Fall des Monats September 2017

Notfallmeldung am Freitag um 23:00 Uhr:
Nicht ansprechbare Person

Eintreffsituation: 
NEF und RTW treffen nach 5 Minuten kurz nacheinander an der angegebenen Adresse (2-stöckiges Wohnhaus) ein. Überraschenderweise ist die Polizei auch bereits vor Ort. (Grund des Polizei-Einsatzes war ein Anruf wegen Ruhestörung betreffend diese Wohnung). Die Ruhestörung war jedoch zum Eintreffzeitpunkt der Polizeistreife bereits beendet. Stattdessen werden die Beamten von einem in der Wohnung anwesenden erheblich alkoholisierten Mann aufgeregt ins Wohnzimmer geführt. Der Mann teilte den Beamten mit, dass sein Freund beim Trinken des (angeblich) vierten Kölsch-Glases plötzlich nach Luft geschnappt hätte und „ohnmächtig" geworden sei. Die anwesende Polizeibeamtin berichtet zur Situation vor Ort, dass sie den zweiten in der Wohnung anwesenden „Ruhestörer“ auf dem Rücken liegend vorgefunden habe. Bei einer orientierenden Erstuntersuchung durch die Beamten sei der regungslos liegende Mann auch bei heftigerem Rütteln an den Schultern nicht erweckbar gewesen. Außerdem sei auch eine Atemtätigkeit festzustellen gewesen. Sie hätten den Mann daraufhin sofort in die stabile Seitenlage gebracht.

Daraufhin Frage des Notarztes, warum die Beamten denn nicht mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen hätten. Die Antwort der Beamtin auf diese Frage lässt sich erahnen und soll nicht weiter diskutiert werden (Das genannte Vorgehen wurde aber im Rahmen der Einsatznachbesprechung nochmals sehr deutlich kommentiert).

Im Wohnzimmer der Parterrewohnung findet das Rettungsteam einen männlichen Patienten mittleren Alters vor, der regungslos in einer nicht ganz korrekt hergestellten stabilen Seitenlage auf dem Boden liegt.
Erstbefund und Erstmaßnahmen: 
Zeitgleich zur Befragung hat ein Rettungsassistent den reaktionslosen Patienten auf den Rücken gedreht. Nach Freimachen der Atemwege ist keine Atemtätigkeit feststellbar. Auch ohne Atemtätigkeit ist allerdings ein erheblicher Foetor alkoholicus wahrzunehmen. Der Patient ist leicht zyanotisch.

Daraufhin sofortiger Beginn mit der kardiopulmonalen Reanimation. Die Elektroden der EKG-Defi-Einheit lassen sich auf dem schweißnassen, stark behaarten Thorax nur unter Schwierigkeiten fixieren. Die Intubationsutensilien werden vorbereitet. Über die Elektroden lassen sich allerdings regelrecht geformte schmale Kammerkomplexe in einer Frequenz 105 / Min. ableiten. Bei der ersten Ventilation über Beatmungsbeutel wird ein massiv erhöhter Widerstand spürbar, daraufhin nochmalige Optimierung der Kopfposition. Nach dem ersten Zyklus der Herzdruckmassage ist der Beatmungswiderstand dann aber spürbar geringer. Der Check des Karotispulses ergibt schwach tastbare Pulsationen. Pulsoxymetrie SaO2: 84 %. RR: 80/50 mmHg. Durch weitere Reklination des Kopfes lässt sich noch eine geringfügige Verbesserung bringen. SaO2 nun bei 87 %. Die Inspektion der Mundhöhle nach eventuellen Fremdkörpern ist negativ.

Vorschläge zum weiteren Procedere?

 

Dr. Gerrit Müntefering
Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers

3 thoughts on “Fall des Monats September 2017

  1. A und B nicht gesichert, C vorhanden

    daher 

    -rasche Atemwegssicherung mittels Intubation, ev FK in den oberen Atemwegen vorhanden? Bergung, Absaugung?, kontrollierte Ventilation

    obwohl nicht aus dem Text ersichtlich, ob Pat. komatös oder noch Abwehrbewegungen vorhanden, GCS? da Widerstand bei ersten Beatmung (FK?, Abwehr); daher ev. vor Intubation Anlage PVK, Infusion, Einleitung Notfallnarkose

    -ansonsten nach Intubation Anlage PVK, BZ-Messung, Kristalloide, ev Sedierung

     

    A: gesichert

    B: gesichert bei Besserung Sp02, Zyanose, Ausschluss Ptx

    C: Bodycheck, Blutung?

