Fall des Monats Juli 2013

Einsatzalarm um 11.16 Uhr: "Unklare Bewußtlosigkeit"

 

Wir erreichten den Einsatzort (Mehrfamilienhaus) um 11.21 Uhr. Da meine Kollegen noch die Ausrüstung "zusammenpackten", bin ich als Notarzt vorweg gegangen, da mir ein aufgrergter Junge den Weg in die Wohnung der ersten Etage wies und ich zunächst die Lage sondieren wollte.

In der Wohnung angekommen wurde ich von den Angehörigen der 16jährigen Patientin in das Badezimmer geleitet, wo die Patientin bewußtlos neben der Dusche nackt und noch naß auf dem Boden lag, umringt von Mutter und Tante, die aufgeregt am schreien waren.

Erster Bodycheck: Mundraum frei, auskultatorisch vesikuläre Atemgeräusche (Frequenz ca 16 / min), Blutdruck gut tastbar, Frequenz etwa 80/min. Pupillen isokor, regelrecht lichtreagibel, kein Foetor ex ore, keine Verletzungszeichen.

 

Die Anmanese gestaltete sich bei schlechten Deutschkenntnissen der Angehörigen schwierig, aber soweit eruierbar keine Vorerkrankungen, keine Medikamente, keine Schwangerschaft.

 

Differentialdiagnose ?

 

Als die Kollegen schließlich ebenfalls die Wohnung betraten ertönte kurz darauf ein schriller Alarm: Der mobile CO-Warner, der an dem Notfallrucksack befestigt war, blinkte und piepte wie verrückt. nach kurzer Zeit der Überraschung erfolgte der "Befehl" zur sofortigen Evakuierung der Wohnung. Die Patientin wurde von mir und meinem Kollegen an "Armen und Beinen" gefaßt nach draußen getragen, während der Rest der Mannschaft die Angehörigen sowie die anwesenden Nachbarn ebenfalls ins Freie geleitet wurden.

 

Bei zunehmender Kopfschmerz und Schwindel-Symptomatik von weiteren Bewohnern des Hauses erfolgte schließlich die Alamierung der Leitstelle (MANV1) bei derzeit nicht absehbarem Schadensereignis sowie mindestens einer schwerverletzten Patientin, die mich als Notarzt komplett gebunden hatte.

 

Der Patientin wurde noch auf der vor dem Haus befindlichen Wiese mit Sauerstoff verorgt (12 Liter O2/ min via Maske), in den RTW verbracht und hier der weiteren Diagnostik zugeführt: Die "manuell" erhobenen Befunde in der Wohnung verifizierten sich im RTW: spO2 97%, EKG: Sinurrhythmus (Frequenz 80/min), RR: 130 / 80, BZ: 95. Mit Eintreffen des HLF konnte schließlich die CO-Messung (via Fingerclip) durchgeführt werden: spCO: 53% (!!!)

 

Es erfolgten die Vorbereitungen für die Intubation mit anschliessender Beatmung unter höchstdosiertem Sauerstoff. Die Patientin zeigte sich mittlerweile aber wieder ansprechbar und orientiert. Der CO-Gehalt zeigte zudem eine stark undulierende Messung mit Werten von 34 bis maximal 46 %.

 

 

Nun zu meiner Frage: Procedere?

– Intubation?

– hyperbare O2-Therapie?

eingereicht von:

Dr. Marcel Hennen
Müllersbaum 52b
51399 Burscheid

5 thoughts on “Fall des Monats Juli 2013

  1. Differentialdiagnosen zum Zeitpunkt vor der weiteren Diagnostik: Hypoglykämie, neurologische Ursache wie Hirnblutung, Meningitis, Krampfanfall, Intoxikation.Die Frage bzgl. Intubation würde ich mit Nein beantworten, da gute Sättigung und wache und orientierte Patientin und würde dies auch so lange vertreten wie die Patientin stabil ist. Würde hier nach dem Motto handeln "Tue nur das wozu der Patient Dich zwingt"Da eine Zustandsbesserung innerhalb kürzerster Zeit unter O2-Maskentherapie eingetreten ist, würde ich die Patientin erstmal in die Klinik transportieren unter weiterer Kontrolle der Parameter und im Moment auch mit hyperbarer O2 Therapie zurückhaltend sein.

  2. Also ich kann die Meinung von "Sigurros" nicht ganz teilen! Wenn ein CO-Warngerät an der Einsatzstelle Alarm schlägt sollten auch beim Rettungsdienstpersonal alle Alrmglocken angehen. In Kombination mit einer oder mehreren bewusstlosen Personen ist eine CO-Intoxikation doch recht wahrscheinlich (selbst so erlebt!). Wir in Wuppertal haben dann ein eingespieltes und standardisiertes Vorgehen. Blutabnahme an der EST und Analyse mit einem AV-Oyxmeter. Bei Pat. mit einem CO-Hb > 10% wird sofort eine HBO-Therapie in Erwägung gezogen bzw. koordiniert.Wer sich bei Verdacht auf CO-Intoxikation auf die Pulsoyxmetrie verlässt, sollte wohl noch mal nachlesen wie CO im Blut wirkt.

