-Vergleich zwischen menschlichem Körper und AW-Trainer, wo keine Übereinstimmung besteht. Dier Trainer taugen lediglich für ETI-Training, aber nicht für EGA-Training. Man müsste 45 EGA vorweisen, bevor man „es kann“. Wie viele jährlich, ist nicht klar.

– Welche EGA ist der richtige? Es soll der EGA angewendet werden, der mehrheitlich im Training

Anwendung findet.

 

  1. Invasive Notfalltechniken: Clamshell, REBOA & Co.; Erik Popp (Heidelberg)

 

Clamshell + REBOA nur, wenn alle anderen Maßnahmen nicht funktionieren.

Z.B. bei Trauma-CPR, wenn exsanguiniert („Stop the bleeding hat Vorrang!“).

Zunächst Reversible Ursachen beheben: Hypoxämie, Hypovolämie, Herzbeuteltamponade, Spannungspneumothorax.

 

2013 (Buschmann C et al.) 15,2% der reanimationspflichtigen Patienten nach Trauma hätten mit den korrekten Maßnahmen (reversible Ursachen) sicher oder eventuell überleben können.

 

Thoraxkompression hat geringere Priorität als Ursachenbehebung: Mini-Thorakotomie in Bülau-Position.

Bei Herzbeuteltamponade hilft die Punktionsnadel wegen Clottbildung nicht, es sei denn der Patient ist antikoaguliert.

Patienten mit perforierenden Verletzungen sind leichter zu retten als die mit stumpfen Traumata.

 

Clamshell-Indikation (schnelle Übersicht!):

Perikardentlastung

Aortenkompression

Blutungskontrolle

KEINE Indikation ist die offene Herzmassage!!

  1. eCPR: ECMO bei Reanimation; Matthias Baumgärtel (Nürnberg)

 

ECMO (eCPR)-Gerät wiegt etwa 15-20kg

Oxygenator und CO2-Eliminator; ca. 4l/min Blutfluss, große Kanülen, meist venovenös; es wird ein pO2 von 500 erreicht.

Beispiel aus Kanada: vorgeschädigter Patient mit Schocklunge (viele Erreger) wird explantiert (3 Tage OHNE Lunge), und dann transplantiert, überbrückend ohne Lunge und also ohne Beatmung ECMO.

Ethisches Problem für e-CPR bekannt aus m-CPR (CPR mit mechanischem Thoraxkompressionsgerät):

Transport unter m-CPR?

Weitermachen vor Ort?

Aufhören?

Der Herzrhythmus ist nach e-CPR immer besser als vorher (z.B. Flimmern statt Asystolie).

Indikation:

No-flow-time <5min

Max. Eintreffzeit RD 15 min

Rhythmus KaFli oder PEA (nicht Asystolie)

Hypothermie

 

Samstag: Wissenschaftliches Programm; Sitzung 2

Drogen – jetzt wird´s bunt

 

  1. Aktuelle psychostimulierende Drogen; Thomas Weber (Bochum)

 

Thomas Weber (Bochum) berichtete über aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der psychostimulierenden Dogen und betonte in diesem Zusammenhang das Erkennen und die Behandlung des Malignen neuroleptischen Syndroms.

Kokain:

Sympathikussturm

Generalisierter Vasospasmus

Generalisierte Thromboseneigung (Adrenalin)

Natrium Kanalblocker = neg. Inotropie v.a. bei chronischer Einnahme wahrscheinlich (Cave: Beta-Blocker, Alpha Blockade überschießend)

Schwerste Laktatazidose, daher … Hämodynamisch instabil: Bikarbonat „blind“

 

Cannabis (Tetrahydrocannabinol = THC):

Oral:  Wirkeintritt 30-60 Minuten (2-10h)

Rauchen: Wirkeintritt sofort (Dauer 1-4 h)

Nachweisbarkeit: 7 bis 10 Tage; chronisch bis zu 8 Wochen; Im Haar mehrere Mon

Verstärkung des aktuellen Gefühlszustandes

Psychosen-Ausbruch

Panik-Attacken möglich

 

Allg. Therapie Standard, nicht nur bei Cannabis:

Symptomatisch: Volumen, O2, etc.

