Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen

Alarmierungsmeldung:

88-jährige Frau, schlechter Allgemeinzustand

Situation vor Ort / Anamnese:

Der RTW fährt zu einem freistehenden Haus inmitten einer Kleinstadt.

Die alleinlebende 88-jährige Frau (Anruferin) öffnet dem Rettungsteam die Haustür.

Es besteht eine mäßige Dyspnoe.

Sie berichtet, dass es ihr bereits seit ca. 7 Wochen nicht so gut ginge. Sie habe häufiger Schwindelsensationen. Dabei besteht ein eher mulmiges Gefühl im Kopf, kein Drehschwindel. Außerdem sind phasenweise auch leichte Orientierungsprobleme aufgetreten, die sie vorher nicht gekannt habe. Ihren Hausarzt habe sie deswegen bisher aber noch nicht aufgesucht. Nennenswerte Vorerkrankungen werden von der älteren Frau verneint. Seit mehreren Monaten habe sie allerdings wiederholt Verdauungsprobleme mit Obstipation und dunkel gefärbtem härteren Stuhlgang. Auf nochmalige genaue Nachfrage hin beschreibt die Patientin die Stuhlfarbe als dunkelbraun, teilweise auch als fast schwarz. Blutauflagerungen seien bisher nicht erkennbar gewesen.

Die hausärztlich verordnete Medikation würden von einem Pflegedienst gestellt. Es seien aber nur wenige Medikamente. Die Einnahme von Nicht-steroidalen Antirheumatika (Ibuprofen, Diclofenac) Blutgerinnungshemmern, ASS, Kortison oder von Antidepressiva wird von der Patientin nach längerem Nachdenken verneint. In den letzten beiden Wochen seien viele morgendliche und abendliche Pflegediensteinsätze – bedingt durch einen hohen Krankenstand beim Pflegepersonal – ausgefallen.

Erstbefund des Rettungsteams:

A: Atemwege frei

B: Mäßige Dyspnoe mit Atemfrequenz von 14 -16 / Min. Lunge auskultatorisch seitengleich belüftet mit Vesikuläratmung. Keine Bronchospastik, kein abgeschwächtes Atemgeräusch.

C:  Blasses Hautkolorit RR 90/52 mmHg, phasenweise arrhythmischer Puls: 48-76 / min. SpO2: 97 %

D: GCS: 15 Punkte. BEFAST-Prüfung unauffällig. Periphere Sensibilität und Motorik o.B.

Kein Nystagmus, Pupillen isokor mit unauffälliger prompter direkter und konsensueller Lichtreaktion

E: Abdomen weich ohne Abwehrspannung, linker und rechter Unterbauch nicht druckdolent, keine tastbaren Resistenzen, Darmpersistaltik auskultatorisch etwas spärlich, keine klingenden Darmgeräusche.

Tympanal gemessene Temperatur: 36,5 °c BZ: 174 mg /dl

Das abgeleitete 12-Kanal-EKG zeigt folgenden Befund:




Arbeitsdiagnose?

Zielklinik?

Marissa Lang
Notfallsanitäterin und Praxisanleiterin
Rettungswache Rheinberg

3 thoughts on “Fall des Monats Februar 2024

  1. Moinsen!

    Also grundsätzlich formal kein STEMI, aber grundsätzlich auffälliges aVL und ordentlich deszendierende Senkungen auf der linken Seite. Zudem bei einer intermittierend gemessenen Frequenz von 47/min. möglicherweise neben dem deutlichen Hauptstammäquivalent auch eine rechtsventrikuläre Ischämie (z.B. mit intermittierendem höhergradigen AV-Block, den man hier nicht erfasst hat) , da würden mich jetzt mal WIRKLICH die Rechtsherzableitungen interessieren. Also auf jeden Fall in eine Klinik mit Option einer Koronarangiographie. Ich würde mal denken, die ist gut für eine 3-Gefäß-KHK mit kurz vor knapp.

    Viele Grüße
    Dr. Dre

  2. Da ist in der Tat etwas faul. Das EKG ist definitv auffällig, es könnte aber eine nicht kardiale Ursache hierfür vorliegen. Vielleicht ist die Dame aufgrund einer längerdauernden gastrointestinalen Blutung so anämisch, dass der Sauerstoffbedarf des Herzens nicht mehr gedeckt ist, somit eine Minderversorgung vorliegt und dies zu den Veränderungen in der Rückbildungsphase führt. Die zu erwartende Tachykardie könnte durch die Einnahme von ß-Blockern maskiert werden. Dyspnoe passt, blasses Hautkolorit passt, Hypotonie und Schwindel passt, vesikuläres AG passt. AP-Beschwerden hat die Patientin nicht? Periphere Ödeme? Wenn präklinisch eine Hb-Messung (z.B. via BZ-Messgerät) möglich ist, würde ich sie durchführen. Das kann die Diagnose zwar nicht definitv sichern, aber untermauern.
    Insgesamt traue ich der Patientin nicht ganz über den Weg, was ihr Gedächtnis und die Übersicht über ihre Medikation/Vorerkrankungen angeht. Wenn der Pflegedienst unregelmäßig kommt, kann da schon einiges schief laufen mit der Medikation und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Verschlechterungen des AZ übersehen werden.
    Natürlich kann es auch sehr gut sein, dass es sich hier um eine primäre KHK handelt. Ich würde eher großzügig Volumen geben, ASS/Heparin eher nicht. Zielklinik: Innere mit Gastroeneterologie und Kardiologie und nach Möglichkeit Coro-Möglichkeit.

  3. Weiterer Verlauf des Februarfalls 2024:

    In diesem Fall ist die Auflösung zum Fall des Monats bereits durch Steffi gegeben worden, obgleich die Empfehlungen von Stefan Dreesen zur weiteren Vorort-Diagnostik sicherlich auch indiziert und spannend gewesen wären.

    In der angefahrenen Klinik wurde ein Hb-Wert von 5,2 g/dl festgestellt, verusacht durch einen (angabegemäß benignen) aber wohl fortlaufend sickerblutenden Dünndarmtumor, der viszeralchirurgisch revidiert werden musste. Die ältere Patientin konnte (auftransfundiert) nach 14 Tagen aus wieder der stationären Behandlung entlassen werden. Die kardiale Diagnostik hatte keinen revisionsbedürftigen Befund ergeben.

    Bei Hebung in aVR und Senkungen in mehreren EKG-Ableitungen muss man an ein sogenanntes „Hauptstamm EKG“ denken. Dieses geht typischerweise mit horizontalen bzw. deszendierenden Senkungen einher und ist hinweisend für eine Minderperfusion großer Myokardanteile z.B. durch Hauptstammstenose (oder auch bei myokardialer Verletzung Typ II etwa durch Anämie, Sepsis, Tachykardie oder Aortenstenose).

    Die in unserem Fall abgelaufene KHK-unabhängige Myokardischämie ist auf wohl auf die Anämie-Situation zurückzuführen, die ein Missverhältnis von myokardialem Sauerstoffverbrauch und -angebot bedingt hat.

    Herzlichen Glückwunsch, liebe

    Und vielen Dank für den spannenden Fall an die Autorin Marissa Lang

    Dr. med. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie
    Lessingstraße 26
    47445 Moers

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