Fall des Monats März 2015

Zur Leitungs- und Weisungsbefugnis des ersteintreffenden Notarztes bei Notfällen mit mehreren Verletzten

 

Alarmierungsmeldung:

Am Samstagmorgen um 05:30 Uhr Nachforderung des Notarztes des Nachbarstandortes zu einem Verkehrsunfall im benachbarten Kreisgebiet mit 2 beteiligten Fahrzeugen.

 

Situation vor Ort:

Bei Eintreffen der nachgeforderten NEF-Besatzung am Einsatzort ist folgende Situation erkennbar: Frontalkollision eines Kleinwagens mit einem größeren Kombi-PKW der Mittelklasse.

Am Unfallort befinden sich das ersteintreffende NEF und 2 RTW’s.

 

Der nachgeforderte Notarzt wird vom Fahrer des ersteingetroffenen NEF informiert, dass es 2 verletzte Personen gibt (die beiden Fahrer der kollidierten PKW’s ).

Die beiden PKW-Fahrer konnten bereits aus ihren Fahrzeugen befreit werden und sind in die RTW’s verbracht worden.

 

Der ersteingetroffene Notarzt habe bereits die orientierende Untersuchung der beiden Unfallverletzten vorgenommen und kümmere sich gerade um den schwerer verletzten Fahrer des Kleinwagens.

 

Der nachgeforderte Notarzt wird vom Fahrer des ersteingetroffenen NEF’s angewiesen, den zweiten Unfallverletzten zu versorgen.

Im RTW ist der PKW-Fahrer des Kombi-PKW’s auf der Vakuummatratze gelagert.

Die anwesenden Rettungssanitäter des RTW’s informieren den Arzt zur Eintreffsituation und zum Verletzungsmuster des PKW-Fahrers:

Der Fahrer war angeschnallt gewesen. Die Airbags des Fahrzeugs hätten korrekt ausgelöst. Der Fahrer konnte unter Nutzung des KED-Systems ohne größere Probleme aus der nur gering deformierten Fahrgastzelle befreit werden.

 

Erstbefund:

Der PKW-Fahrer sei primär ansprechbar gewesen.

Ein A-Problem habe nicht bestanden.

Hinsichtlich der B-Kategorie habe der Versicherte über stärkere Schmerzen im Bereich der linken Thoraxseite geklagt bei deutlich sichtbarer Rötung und tieferen Schürfstreifen im Sicherheitsgurtverlauf. Eine im Seitenvergleich abgeschwächte Atemexkursion der linken Thoraxeite habe primär nicht bestanden. Kein Hautemphysem. Palpatorisch keine Krepitation. Auskutatorisch kein abgeschwächtes Atemgeräusch. Die primär ermittelte Sauerstoffsättigung betrug  91%..

In der C-Kategorie wurde ein erniedrigter Blutdruck mit Werten zwischen 90-100 mmHg systolisch gemessen. Pulsfrequenz bei 110/min.Eine auffällige Zentralisierung  habe im Rahmen der Erstversorgung nicht bestanden.

In der D-Kategorie Pupillenreaktion auf Licht und Konvergenz prompt. Hirnnervenfunktion unauffällig. Keine Hinweise auf sensomotorische Ausfälle im Bereich der oberen und unteren Extremität..

.

In der E-Kategorie erkennbare stärkere Schwellung des rechten Sprunggelenkes . Außerdem eine deutlichere Gelenkfehlstellung und Schwellung des linken Handgelenkes . Darüber hinaus eine mäßige Gelenkfehlstellung mit Krepitation im Bereich des rechten Ellbogengelenkes.

Im Gesichtsbereich mäßige Schwellung und Hämatombildung im rechten Periorbitalbereich und im Nasenbeinbereich. Keine Blutung aus der Nase oder den Gehörgängen.

Bei der Palpation des Abdomens wird eine deutlichere Abwehrspannung im Mittelbauch und linken Oberbauch festgestellt. Erkennbare deutliche Schmerzreaktion bei seitlichem Druck auf die Beckenschaufeln allerdings ohne spürbare Beckeninstabilität insbesondere keine Anhaltspunkte für eine Open-Book-Verletzung.

 

Der Verletzte PKW-Fahrer  ist ansprechbar und reagiert auf Ansprache weiterhin adäquat. Er gibt wiederholt stärkere Schmerzen im Abdomen an.

 

Erstbehandlung:

Sofortige Anlage von zwei großlumigen intravenösen Zugängen im linken Oberarmbereich und im Bereich des linken Fußrückens.

Der Fahrer des nachgeforderten Notarzteinsatz-Fahrzeugs kontaktiert den Fahrer des ersteingetroffenen NEF zur Klärung der Verteilung der Verletzten auf die umliegenden Traumazentren.

 

Nach Zuweisung der Zielklinik wird der Transport zügig vorbereitet.