Ggf. Benzo´s bei Panik

CAVE bei Neuroleptikagabe: Malignes neuroleptisches Syndrom (MNS)

 

Malignes Neuroleptisches Syndrom (MNS):

Postsynaptische Dopamin2-Blockade

(Extreme) Muskelschäden (MH ähnlich)

Starrheit  und kein Tremor. Tremor findet man eher bei TZA Intox durch Serotonin Anstieg

Akineton: Anticholinergikum (= Antiparkinsonmittel ) bei Körpersteifheit, Blickstarre und Akathisie (=Sitzunruhe)

Die therapeutische Dosis liegt zwischen 2 und 16 mg

Senkt die Krampfschwelle

Anstieg des Augeninnendrucks

Biperidenvergiftung ähnelt der von Atropin

Konklusion: Nicht präklinisch einsetzten, da Symptom Chaos vorprogrammiert

(Antidot von Akineton ist wiederum Physostigmin)

 

GHB; Liquid Ecstasy (Somsanit®):

Geringe therapeutische Breite wodurch häufig GIT Symptome auftraten

Schlechte Steuerbarkeit

Unkalkulierbare Wirkungsdauer

Wirkung: Oral schon nach 15 Minuten (HWZ 20-40 Min)

Nur wenige Stunden nachweisbar (Blut 8; Urin bis 12); Probe einfrieren

Wirkdauer mind. 2 – 4 h

Schmeckt nach Seife

Alkoholähnlich bis hin zum Koma

 

Anticholinerges Syndrom:

= Nervus vagus Blockade

Therapie: Physostigmin, auch bei Trizyklischen Antidepressiva

Reversibler Ach-Hemmer

Erhöhung der Ach Konzentration im synaptischen Spalt

Lipidlöslichkeit = Gute Passage der Blut-Hirn-Schranke

Rasche Resorption (i.m., s.c. u. oral)

Wirkungseintritt: nach 3-15 Minuten

Wirkdauer (20 Min bis 2 h)

Abbau: Hydrolyse, inaktive Metaboliten werden vorwiegend renal eliminiert

 

Zusammenfassung:

Standardtherapie, ggf. Benzo´s

Differentialdiagnose (Psychosen, Infektion, Nieren-, Leberinsuffizienz)

Chronischer Kokain Konsum: Neg. Inotropie!

MNS („Starre“: Akineton = Vagusstimulation) versus TZA Intox („Serotonin-Augen-Tremor“, eher Physostigmin, da „Vagus Blockade“), postop. häufiger!!

GHB–Proben: Asservieren („einfrieren“)

Metamphetamin (Koronarspasmen; höchste Toxizität)

Lachgashypoxie

Vitamin K = Ketamin, sieht aus wie Koks

Absinth = Alkohol Intox

CAVE Gift-Pilze

„Poppers“ ist „ätzend“ (Alkalische – Kolliquationsnekrose)

 

 

  1. Crystal Meth; Michael Bernhard (Düsseldorf)

 

Vertiefend stellte Michael Bernhard (Düsseldorf) Crystal Meth als Modedroge vor. Er unterstrich die Bedeutung des Urin-Toxikologie-Screenings und äußerte seine Befürchtungen zur rasch steigenden Inzidenz dieser Vergiftungen.

Hohes Abhängigkeitspotential, rascher Kick

Hohe langfristige Neurotoxizität

Risiko für Überdosierungen (hoher Reinheitsgrad)

Häufig Mischkonsum

Unterliegt BtmG seit 1941

 

Akuteffekte:

Appetitverlust

Tachykardie, Hypertonie

Mydriasis

Schlafstörungen

Übelkeit

Bizarre, fahrige Bewegungsmuster, Grimassieren, Hyperaktivität, Halluzinationen

Aggessionsbereitschaft

Krampfanfälle, Schlaganfall, Hirnblutung

 

Folgewirkungen:

Dermatitis, Haarausfall, Schleimhautschäden, Zahnschäden (Meth-Mund)