    12-Kanal EKG, Ausschluss Ischämie, Rhythmusstörung, Anlage Arterie, BGA, Elyte, ev Katecholamine, USKG wenn vorhanden zur Orientierung

    D: Pupillenstatus, intrakranielles Geschehen?

    E: erweiterter Bodycheck, Verletzungen?, Anamnese? AMPLE

    rascher Transport in Klinik mit Maximalversorgung, ev. PCI bei Ischämie?, kardiogener Schock (Pat. schweißnass) DD: Hypoglykämie bei C2 -Abusus –>Ohnmacht, Hypoxischer HKS?

     

     

  2. Die Polizeibeamten vor Angehörigen / Bekannten zu fragen, weshalb keine Reanimation begonnen wurde, halte ich für recht "unkollegial" (auch wenn es keine Mitarbeiter des Rettungsdienstes sind), zur Sache nichts beitragend und sicherlich auch im Nachhinein noch ergründbar. Vielmehr würde ich als Nortarzt die umgehende, persönliche Untersuchung des Patienten mit entsprechender Einleitung der notwendigen Maßnahmen deutlich in den Vordergrund stellen, anstatt sinnlose Diskussionen zu führen. 

    Zum medizinischen Sachverhalt: Pat mit Apnoe. Puls initial??? Umgehende Reanimation mit ROSC nach einem Zyklus. Ob initial tatsächlich ein Kreisluafstillstand vorlag ist fraglich. Bei persistierender respiratorischer Insuffizienz ITN (FK in der Laryngoskopie?) und weitere übliche Stabilisierung / Diagnostik soweit vor Ort möglich. 

    Viel interessanter erachte ich aber die Anamnese: Warum wird bitte die Polizei bei Ruhestötung alarmiert um dann eine Todesstille vorzufinden?! Ich habe schon mehr als vier Glas Kölsch getrunken und sicherlich lauter gesungen als manche Hausordnung es zu später Stunde erlaubt hätte. Mich musste hiernach aber noch niemand wiederbeleben… Etwas stinkt hier und sollte an eine körperliche Auseinandersetzung denken lassen, ggf. Gewaltverbrechen mit entsprechenden Verletzungsmustern – E (Exposure/Environment) nicht vergessen!!!

  3. Weiterer Verlauf des Oktoberfalls 2017:

    Der Fremdköper ist in beiden Diskussionbeiträgen bereits angesprochen worden.

    Die Narkose-Einleitung mit Etomidat und Midazolam führen schon in geringer Dosierung und vor Succinyl-Injktion zum erkennbaren Erschlaffen des Muskeltonus. Der Notarzt ergreift das Laryngoskop. Bei dem Versuch der Einstellung der Glottisebene kommt es dann jedoch zu einem kurzen Würgereiz, wobei ein Fremdkörper oberhalb der Glottisebene sichtbar wird. Dieser Fremdkörper kann mit der bereitliegenden Magill-Zange geborgen werden. Die befürchtete Regurgitation von Mageninhalt mit Aspiration bleibt aus. Der Fremdkörper erweist sich als höckerig konturierter Kaubonbon. Das Laryngoskop wird entfernt.

    Bei nur kurzdauernder Sedierungswirkung der niedrigdosierten Narkoseeinleitung ist eine zunehmende Eigenatmung des Patienten erkennbar, so dass vorsichtig assistiert beutelbeatmet wird. Die Sauer­stoffsättigung steigt unter assistierter Beutelbeatmung mit Reservoirbeutel auf 92 % an. Das EKG zeigt einen tachykarden Sinusrhythmus Frequenz 105/min. Der Blutzucker-Stix ergibt einen Wert von 120 mg % Blutdruck beträgt 140/90 mmHg. Die Sauerstoffsättigung steigt weiter auf 94 %.
    Der Patient wird deutlich wacher und spürbar unruhig mit Abwehrreaktion. Es ist eine massive Alkoholfahne feststellbar. Die noch anwesende Polizei kann nun doch noch aktiv werden. Bei zunehmender Aggressivität wird der überwachungsbedürftige Patient unter leichter Handanlage und Polizeibegleitung in die Klinik transportiert. Beim Alkoholtest ergibt sich ein Alkoholspiegel von 2,5 Promille.

    Durch die unverzüglich begonnene Basisreanimation und Thoraxkompression ist hier offensichtlich eine partielle Fremdkörpermobilisation gelungen. Nach dem ersten Zyklus der Herzdruckmassage wurde der Beatmungswiderstand spürbar geringer mit leichtem Anstieg der Sauerstoffsättigung von 84 % auf 87 %.

     

     

    Dr. Gerrit Müntefering
    FA für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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