  3. Aufgrund des wiedererlangten Bewußtseins sowie der undulierenden CO-Werte erfolgte zunächst keine Intubation. Stattdessen erfolgte die Kontaktaufnahme mit dem diensthabenden Kollegen, der die Durckkammer der Uniklinik Köln betreute (Nummer via iphone im www besorgt, die Leitstelle tat sich hier sehr schwer). Hier wurde nach kurzer Schilderung der Situation eine Verlegung zur hyperbaren O2-Therapie dringend empfohlen, allerdings sei die Druckkammer in Köln am Wochenende nicht besetzt. Alternativen seien Aachen oder Koblenz bzw. Hamburg. Es erfolgte nun die Alamierung eines RTH (Christoph Rheinland war frei), da in jedem Fall mit einem sehr weiten Transport gerechnet werden musste. Zeitgleich wurden die Kliniken der beschriebenen Standorte über ihre Verfügbarkeit befragt. Der RTH traf ca 20 Minuten nach Alamierung ein. Der Kollege erhielt die Übergabe von mir: Die Vitalparameter zeigten sich stabil und das spCO zeigte weiterhin undulierende Werte, allerdings nur noch zwischen 24 und 33 %. Die Patientin war weiterhin voll orientiert. Einzig Kopfschmerzen machten ihr zu schaffen. Die Intubationspflichtigkeit wurde von uns erneut diskutiert und wir entschlossen uns im Konsens weiter dagegen. Nach fast einer Stunde (!!!!!!) der Telefonierei und teilweise höchst interessanten Gründen für Absagen, zeigte sich schließlich die Uniklinik Aachen bereit, die Patientin zur hyperbaren Therapie aufzunhemen, sodass der RTH endlich abheben konnte. 1) Die hyperbare Therapie in Aachen konnte nur bei NICHT intubierten Patienten erfolgen!!! 2) Die Patientin konnte nach einer Woche Kinder-Intensiv das Krankenhaus in gutem AZ verlassen 3) Die übrigen Anwohner des Hauses blieben glücklicherweise nur leicht verletzt (ambulante Behandlungen) 4) Ursache: Eine defekte Gas-Therme im Badezimmer Vielleicht sehen sie die Möglichkeit, diesen Fall als Fall des Monats zur veröffentlichen. Es gibt in meinen Augen zwei entscheidende Fragen: 1) Intubation? 2) Hyperbare Therapie? Ich wäre gespannt, was die Kollegen hierzu im Forum sagen werden, zumal es bereits in meinem eigenen Kollegen-Kreis enorme Unterschiede bezüglich der Handlungsempfehlungen gibt. Zudem verdeutlicht dieser Fall, wie ungeheuer wichtig mobile, am Mann zu tragende CO-Warner sind!!

  4. Die Fragen "Intubation" und Hyperbare Sauerstofftherapie" sind beide in diesem Fall mit Ja zu beantworten!   Die Indikation der Hyperbaren Sauerstoffbehandlung (HBO) wird anhand klinischer Parameter gestellt. Der CO-Hb-Gehalt allein stellt kein verlässliches Kriterium für Schweregrad und Prognose dar! Entscheidend sind die Exposition an sich, die Zugehörigkeit zu Risikogruppen und geringste klinische Zeichen Die Halbwertszeit von CO-Hb beträgt 3-4Std. bei Raumluftatmung, nach Intubation und Beatmung mit 100% O2 sinkt die Halbwertszeit auf 45 Minuten, das Affinitätsgleichgewicht sinkt von 1:200-300 auf 1:50! Durch die HBO sinkt das Affinitätsgleichgewicht auf 1:17 am Hämoglobin, zudem wird das CO vom Myoglobin verdrängt und durch erhöhten Druck entsteht physikalisch gelöstes O2. Ohne HBO-Behandlung entstehen neurologische Spätkomplikationen bei 15 bis 40% der Patienten, unter HBO kann diese Rate auf 1,6% reduziert werden.   Die zeitliche Verzögerungen in diesem Fall sind bedauerlich, die Patienten profitieren von einer zeitnahen Einleitung der HBO, jedoch ist die "Ressource Druckkammer" leider oft rar…    

  5. Wäre bei wacher, orientierter Patientin zur Überbrückung der Zeit bis zum Beginn der HBO eine Oxygenierung per CPAP- Maske möglich gewesen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert