Alarmierungsmeldung gegen 11:30 Uhr:
Nicht ansprechbare Frau in Wohnung / 80 Jahre
Informationen zur Anamnese beim NA-Eintreffen in der Wohnung:
Es besteht der Z.n. Herzklappenersatz und ein persistierendes Vorhofflimmern mit Marcumar-Dauermedikation. Bekannnte Herzinsuffizienz , Bekannter Insulinpflichtiger Diabetes mellitus. Arterielle Hypertonie. Außerdem chronisches Schmerzsyndrom bei Osteoporose mit Wirbelsäulensinterung.
Die 80-jährige Patientin war nun um 11: 20 Uhr von den Angehörigen bewusstlos im Bad aufgefunden worden. Das Bad befindet sich auf „halber Treppe“ zwischen zwei Etagen.
Von einem Treppenabsatz führt eine Tür ins Bad.
Erstbefund:
Atemwege frei, unauffällige Sponatanatmung: 14/min. SaO 2 : 95 % bei Raumluft. Hämodynamisch bietet die 80-jährige Patientin eine hypertensive Entgleisung.
Bludruck systolisch bei 210 mmHg. Blutzucker 120 mg/dl.
GCS bei Ankunft : kein Augenöffnen, unverständliche Laute , auf Schmerzreize gezielte Abwehr => GCS-Wert von 8.
Die rechte Pupille ist weit und lichtstarr, die linke Pupille ist eng und lichtreagibel.
Die Patientin zeigt keine Anzeichen einer äusseren Verletzung.
Nach Angaben der Angehörigen ist bisher keine Augenoperation bei der 80-jährigen Frau durchgeführt worden.
Erstmaßnahmen vor Ort:
Gabe von Sauerstoff mit Flow von 5l/ Min. Anlage eines i.v. Zugangs.
Bei GCS von 8 erfolgt zur Atemwegssicherung die Narkoseeinleitung zur endotrachealen Intubation.
Narkoseeinleitung mit 0,5mg Fentanyl und 15 mg Midazolam. Daraufhin problemlose endotracheale Intubation, Pulmo seitengleich belüftet. Hämodynamisch ist die Patientin nach kurzzeitigem Blutdruckabfall unter Narkosemedikation dann weiterhin hypertensiv mit Blutdruck von 160 / 120 mmHg.
Ebenfalls weiterbestehende Pupillendifferenz.
Welche Arbeitsdiagnose würden Sie stellen ?
Welche Zielklinik würden Sie ansteuern ?
Dr. Richard Adler
FA für Anaesthesie, spezielle Notfallmedizin
Sürther Hauptstr. 214
50999 Köln
Dr.richard.adler@web.de
Auf Grund der Auffindesituation (Treppe zum Bad) und der medizinischen Vorgeschichte (OAK mit Marcumar bei VHF und Klappenersatz), sowie der präsentierten Klinik (Pupillendifferenz, hypertensive Entgleisung, GCS 8) wäre meine Arbeitsdiagnose eine intrakranielle Blutung. Ob es sich um eine traumatische Blutung oder eine primär hypertensive Blutung handelt, kann ohne CT nicht festgestellt werden. Da die Patientin keinerlei weitere Verletzungszeichen aufweist, ist vielleicht eine primär hypertensive Blutung etwas wahrscheinlicher. Bei einem Treppensturz unter Marcumar wären äußere Verletzungen doch höchst wahrscheinlich. Trotzdem würde ich bei unklarer Auffindesituation eine Wirbelsäulenimmobilisation mit Stifneck und Vakuummatratze vornehmen und die nächste Neurochirurgie via Schockraum anfahren.
Weiterer Verlauf und Auflösung beim Fall des Monats Dezember 2020:
Einlieferung in die ZNA der Universitätsklinik mit neurochirurgischer Voranmeldung
Im dort unverzüglich eingeleiteten Kranio-CT ist keine intrakranielle Blutung nachweisbar ! Eine neurochirurgische Intervention ist nicht notwendig, deswegen ist die Verlegung ins heimatnahe Krankenhaus zur Weiterversorgung möglich.
Dort zeigen sich in einem kurze Zeit später veranlassten Folge-Kranio-CT Anzeichen eines abgelaufenen Stammhirninfarktes.
Die Ursache des Sturzereignisses und die Primärsymptomatik der Patientin wird daraufhin besser nachvollziehbar :
Die Patientin hatte auf der Treppe einen Stammhirninfarkt erlitten und stürzte durch die offene Tür ins Bad.
Bei dem Stammhirninfarkt ist ein Kern des N. Oculomotorius betroffen gewesen und führte so zur einseitigen Pupillendilatation, die auch noch nach Narkoseeinleitung fortbestand.
Die Pupillendifferenz beruhte somit nicht auf einer intrakraniellen Blutung durch ein Sturzereignis unter Antikoagulantien-Medikation, sondern auf einer ischämischen Schädigung des N. occulomotorius im Rahmen eines Stammhirninfarktes.
Dr. Richard Adler
FA für Anaesthesie, spezielle Notfallmedizin
Sürther Hauptstr. 214
50999 Köln