Fall des Monats Mai 2022

Alarmierungsmeldung:

Notarzt-Nachforderung durch RTW
18-jährige Frau mit Nierenkolik

 

Situation vor Ort:

Das Notarzteinsatzfahrzeug betrifft 6 Minuten nach Alarmierung am Einsatzort ein. Die Patientin ist bereits im RTW auf der Trage gelagert. Die erstversorgende RTW-Besatzung informieren den Notarzt, dass bei der 18-jährigen Patientin eine Schwangerschaft in der 18. Schwangerschaftswoche bestehe.

Eine Flüssigkeitsdurchfeuchtung der Unterwäsche ist nicht aufgetreten. Auffälligkeiten beim Wasserlassen (dunkelbraune oder rote Urinverfärbung) werden von der Patientin nicht angegeben. In einer kurz vorher aufgetretenen Phase der Beschwerdebesserung konnte die RTW-Besatzung die Patientin bereits auf die RTW-Trage transferieren.

Bei aktuell noch fortbestehender Schmerzpause kann die Patientin zur Vorerkrankung und zur Vorgeschichte befragt werden. Sie gibt an, dass bei ihr die re. Niere im Alter von 10 Jahren aufgrund einer schweren Dysfunktion (Schrumpfniere?) entfernt werden musste.  Die nun festgestellte Schwangerschaft sei bis vor 1 Woche unauffällig verlaufen. Vor 1 Woche musste die Patientin jedoch dann aufgrund einer Pyelonephritis der verbliebenen linken Niere stationär in der heimatnahen Klinik aufgenommen werden.

Die stationäre Behandlung dauerte angabegemäß 3 Tage und ist 2 Tage vor dem jetzigen Ereignis vorzeitig (auf Drängen der Patientin / gegenärztliche Rat ) beendet worden.

Nun sind seit ca. 30 Minuten mehrmals stärkere intervallweise zunehmende linksseitige Flankenschmerzen aufgetreten, die kurzzeitig auch in den linken Unterbauch ausgestrahlt hätten.

Auffälligkeiten beim Wasserlassen oder ein Blut- oder Flüssigkeitsabgang im Schambereich mit Durchfeuchtung der Unterwäsche werden vom Notarzt nochmals abgefragt, aber von der Patientin ausdrücklich verneint, so dass   – in Anbetracht des Alters der Patientin und auch im Hinblick auf den trockenen Aspekt der getragenen Jogginghose – auf eine Inspektion des Introitus verzichtet wird.

Befragt zu weiteren Erkrankungen oder Unverträglichkeiten gibt die Patientin an, dass sie im Rahmen einer vor 4 Jahren durchgeführten Pelviskopie nach Beendigung der Narkose mit starker Übelkeit und Erbrechen reagiert habe. Man habe damals das Schmerzmedikament und das Beruhigungsmittel (Wirkstoff- oder Präparate-Namen unbekannt) als Ursache in Verdacht gehabt. Ein Allergie-Pass ist nicht vorhanden.

 

Erstmaßnahmen:

Anlegen eines intravenösen Zugangs und Gabe von Vollelektrolytlösung.

Anlegen der Pulsoximetrie und eines Extremitäten-EKG’s zum Monitoring

Blutdruck 110/70 mmHg, Pulsfrequenz zwischen 86 und 96 Schläge/min

Sauerstoffsättigung bei 94%.

 

Unmittelbar nach Anlage des i.v.-Zugangs tritt ein stärkerer Schub von Flankenschmerzen auf. Schmerzintensität nun 8 auf der NRS.

Ein Sonografie-Gerät wäre in dieser Situation natürlich sehr hilfreich gewesen, ist aber nicht bis dato nicht im Equipment des NEF.

Medikamentenbestand des NEF / RTW’s

Im Medikamentenbestand des NEF / RTW’s sind nachfolgende Medikamente zur analgetischen Therapie vorhanden:

– Fentanyl

– Morphiumhydrochlorid

– Metamizol

Nicht vorhanden ist:

– Paracetamol-Lösung zur i.v.-Gabe z.B. Perfalgan

 

Als Medikation mit spasmolytischer / zusätzlich spasmolytischer Wirkung sind vorhanden:

– Metamizol

– N- Butylscopolamin

– Nitrospray

 

Für Notfälle in der Schwangerschaft ist der Medikamentenbestand des RTW / NEF nur sehr dürftig ausgestattet (Oxytozin / Magnesium)

 

Weiteres Procedere?

 

Welche Zielklinik (Urologie? Geburtshilfe? kombiniertes Abteilungsangebot?)

 

 

Dr. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin

Lessingstraße 26

47445 Moers

3 thoughts on “Fall des Monats Mai 2022

  1. Anhand des beschrieben Falls liegt klinisch am führendsten der Verdacht nahe, dass es sich am ehesten um eine Nierenkolik handeln könnte, DD Rezidiv der Pyelonephritis, DD muss man natürlich in diesem Fall auch eine vorzeitige Wehentätigkeit im Auge behalten oder auch z.B. muskuloskelettale Ursachen. Dementsprechend ist eine Zielklinik mit geburtshilflicher Fachabteilung aus meiner Sicht auf jeden Fall erforderlich. Eine Nephrolithiasis kann meines Wissens nach auch primär in jeder Inneren Abteilung anbehandelt und dann sekundär einem Urologen zugeführt werden, meist gibt es für diese Fälle Konsilärzte im Haus.
    Medikamentös ist aufgrund der Schwangerschaft und der begrenzten Medikamentenauswahl natürlich Buscopan bei der Verdachtsdiagnose Nierenkolik sinnvoll. Novalgin wäre aufgrund des Risikos eines vorzeitigen Verschlusses des Ductus Botalli/Entwicklung eines Oligohydramnions (es gibt wohl mehrere Fallberichte) mit Vorsicht einzusetzen (laut http://www.embryotox.de).
    Schlußendlich würde ich als Anästhesist nach Ausschöpfung von Buscopan fraktioniert Fentanyl geben unter gleichzeitiger Antiemese mit z.B. Ondansetron und natürlich Beatmungs-Bereitschaft. Zur Not könnte man hier antagonisieren bei ernsten Problemen. Das Ziel ist ja präklinisch eine zufriedenstellende Analgesie für den Transport.
    Falls es sich um eine vorzeitige Wehentätigkeit handeln sollte, ist diese in der beschriebenen 18. SSW wahrscheinlich mit einem drohenden Abort assoziiert. Dann stellt sich wiederum die Frage, ob eine Frühgeburtlichkeit dann schon überlebensfähig wäre.

