Fall des Monats Oktober 2018

Alarmierungsmeldung gegen 8 Uhr morgens :

Bewusstlose weiblichen Person (76 Jahre) in Wohnung

Situation vor Ort und Vorgeschichte:

Fast zeitgleiches Eintreffen von NEF und RTW 9 Minuten nach Alarmierung an einem Mehrfamilienhaus im Zentrum einer Kleinstadt. Das Rettungsteam betritt die gepflegte Eigentumswohnung eines älteren Ehepaares.

Der 79-jährige Ehemann der Notfallpatientin hatte die Rettungsleitstelle angerufen, als er am Morgen (bei getrennten Schlafzimmern) seine Frau in ihrem Schlafzimmer regungslos neben dem Bett liegend vorgefunden hatte.
Aufgrund der eingeschränkten geistigen Differenziertheit und der Schwerhörigkeit des betagten Ehemanns ist die Anamnese-Erhebung hinsichtlich der Vorerkrankungen der Notfallpatientin etwas erschwert. Seine Ehefrau sei wegen Herzproblemen sporadisch in ärztlicher Behandlung gewesen. Zuletzt sei sie vor ungefähr 3 Monaten beim Hausarzt gewesen. Auch ein zerebrales Krampfleiden sei bei seiner Frau bekannt. Der letzte Anfall sei vor ca. 1 Jahr abgelaufen. Ob es ein Krampfleiden mit großen Krampfanfällen oder mit fokalen Krampfereignissen sei, kann vom Ehemann nicht sicher mitgeteilt werden. Sie sei aber im Rahmen dieser Krampfereignisse in der Regel nicht ansprechbar gewesen. Außerdem sei sie aufgrund einer depressiven Symptomatik mit Suizidversuch vor 3 Jahren stationär behandelt worden. Seine Frau musste im Anschluss dann regelmäßig Medikamente einnehmen. Auch mit dem Blutzucker sei seit kurzem etwas nicht in Ordnung. Die Blutzuckerproblematik soll aber in Bälde noch genauer abgeklärt werden.

Erstbefund:

75-jährige Frau bewusstlos auf dem Boden liegend. Keine kantigen Möbelstücke als potentielle Verletzungsquellen in der Nähe. Keine Blutspuren im Umfeld. Atmung flach, auskultatorisch unauffällig. Radialispuls verlangsamt tastbar.

Bei der Augeninspektion mittelweite lichtreagible Pupillen, Glagow-Coma-Scale 5, RR 80/40 mmHg, Frequenz 46/Min, SaO2 89%, BZ 57 mg/dl.

Ableitung eines 12-Kanal-EKG: Bradykarder Sinusrhythmus mit Linksschenkelblock.

Im Rahmen der dann durchgeführten etwas mühsamen Mundhöhleninspektion kein erkennbarer Zungenbiß.

Kein Einnässen.

Bei der  weiteren orientierenden Untersuchung der Patientin keine Traumafolgen feststellbar, keine Extremitätenfehlstatik.
Medikamentenliste :  u.a. Ass100, Nexium 20 (Protonenpumpenhemmer), Metoprolol 100mg ( Betablocker) , Norvasc ( Amlopidin) 5, Delix 5 ( Ramipril) , Torem 5 ( Torasemid) , Levetirazetam (Antikonvulsivum) , Lamictal (Antikonvulsivum), Stangyl( trizyklisches Antidepressivum)   Die Ehefrau nehme ihre Tabletten bisher immer selbständig ein.

Arztbriefe oder Krankenhausentlassungsbriefe können vor Ort nicht vorgelegt werden. Daher ist auch nicht in Erfahrung zu bringen, ob der oben genannte Linksschenkelblock neu aufgetreten oder schon bekannt ist.

Somit unklare Vigilanzminderung.

Erstbehandlung :

Die Patientin erhält über einen peripheren Zugang im Unterarmbereich Glucose 40 % infundiert. Gleichzeitig Sauerstoffgabe über Nasensonde und bei GCS  von 5 Vorbereitung der Intubationsutensilien.

Nachdem das zügige Infundieren der Glucose-Lösung keine Zustandsänderung bewirkt, zeitnaher Entschluss zur Atemwegssicherung. Die Patientin bei Hinweisen auf eine Low-Output-Situation im Rahmen eines kardiogenen Schocks endotracheal intubiert.

Die endotracheale Intubation ist mit Midazolam, Etomidate und Succinylcholin ohne Schwierigkeiten durchführbar.

Unter Volumengabe und gleichzeitiger Gabe von Dobutamin über Perfusor können bereits zu Transportbeginn verbesserte Vitalparameter gemessen werden: RR 120/70mmHg, Frequenz 60/Min, SaO2 97%.

Die Brustwandableitung des nun erstellten Kontroll-EKG’s  sieht wie folgt aus:

Die Patientin wird in ein Klinikum mit erweitertem Behandlungsspektrum ( Kardiologie / Neurologie / Neurochirurgie ) transportiert.

Welche Verdachtsdiagnose könnte gestellt werden ?

Dr. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin

Lessingstr. 2647445 Moers

2 thoughts on “Fall des Monats Oktober 2018

  1. Weiterer Verlauf des Oktoberfalls 2018 :

    Die Patientin wird unter Beibehaltung der Dopamin-Gabe auf der Intensivstation weiterbetreut.
    Ein auf der Intensivstation eingeleitetes Intoxikations-Screening ergibt einen deutlich positiven Substanzgruppen-Nachweis für Beta-Blocker
    Daraufhin wird eine Glucagon-Gabe eingeleitet => initial als 5 mg Bolus, dann in der Dosierung von 2 bis 5 mg/Stunde.

    Die Glucagon-Therapie ist eine hochwirksame und eine üblicherweise gewählte Methode bei der Bekämpfung von Beta-Blocker-Vergiftung bei Patienten, da es die Fähigkeit hat, die Beta-Rezeptorstellen umzugehen und von den Aktionen von Betablockern unberührt zu sein. Zusätzlich hat es den Effekt , der Bradykardie entgegenzuwirken. Indem Glukagon die Herzfrequenz erhöht, verbessert Glukagon auch die myokardiale Kontraktilität und AV-Leitung.

    Die Patientin kann bereits am Folgetag ohne verbleibendes neurologisches Defizit extubiert werden.
    Nach Angaben der nun befragbaren Patientin war es bereits der 2. Suizidversuch mit Überdosierung eines Betablockers.

    Die Patientin kann 4 Tage nach Aufnahme – auf eigenen Wunsch – in eine weiterbetreuende psychiatrische Abteilung verlegt werden.

    Die Diagnose einer Intoxikation in suizidaler Absicht war im aktuellen Fall erschwert gewesen, da auch keine leeren Tablettenblister oder Tablettenschachteln im Umfeld aufzufinden waren.

    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 2647445 Moers

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