Kognitive Defizite

Depressionen

Paranoia, Wahn, Aggression, Psychosen

Gewichtsverlust

Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkte

Nierenschäden

 

Therapie:

Thromboseprophylaxe, Dantrolen, Pravidel (=Bromocriptin wirkt als Dopamin-D₂-Agonist)

Benzos (1. Wahl)

Antipsychotika (z.B. Olanzapin

Bei Narkoseeinleitung: kein succ!! Cave Rhabdomyolyse

Antihypertensiva (Urapidil)

Antiarrhythmika (z.B. Verapamil)

Kühlmaßnahmen (extern)

Keine Urinalkalisierung bei Rhabdomyolyse (verzögert Elimination)

 

  1. Aktuelle Vergiftungen beim Kind; Michael Schroth (Erlangen)

 

Zum äußerst zurückhaltenden Einsatz der primären Giftelimination im Rettungsdienst positionierte sich Michael Schroth (Nürnberg) bei der Vergiftung des Kindes.

Entscheidend: Akribische, anamnestische Vorarbeit. Gezieltes Suchen.

Substanzasservation: Alle fraglichen Behälter, Blister, Pflanzen, Nahrungsmittel, andere.

 

Klinische Symptome:

Übelkeit; Brechreiz; Erbrechen , Tachypnoe; typischer Foetor , kardiovaskuläre Kollapszustände; Schock , Rausch- und Erregungszustände; Verwirrtheit; Halluzinationen , Tremor; ataktische choreoforme Bewegungsmuster , Stupor; Koma; Krämpfe; Bewusstlosigkeit

 

Toxidrome:

Opioide: Atemdepression, Koma, Miosis

Anticholinergika (z.B. Atropin): Mundtrockenheit, trockene Haut, Hautrötung, Hyperthermie, Mydriasis, Tachykardie, Harnverhalt, Unruhe, Krämpfe; Bewusstseinsstörung

 

Primäre Giftentfernung:

Kommt nur noch bedingt zum Einsatz !!!

Haut: grob von eventuell benetzten Kleidungsstücken befreien. Evtl. Abwaschen mit klarem Wasser.

Auge: Bei Kontakt zum Beispiel mit Kalk: Reinigung oder Spülung mit klarem Wasser (wenn toleriert!)

Magen-Darm-Trakt: Meistens wenig Erfolg versprechend (rasche Resorption !) Erbrechen lassen bzw. Spülung nur selten indiziert. Kontraindikationen: Erbrechen nach Ingestion von Säuren/Laugen. Bei Ingestion von schäumenden Substanzen. Spülung am ehesten nur am intubierten Kind !

 

Fazit:

Schwere, bedrohliche Vergiftungen bei Kindern sind selten.

Tödlich verlaufende Vergiftungen bei Kindern sind sehr selten.

Ziel therapeutischer Maßnahmen ist der Patient und nicht die toxische Substanz.

Vorzeitige oder leichtfertige Bagatellisierung kann zu schweren und/oder bleibenden Gesundheitsschäden des Kindes führen.

Das Risiko aller Therapiemaßnahmen muss kritisch gegenüber dem Risiko durch die Ingestion abgewogen werden.

Bei allen Maßnahmen der primären Giftentfernung können Komplikationen auftreten. Diese sind selten, können aber schwerwiegend sein.

Eine Verbesserung des Behandlungsergebnisses oder des klinischen Verlaufes durch die Durchführung einer primären Giftentfernung ist nicht erwiesen.

Die Durchführung einer primären Giftentfernung stellt keine Routinemaßnahme dar, sondern bedarf einer eindeutigen Indikationsstellung.

Anamnestischer Aufwand ist weit größer als der medizinische Handlungsbedarf.

Basics der pädiatrischen Notfallversorgung dürfen nicht außer acht bleiben (Auskühlung !)

Kommunikation (wenn notwendig) mit existierenden Giftnotrufen unbedingt delegieren (Leitstelle), in der Akutsituation nicht selbst durchführen.

 

Erste Priorität Wiederherstellung der Vitalfunktionen

Zweite Priorität: Diagnosestellung bzw. „Erzwingen“ der Diagnose

Dritte Priorität: Spezifische Therapie nach Diagnosestellung

 

 

Samstag: Wissenschaftliches Programm; Sitzung 3

Ärzte im Katastrophenschutz

Der Einsatz von Ärzten im Katastrophenschutz wurde anschließend aus Sicht der Hilfsorganisationen (Sara Beemelmanns, DRK) und aus Sicht der Ärzte ( Dr. Rainer Löb, MHD, Hamm) dargestellt.

 

  1. …aus Sicht der Hilfsorganisationen; Sara Beemelmanns (DRK Nordrhein)

 

Ärztliche Tätigkeiten in einer Hilfsorganisation:

Medizinischer Fachvorgesetzter

Übernahme ärztlicher Aufgaben in Einsatzformationen

Verantwortung für Präventions- und Nachsorgemaßnahmen bei Einsatzkräften

Psychosoziale Notfallversorgung

Aus- und Fortbildung von Einsatzkräften

Weiterentwicklung bestehender Ausbildungskonzepte

Mitarbeit bei Konzepten der Gefahrenabwehr

Beratung der Leitungs- und Führungskräfte in medizinischen Fragestellungen

 

  1. …aus Sicht der ärzte; Rainer Löb (MHD, Hamm)

HiOrg als kritische Infrastruktur

Ärzte als fachlich Notwendige, in breitem Fachspektrum, Führungskräfte.

Prägung durch Dienst an und in der Gesellschaft –

Feste Verankerung der Organisationen und Bw in der Gesellschaft – Nachwuchs … –

 

 

Samstag: Wissenschaftliches Programm; Sitzung 4

Zwischen Baum und Borke

 

  1. Das hätte man nicht gedacht: Fallstricke in der Notfallmedizin; Marc Zellerhoff (ÄLRD Rhein-Kreis Neuss)

Sie dürfen Fehler machen – Sie müssen es nur merken ….

Es wäre schön, wenn jeder Fehler nur einmal vorkommt ….

Ratschläge:

Seien Sie Teil des Teams!

Fragen Sie nach!

Besorgen Sie sich Lernstoff!

Besuchen Sie Fortbildungen!

 

  1. Notfallmedizinische Engramme: Das müssen Sie erkennen; Stephanie Döll (Erfurt)

Mit Jacke und Hose… – keine Diagnose: Untersuchung (immer) am entkleideten Patienten

Vom Symptom zur Diagnose: Vermeidung von Fixierungsfehlern

Der Schein kann trügen: Fakten würdigen

 

  1. Soziale Medien: Pitfalls und Pearls; Martin Fandler

Tipp:

Nerdfallmedizin

Feedly.com

 

Fazit

Wie immer waren alle Workshops ausgebucht.

Das kongenial von Prof. Alex Lechleuthner moderierte  Industrieforum wurde ebenso „wie immer“ sehr zahlreich genutzt.

Die Special Lecture am Samstagmittag bestritt diesmal der Flugkapitän Hans Härting (Wien) mit einer kurzweiligen Lehrstunde in Sachen Kommunikation und Fehlerkultur am Beispiel der Luftfahrt.

Als Präsent bekamen alle Teilnehmenden die druckfrische Version 3.0 des bewährten Handbuchs Notfallmedizin, das „Notfallmedizinische Kompendium der AGNNW“.

Die Programmkommission ist natürlich bereits jetzt dabei, für das kommende Jahr wieder Top-Referenten zu verpflichten.  Selbstverständlich ist auch die AGNNW bestrebt, alle Geschlechter gleichberechtigt bei der Auswahl der Vortragenden zu repräsentieren. Darum zusätzlich auch ein Appell an alle Mitglieder: bringen sie sich ein, machen Sie gerne Vorschläge und richten Sie diese an uns über unsere Website www.agnnw.de oder direkt an info@agnnw.de .

Wir freuen uns schon, Sie 2021 wiederzusehen oder neu begrüßen zu dürfen. Einen Ratschlag dürfen wir bereits jetzt geben: melden Sie sich frühzeitig an! Es wird sich lohnen.

 

Dr. Thomas Jakob, stellv. Vorsitzender der AGNNW