Fall des Monats Januar 2014

Alarmierungsmeldung um 23:00 Uhr:

Nachforderung des Notarztes durch RTW- Besatzung:

Männlicher Patient mit passagerer Halbseitenlähmung und nun zunehmender Eintrübung

 

Situation vor Ort:

5 min später Eintreffen des Notarztes am Einsatzort. Der Patient liegt bereits im RTW.

Die RTW-Besatzung berichtet, dass die Rettungsleitstelle von der Lebensgefährtin des Patienten aufgrund eines Kollaps ihres 41-jährigen Freundes im Badezimmer alarmiert worden sei.

Der 41-ährige Mann sei von der Arbeit gekommen und im Badezimmer kollabiert. Er habe (nach Angaben der Lebensgefährtin) unmittelbar anschließend ein verwaschenes, zunächst kaum verständliches Sprachbild geboten und habe den rechten Arm und das rechte Bein kaum bewegen können. Bei Eintreffen der RTW- Besatzung finden sie den Patienten auf dem Bett liegend vor mit nun allerdings klarem, unauffälligen Sprachbild und auch nicht eingeschränkter Beweglichkeit der rechten oberen und unteren Extremität.

Bei der orientierenden Primärdiagnostik fällt der FAST-Test nicht pathologisch aus . Die anschließend gemessenen Vitalparameter ( RR. Puls . SaO²) liegen im Normbereich.  BZ-Stix  130 mg%. Der 41-jährige Mann gibt Wohlbefinden an.

Befragt zur Vorgeschichte, erinnert sich der Mann an einen Fahrradsturz nach Kollision mit einem PKW vor zwei Wochen. Er sei daraufhin im Krankenhaus untersucht worden. Nach Untersuchung in der zentralen Notaufnahme und festgestellten multiplen Körperprellungen habe er wieder nach Hause gehen können.

 

Aufgrund der mitgeteilten Primärsymptomatik empfiehlt die RTW-Besatzung eine weitergehende Diagnostik und Überwachung in einem nahe gelegenen Krankenhaus. Der Patient willigt ein. Beim begleiteten Gang aus der Obergeschoss-Wohnung sei dann beim Treppen-Herabgehen plötzlich eine erneute Schwäche der rechten Körperseite aufgetreten, so dass der Patient beinahe gestürzt wäre. Auch das Sprachbild des Patienten  imponiere nun wieder verwaschen und war kaum verständlich. Der Patient wirkte leicht schläfrig. Der FAST-Test fällt nun positiv aus .

 

Daraufhin sofortige Nachalarmierung des Notarztes. Kontrolle der Vitalparameter : RR-Wert  140/ 80 mmHg , Puls 80 / min ohne Arrythmie, Sauerstoffsättigung bei 96 %

 

Notärztliche Erstuntersuchung:

Bei Eintreffen des Notarztes (4 Minuten später ) ist der Patient ist wach und reagiert auf Ansprache mit gerichteter Kopfwendung. Das Sprachbild des Patienten ist allewrdings verlangsamt. etwas kloßig, teilweise schwer verständlich.

Der FAST- Test ist pathologisch hinsichtlich der Gesichtsmimik und dem Armvorhalte-Test und auch der Sprache.

 

Die Lebensgefährtin des Patienten wird erneut zur Vorgeschichte befragt. Befragt zum Fahrradsturz vor zwei Wochen, teilt sie mit,  dass der Fahrradhelm ihres Freundes an der Außenseite gebrochen sei. Außerdem habe ihr Freund nach dem Sturz stärkeres Nasenbluten gehabt.

Außerdem sei ein Herzfehler bei ihrem Freund bekannt, der allerdings bisher wohl noch nicht behandelt werden müsste. Eine Präzisierung des Herzfehlers gelingt nicht.. Diesbezügliche Untersuchungsbefunde / klärende Unterlagen sind nicht vorhanden.

 

Bei der weitergehenden Untersuchung der Hirnnervenfunktion zeigt sich nun auch eine Pupillendifferenz rechts größer als links. Beide Pupille reagieren gut auf Licht und Konvergenz. Der Patient wirkt weiterhin leicht schläfrig, ist jederzeit ansprechbar.

 

Vitalparameter:

Blutdruck bei 145 / 90 mm HG. Puls 80 pro Minute mit rhythmischer Herzaktion. Sauerstoffsättigung bei 96 %. Blutzucker bei 135 mg/dl. Das Extremitäten-EKG-Ableitung zeigt einen Sinusrhythmus.

