Fall des Monats Juli 2019

Alarmierungsmeldung:

Alarmierung am frühen Samstagnachmittag im Juli 2006  um 13:32 Uhr, Einsatzstichwort: Tauchunfall

Situation vor Ort und Vorgeschichte :

Eintreffen des RTW um 13:35 Uhr  am Einsatzort. Das NEF ist 3 Minuten später vor Ort. Einsatzort ist der sogenannte Tauchereinstieg an einem bei Wassersportlern sehr beliebten, rekultivierten ehemaligen Baggersee.

Bei Eintreffen des NEF hat die Besatzung des RTW’s einen 59-jährigen Patienten bereits „an Land“ in Empfang genommen. Der Mann hat sein Tauchgerät bereits abgelegt . Der Ganzkörperneoprenanzug ist im Oberkörperbereich geöffnet.  Er ist auf die RTW-Besatzung zugelaufen und ihnen mitteilt, dass er nur mal eben zum „Nachgucken“ ins nächste Krankenhaus wolle.

Der adipöse Patient ist erkennbar verschwitzt und vom Aspekt her etwas blaß. Er ist voll orientiert, GCS 15. Eine leichte Dyspnoe ist feststellbar. Er berichtet, daß er mit seinen zwei „Tauchbuddies“ (bedeutet in Taucherkreisen „Kumpel unter Wasser“) einen Tauchgang unternommen habe. Die Tauchzeit habe etwa 30-35 Minuten betragen. Als man einen Tauchpartner bei schlechter Sicht verloren habe, sei man vereinbarungsgemäß aufgetaucht, um sich an der Wasseroberfläche zu treffen. Beim Aufstieg seien die Sicherheitsregeln des Tauchens angabegemäß befolgt worden.

Direkt nach Erreichen der Wasseroberfläche sei es bei dem 59-jährigen Mann dann zu Übelkeit, Hustenanfällen mit subjektiver Dyspnoe gekommen. Er sei daraufhin von seinen Tauchpartnern in Rückenlage ans Ufer gebracht worden.

Erstuntersuchung:

Der Patient wird  zum RTW geleitet und dort untersucht:

Der Patient betont nochmals, daß es ihm gut gehe und man doch nicht so viel Aufwand betreiben müsse, schließlich habe er  bei einem Tauchgang vor einigen Jahren bereits ein ähnliches Ereignis durchlebt. Damals sei er danach von einem Pulmonologen untersucht worden, der jedoch keine Ursache für das Ereignis habe finden können.

Es finden sich keine äußeren Verletzungen, keine peripheren neurologischen Ausfälle.

Vitalparameter bei der Erstuntersuchung : RR 170/100 mmHg, Puls 150/min , SaO2 79% , Atemfrequenz 16/min

Auskultatorisch sind beide Lungen seitengleich belüftet, es finden sich feinblasige Rasselgeräusche über beiden Lungenflügeln. Der Patient beklagt eine leichte subjektive Atemnot, aber eigentlich kaum Schmerzen. Auffällig ist der fortbestehende Reizhusten. Es wird hellrot-schaumiger Auswurf exspektoriert.  Außerdem besteht eine leichte Übelkeit. Ein Hautemphysem findet sich nicht.

EKG-Ableitung : Sinustachykardie, Steiltyp ohne weitere Auffälligkeiten

BZ-Stix: 134 mg/dl

Erstmaßnahmen:

Sofort wird über eine Maske Sauerstoff verabreicht mit einem Flow von 14 l / Minute. Daraufhin Anstieg der SaO2 auf 92% . Der Patient mit erhöhtem Oberkörper gelagert, ein venöser Zugang gelegt und – zur Verbesserung der Rheologie – 500 ml HAES infundiert. Darüber hinaus wird der Patient durch eine Decke vor dem Auskühlen geschützt.

Das Tauchgerät und der Tauchcomputer des Patienten werden sichergestellt. Der Tauchcomputer verbleibt am Patienten.

Wie soll weiter vorgegangen werden?

Zielklinik ?

Tauchunfall ? (Ist ein Tauchunfall bei mitgeteilter Beachtung der Sicherheitsregeln aus einer Tauchtiefe von 8 m überhaupt möglich?)

Dr. med. Frank Höpken
Facharzt für Chirurgie / Notfallmedizin
Ärztlicher Leiter Rettungsdienst Kreis Wesel


Achtung ! Erratum!

Leider ist mir als verantwortlicher Gegenleser in der Rubrik „Fall des Monats“ direkt in der Einleitung des Falls ein sicherlich diskussionsanregender Fehler unterlaufen.

