Fall des Monats September 2022

Alarmierungsmeldung
Freitag 23:30 Uhr:

Anruf einer Frau mit fremdsprachigem Akzent bei der Leitstelle. Die Anruferin gibt an, dass Ihr Sohn plötzlich nicht mehr ansprechbar sei, aber noch atmen würde.

Situation an der Einsatzstelle:
6 Minuten nach Alarmierung Eintreffen des NEF an der Einsatzstelle. Wohnung einer türkischen Familie im Zentrum einer Kleinstadt in der 2.Etage eines Mehrfamilienhauses.

Angaben der Anruferin zum Verlauf:

Die türkische Frau berichtet, dass Sie ihren 25-jährigen Sohn gegen 23:15 Uhr in seinem Zimmer aufgefunden hätte und er auch auf lautes Ansprechen oder Schütteln nicht mehr reagiert habe. Atemzüge seien aber noch feststellbar gewesen.

Erstbefund:
25-jähriger bewußtseinsgetrübter Patient mit leichtgradiger Gesichtszyanose. Hypopnoe (~ 8 Atemzüge / Minute), enge Pupillen ohne Seitendifferenz.  Kein Foetor ex ore. Primärdiagnostik: RR: 105 / 70 mm HG, SpO2: 85 – 87 %. Trotz seiner Eintrübung kann durch laute Ansprache und Außenreize doch noch ein kurzes Augenöffnen und unverständliche Lautabgaben provoziert werden.

Bei Hinweisen auf eine Drogenintoxikation können von der Mutter des Notfallpatienten aber keine klärenden Auskünfte erhalten werden. Wenige Minuten später trifft der Bruder des Patienten ein. Daraufhin nochmalige Abfrage des Notarztes beim Bruder zur Vorgeschichte:

Dieser kann berichten, dass sein Bruder im letzten Jahr noch Heroin-abhängig gewesen sei. Er würde nun seit ca. 1 Jahr im Methadon-Programm therapiert bzw. substituiert.

Erstbehandlung:
Sauerstoffgabe über Nasensonde mit Flow 6 l/ Min.. Auch bei der Anlage eines intravenösen Zugangs reagiert der Patient auf den Schmerzreiz mit gerichteten Abwehrbewegungen des Arms. Blutzucker: 125 mg/dl.  EKG-Ableitung (mit unauffälligem Stromkurvenverlauf). SpO2 unter Sauerstoffgabe und lauten Atmungsaufforderungen (Komandoatmung) mit zusätzlichen Außenreizen nun 89 – 90 %.

 

Aufklärung der Angehörigen zu Behandlungsmöglichkeiten der Ateminsuffizienz.

Von der Mutter werden keine invasiven Maßnahmen zur Therapie der respiratorischen Insuffizienz gewünscht, da ihr Ehemann im vergangenen Jahr im künstlichen Koma verstorben sei.

Weiteres Vorgehen?

 

– Kommando-Atmung weiterführen?
– Antidot-Applikation?
– Endotracheale Intubation?

 

 

Dr. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin

Lessingstraße 26

47445 Moers

3 thoughts on “Fall des Monats September 2022

  1. Hallo, Heroin-Intox. Rückfällig geworden. Endet meistens in der Überdosierung.
    1) Antidot
    2) Eigensicherung
    3) mal sehen wie es dem Pat. geht.
    4) ggf. Kommando-Atmung
    5) ET Intubation nein

    Die Aussage der Mutter ist belanglos.

  2. Es schreit nach Opiat-Intox. Trotzdem sollte man sich zwingen, andere DD wie z.B. SHT/ICB in Betracht zu ziehen. Also ABCDE durchziehen und Prellmarken o.ä. am Kopf ausschließen. Gibt es evt. eine sichtbare Punktionsstelle? Isokore Pupillen sind doch schon mal gut. Die Hypogylämie ist bereits raus. Was Kardiales ist im Anbetracht des Alters unwahrscheinlich, EKG war ja auch unauffällig (wie ist die HF?).
    Für mich bliebe zunächst auch die Opiat-Intox führend. Mit einem Versuch der Antagonisierung kann man sich hier auch relativ schnell Klarheit verschaffen. Hierbei ist der Aspekt der Eigensicherung, wie von Frank bereits erwähnt, unbedingt zu beachten. Je nach dem, wie man die Position des Bruders einschätzt (hilfreich oder im Zweifelsfall kontaproduktiv/aggressiv) würde ich die Antagonisierung aber eher wagen. Zugang vorher gut sichern und Befürchtungen kommunizieren. Bei echten Bedenken den Pat. so wie er ist einpacken und das Ganze im RTW oder in der Klinik (Transportzeit?) angehen.
    Eine Intubation sehe ich hier erstmal gar nicht. Seitenlage in Absaugbereitschaft, O2 auf 12-15l, Kommandoatmung.
    Idealerweise Titration von Naloxon bis zur leichten Besserung (A und B stabiler, D leicht gebessert bis gleich). Damit hätten wir unsere Verdachtsdiagnose erhärtet und trotzdem noch einen Patienten, mit dem man umgehen kann => KH.
    Bei Ausbleibender Besserung rutschen die DDs in der Vordergund => zügiger Transport wie beschrieben. Falls die Klinik sehr weit weg ist, eventuell doch die Intubation erwägen (im RTW).
    Bei kompletter Reversion der Symptomatik Versuch der Mitnahme zum KH zur Überwachung wg. Rebound. Bei nicht handhabbarer Non-Compliance /Aggression Rückzug und Information der Familie über zu erwartenden Verlauf.

  3. Weiterer Verlauf des September-Falls 2022 :

    Der Notarzt hätte sich gerne an Frank und Steffi’s Vorschläge angeschlossen, aber…..

    Bei Entschluss zur Antidotgabe stellt sich heraus, dass Naloxon einige Tage zuvor im Rahmen einer Revision der Medikamentenliste aus dem Bestand genommen worden war, obwohl Naloxon selbst im Minimalbestand der Bremer-Antidotliste zu finden ist. (Diese aktuelle Änderung der Medikamentenliste und insbesondere deren Grund war dem involvierten Notarzt allerdings nicht bekannt).

    Daraufhin – bei persistierender und sogar leicht progredienter Bradypnoe mit nun schlecht motivierbarer Kommando-Atmung – Entschluß zur endotrachealen Intubation, die mit Midazolam, Esketamin und Rocuronium ohne weitere Medikation gelingt. Anschließend sofortige Normalisierung der Vitalparameter und deutlicher Anstieg der Sauerstoffsättigung.
    Im Verlauf des anschließenden Transports wird die Narkoseführung mit weiteren Midazolam-Gaben durchgeführt. Hierunter komplikationsloser weiterer Transportverlauf.

    Die Drogen-Intoxikation kann im angesteuerten Krankenhaus das sofort eingeleitete Screening bestätigt werden. Der aufnehmende Arztkollege der ZNA ist nicht gerade glücklich über den „intubiert“ angelieferten Patienten. Auf der Intensivstation der Klinik kann der Patient dann einige Stunden später wieder extubiert werden und verlässt das Krankenhaus (auf eigenen Wunsch) am nächsten Vormittag.

    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin
    Lessingstraße 26
    47445 Moers

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