6 thoughts on “Fall des Monats Januar 2014

  1. Wurde im Krankenhaus ein CT / MRT gemacht, oder wurde der Patient so entlassen? Hört sich ja stark nach ICB an, welche sich langsam aber sicher bemerkbar macht…

  2. Ich glaube, dass die ICB zu nahe liegen würde und der Unfall nur begleitende Anamnese ist, die nunmal jeden direkt an eine solche Genieße denken lassen würde. Zumal der Patient noch recht jung ist. Aber er scheint kardiovaskulär vorbelastet zu sein durch den Anamnese bisher nicht behandelten „Herzfehler“…aufgrund der fluktuierende Symptomatik würde ich sofort an eine Carotisstenose denken und dadurch ein sich manifestieren Territoritalinfarkt -vorzugsweise linkshirnig(in diesem Fall)…Eine Symptomatik werdende ICB ….würde eher keine fluktuierende Symptomatik bieten….
    Ab in die Klinik: möglichst mit neurologischer und neurochirurgischer Fachabteilung und Angio- CT durchführen.

  3. Sorry für die von T4 verursachten Schreib- und Satzfehler….vom Smartphone gesendet ist eben doch anders als vom Laptop…

    Aber noch ein Nachtrag: vielleicht war die Ursache für den Unfall ebenfalls bereits eine solche Symptomatik…wurde eben nur nicht abgefragt!

  4. Klasse Fall, lehrbuchmäßig eindeutig und so selten dass die meisten der betroffenen Patienten versterben. 

    Hier darf man nicht an erster Stelle an ICB oder Neurologie denken, das bahnt die Klinik nur in die falsche Richtung und kann den Patienten das Leben kosten!  Notwendige Diagnostik ist hier ein Angio-CT nicht des Kopfes, sondern der gesamten Aorta.

    Hier steht wohl die fluktuierende neurologische Symptomatik im Mittelpunkt. Diese liegt, wie bereits vermutet, am Ehesten an einem Verschluss der Carotis. Da aber passager auftretend, kaum an einem Embolus oder einer Blutung intracranial, wie sollte sich diese zügig zurückbilden? Gut erklärbar ist sie durch einen Verschluss der Carotis durch eine Dissektionsmembran. Passager wechselnd sind das wahre und das falsche Lumen durchblutet. Entstanden ist die Dissektion bei dem offensichtlich schweren Trauma durch Anprall an einen PKW, so schwer, dass der Helm gebrochen ist. Durch seitenvergleichende Blutdruckmessung und Erhebung der Pulsstatus an allen Extremitäten kann die Verdachtsdiagnose weiter überprüft werden.

    Den Patienten retten kann in diesem Fall nur der Herzchirurg! Er läuft Gefahr zu verbluten oder im kardiogenen Schock bei Herzbeuteltamponade zu versterben! Daher sollte nach sofortiger Anlage großvolumiger Zugänge (nach Möglichkeit am linken Arm) der Transport in die nächste Kardiochirurgie stehen oder besser noch ins überregioalem Traumazentrum, wenn dort auch eine Kardiochirurgie vorhanden sein sollte. Die Voranmeldung lautet "V.a. traumatische Aortendissektion". Eine Blutdrucksenkung sollte vorsichtig auf Werte unter 120 mmHg systolisch erfolgen und eher mit Urapidil als Betablockern erfolgen.

  5. Weiterer Verlauf des Januar-Falls 2014:

    Transport des Patienten in die ZNA des Uniklinikums nach vorheriger Abfrage der neurochirurgischen OP-Bereitschaft und freier Betten auf der NC- Intensivsituation.

    Zum Zeitpunkt des Eintreffens in der ZNA der Uniklinik sind die Sprachstörung, die Pupillendifferenz und auch die sensomotorischen Ausfälle der Extremitäten nochmals signifikant rückläufig.

    Ein sofort veranlasstes CCT ergibt keinen Hinweis auf eine ICB, keine Ischämie-Befunde , keine Traumafolgen und somit zunächst  keinen klärenden Befund der o.g. Symptomatik bzw. des genannten Verlaufs.

    Ein am Folgetag nochmals veranlasstes CCT  zeigt allerdings nun einen frischen, jedoch eher kleinflächig ausgeprägten Thalamus-Infarkt.

    Im Rahmen der weiteren Überwachung des Patienten treten keine erneuten Ereignisse bzw. keine Befundverschlechterungen auf .

    Auffällig sind allerdings wiederholte hypertensive Blutdruckentgleisungen, woraufhin nach Rücksprache mit den Internisten eine antihypertensive Medikation mit Erfolg eingeleitet werden kann.

    Der Patient kann rasch remobilisiert werden und wird nach 6 Tagen ohne Defizite  aus der Uniklinik entlassen. Eine empfohlene Rehabilitationsmaßnahme lehnt der Patient ab.

     

    Dr. Gerrit Müntefering

    Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin

    Lessingstraße 26

    47445 Moers

     

     

     

     

     

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