Ich hatte leider unterschlagen,  dass es sich um einen sehr interessanten Fall von dem immer wieder aktiven Frank Höpken handelt  ….. aber…. älteren Datums , nämlich aus unserem Archiv Jahrgang 2006.

Deshalb sollte der Leser des Falls die beschriebenen Erstmaßnahmen unter dem früher geltenden Behandlungsstandards sehen.

Heute würde man sicherlich kein HAES mehr infundieren !

3 thoughts on “Fall des Monats Juli 2019

  1. Der Patient hat keine Hautsymptomatik, die Tauchtiefe und -dauer ist nicht sonderlich beeindruckend, er hat keinen überstürzten Aufstieg hinter sich. Ein typischer Tauchunfall dürfte hier ausscheiden.
    Trotz unauffälligem EKG, aber bei Tachykardie, Dyspnoe, schaumigem Auswurf ist er verdächtig auf eine Lungenembolie aus anderer Ursache. Gibt es einen Hinweis auf Thrombose? Evtl. hat er eine Gerinnungsstörung, die auch das frühere Ereignis erklärt?
    Das Häs hätte ich mir verkniffen. Zügig unter Notarztbegleitung zur nächsten geeigneten Klinik/Kardiologie mit Intensivstation, symptomatische Therapie fortsetzen.

  2. Prinzipiell kann ein Tauchunfall ja auch in flachem Wasser auftreten, die ersten bzw. letzten Meter sind ja bekanntermaßen die Entscheidenden. Meiner Meinung nach ist das hier keineswegs ausgeschlossen und weitere Beobachtung auf neurologische oder arthralgische Beschwerden ist unbedingt erforderlich. Selbstverständlich sind weitere Differenzialdiagnosen denkbar, also alles was auch „über Wasser“ in Frage kommt (die genannte LAE, Lungenkontusion, Ruptur thorakaler Strukturen, etc. pp). Unter Sauerstoffgabe in die nächste Klinik mit Intensivkapazität, CT- und Bronchoskopiemöglichkeit sowie im besten Fall tauchmedizischer Expertise ist sicherlich erforderlich. Zudem sollte zumindest geklärt werden, welches HBO-Zentrum in der Umgebung verfügbar wäre.

  3. Weiterer Verlauf des Juli-Falls 2019 (Archiv Jahrgang 2006):

    Unter der Arbeitsdiagnose eines Barotraumas nach Notaufstieg wird ein RTH zur Einsatzstelle geordert und der nächste freie Platz in einer Druckkammer abgefragt. Zur Thrombozyten-Aggregationshemmung wird 500 mg Acetylsalicylsäure (Aspirin®), 40 mg Dexamethason (Fortecortin®) und 10 mg Metoclopramid (Paspertin®) i.v. appliziert.
    Der zuständige Kollege der Druckkammer wird über Handy über die Symptome, den Zustand und die bisherige Therapie informiert. Dieser sieht eine klare Indikation zur Rekompressionsbehandlung / hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO). Die Bereitschaft wird alarmiert, innerhalb einer Stunde ist die Kammer einsatzbereit.
    Mit dem eintreffenden RTH wird der spontan atmende, kreislaufstabile Patient unter Fortführung der Sauerstoffgabe ins Institut für hyperbare Sauerstofftherapie geflogen. Dort bestätigt sich das Vorliegen eines Barotraumas der Lunge mit einem Lungenödem beidseits. Es wird direkt eine Rekompressionsbehandlung durchgeführt.
    Der Patient ist im Verlauf stabil, neurologische Ausfälle treten nicht auf. Zwei weitere HBO-Behandlungen werden durchgeführt, schlußendlich wird der Patient in gutem Allgemeinzustand nach siebentägigem stationärem Aufenthalt in die ambulante Behandlung entlassen.
    Als Vorerkrankung besteht eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung sowie eine Adipositas. Es wird ein dreimonatiges Tauchverbot ausgesprochen, danach ist Sporttauchen erst wieder nach einer tauchärztlichen Grunduntersuchung möglich.

    Das Beispiel zeigt, daß gerade bei oberflächennahen Tiefen ein Barotrauma möglich ist, Taucher dies jedoch zum Teil unterschätzen und etwaige Symptome nicht dem Tauchgang zuordnen. Eine zeitnahe Verbringung in eine Druckkammer zur Rekompressionsbehandlung ist indiziert.

    Dr. med. Frank Höpken
    Facharzt für Chirurgie / Notfallmedizin
    Ärztlicher Leiter Rettungsdienst Kreis Wesel

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