    Bin gespannt auf die Auflösung.

  2. Grundsätzlich würde ich mich Kollegen Santo anschließen, auch für Nitro ist eine Relaxation der glatten Muskulatur beschrieben, jedoch sollte ein deutlicher Abfall des systemischen Blutdruckes vermieden werden.

    Fentanyl und Morphin wären wie beschrieben möglich, wenn auch hier Spasmen der glatten Muskulatur vorstellbar sind, die besten Erfahrungen habe ich hier mit Pritramid, welches leider in den meisten Rettungsmitteln nicht verlastet ist, ebenso auch nicht das Perfalgan.

    Bei Einzelniere würde ich eher eine Klinik mit urologischer und gynäkologisch-geburtshilflicher Hauptfachabteilung ansteuern, u.U. ist hier bei Harnstau, sich konsekutiv ergebendem Harnwegsinfekt und eventuell auch drohendem postrenalem Nierenversagen eine zeitnahe Ableitung, z.B. Einlage einer Harnleiterschiene erforderlich.

  3. Hinsichtlich der Analgesie und der Zielklinik können die Empfehlungen der detaillierten und gut begründeten Kommentaren von Kollegen Santo und Kollegin MiScha sehr gut nachvollzogen werden, wobei allerdings die spasmolytische Therapie ( in der Empfehlung von Kollegen Santo) bei Arbeitsdiagnose „ Nierenkolik“ in der S2k-Leitlinie bis dato in der Diskussion steht.

    Weiterer Verlauf des Juni-Falls 2022:

    Nach telefonischer Rücksprache mit der diensthabenden Gynäkologin der vorbehandelnden geburtshilflichen Abteilung könnte unter Berücksichtigung des ihr mitgeteilten RTW-Medikamentenbestandes – bei Nicht-Vorhalten von Paracetamol – auch Opiode bei eingesetzt werden.
    Es wird eine bequeme entspannte Lagerung der Patientin mit Knierolle eingeleitet und ein zügiger Transport mit Sondersignal in das vorbehandelnde Krankenhaus mit höher qualifizierter geburtshilflicher Abteilung und urologischer Belegabteilung gestartet.
    Während des Transportes erfolgt nach Vorinjektion von Dimenhydrinat die intravenöse fraktionierte Gabe von Morphin, wodurch zumindest zeitweilig eine Beschwerdereduktion erreicht werden kann.
    Die Patientin wird sofort in die Notaufnahme der gynäkologischen Abteilung transportiert und der diensthabenden Gynäkologin vorgestellt.
    Unmittelbar nach Beendigung der Übergabe wird der Notarzt zu einem neuen Einsatz gerufen.
    Nach späterer Abfrage zum weiteren Behandlungsverlauf wird vom Oberarzt der gynäkologischen Abteilung mitgeteilt, dass bei der vaginalen Untersuchung ein komplett geöffneter Muttermund festgestellt wurde, woraufhin die Beendigung der Schwangerschaft eingeleitet wurde.
    Das vorbeschriebene Entzündungsereignis (Pyelonephritis) wird als maßgeblich auslösend für diesen Verlauf angesehen.

    Stellungnahme zur Behandlung von Nierenkolik-Symptomatik während der Schwangerschaft (S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie / Embryotox ):
    Während der gesamten Schwangerschaft und in der Stillperiode können Paracetamol und Opioide gegeben werden. Bei medikamentös behandlungspflichtigen Schmerzen gehört Paracetamol in jeder Phase der Schwangerschaft zu den Analgetika der Wahl.
    Nicht-steroidale Antiphlogistika wie das Paracetamol sind – laut S2k-Leitlinie – in der Behandlung der akuten Nierenkolik effektiv und den Opioiden überlegen.
    Analgesie-Empfehlung von Embryotox: Schmerzmittel der ersten Wahl sind Paracetamol oder bis Schwangerschaftswoche 28 Ibuprofen. Von den zentral wirksamen Analgetika kommen auch Tramadol oder Buprenorphin in Betracht.

    N-Butyl-Scopolamin hat – laut S2k-Leitlinie – keinen Einfluss auf den Nierendruck, relaxiert nur in sehr hohen Dosen den peripheren Harnleiter und sollte somit nicht eingesetzt werden.

    NSAIDs sollen während der Schwangerschaft nur im Rahmen einer Risiko-Nutzen Abwägung gegeben werden.

    Nachbearbeitung des Juni-Falls 2022:
    Aufgrund des genannten Fallverlaufs wird mit dem ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes über eine Ergänzung des Medikamentenbestandes von NEF und RTW mit Paracetamol zur i.v.-Injektion gesprochen.

    Eigene Erfahrung zur Analgesie bei Nierenkolik ( siehe auch Kommentar von Kollegin MiScha ): Piritramid wird in vielen mir bekannten urologischen Abteilungen sehr gerne bei Nierenkoliken eingesetzt.

    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin
    Lessingstraße 26
    47445 Moers

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