 

Unmittelbar vor Abfahrt des RTW’s erscheint jedoch der Fahrer des ersteingetroffenen NEF’s  im fast abfahrbereiten RTW und teilt eine Änderung des Patientenmanagements mit, die der ersteingetroffene Notarzt entschieden hätte.

Der ersteingetroffene Notarzt hätte entschieden, dass sich die nachgeforderte NEF-Mannschaft ab sofort um den polytraumatisierten Kleinwagen-Fahrer kümmern soll, d.h. ein Behandlerwechsel durchgeführt werden soll.

 

Die dringliche Indikation zum zügigen Transport in ein Traumazentrum ist bei beiden Verletzten gegeben.

 

 

Frage:

Weiteres Procedere ?

Weisungsbefugnis des ersteintreffenden Notarztes ?

Diskussion vor Ort ?

4 thoughts on “Fall des Monats März 2015

  1. Proz: Pat. Mittelklasse Kombi erfüllt alle Kriterien eines dringlichen Transportes (Rot) eine Verzögerung des Trasnportes ist aus med. Sicht nicht zur rechtfertigen.

    Weisungsbefugnis: Wurde ein MANV ausgelöst? Dann wäre der 1. NA LNA bis LNA eintrifft. Hier wurde meines erachtens weiteres ärtzliches Personal nachgefordert um eine adäquate Individualmedizin durchzuführen. Der 1. NA hat zu keinem Zeitpunkt selbst das Gespräch gesucht, um sich abzustimmen. Die Übergabe des Pat. erfolgte in seinem Namen. dadruch ist aus meiber Sicht nun NA 2 für den Pat. verantworltich. Ein Behandlerwechsel ist aus dem geschildertem nicht nachvollziehbar…

    Diskussion vor Ort: Knappe Absprache ja, Diskussion nach dem Einsatz! Visitenkarten austauschen, wenn nicht gleiche Zielklinik…

     

  2. Einzige medizinische Rechtfertigung für einen Behandlertausch wäre aus meiner Sicht die Erkenntnis des ersteingetroffenen NA, dass er mit der Behandlung überfordert ist, sich z.B. nicht zutraut, eine notwendigeThoraxdrainage zu legen. Dies müsste dann klar kommuniziert werden und rasch zu einer Entscheidung führen.

    Weisungsbefugnis: Die MANV-Schwelle dürfte bei zwei Verletzten und scheinbar fehlenden sonstigen komplizierenden Gegebenheiten nicht erreicht worden sein, ansonsten würde das gelten, was mein Vorredner bereits sagte. Bei uns ist es allerdings so, dass beim MANV der ersteintreffende NA, der zum Einsatzgebiet gehört, kommissarischer LNA wird, das kann also im Einzelfall auch mal der später eintreffende sein, wenn ein ortsfremder NA zufällig in der Nähe ist und als erster eintrifft/alarmiert worden ist.

    Im vorliegenden Fall erscheint es mir, dass keiner der beiden NÄ dem anderen weisungsbefugt sein kann.

    Wenn der ersteintreffende Notarzt keinen zwingenden plausiblen Grund nennen kann, würde ich einen Behandlerwechsel ablehnen, da er zur Gefährdung mindestens eines, whrscheinlich aber beider Pateinten fürhren würde.

  3. Grundsätzlich stimme ich meinen Vorrednern zu.

    Keine MANV-Situation, daher auch keine Weisungsbefugnis des ersteintreffenden NA.

    Was in dieser zeitkritischen Situation definitiv zu vermeiden ist, ist eine längere Diskussion über Kompetenzen. Daher würde ich an der Stelle ein kurzes direktes Gespräch mit dem Kollegen suchen, warum er plötzlich die Patienten tauschen möchte. Nur ein wirklich triftiger Grund würde mich dann auch dazu bewegen. Und dieser kann…das ist auch schon gesagt worden…eigentlich nur darin bestehen, dass der Kollege aus welchen Gründen auch immer mit der Versorgung des anderen Patienten überfordert ist.

  4. Weiterer Verlauf des März-Falls 2015:

    Auch im Forum wird die unklare Entscheidung des erstversorgenden Notarztes angesprochen.

    Es ist nicht nachvollziehbar, dass die nachgeforderte NEF-Mannschaft –nach Versorgung und unmittelbar zu Transportbeginn ihres zugewiesenen Unfallverletzten – den Patienten tauschen soll, um sich um den polytraumatisierten (Kleinwagen-)Fahrer zu kümmern.

    Der nachgeforderte Notarzt fragt deshalb sofort nach dem Grund für den mitgeteilten Behandlerwechsels. Der angesprochene NEF-Fahrer ( Nachrichten-Überbringer) informiert, dass bei dem polytraumatisierten Kleinwagen-Fahrer eine offensichtlich komplexere Hüft- und Oberschenkelfraktur vorliegt, die sich in erheblicher Fehlstellung befindet. Außerdem berichtet der NEF-Fahrer von zunehmenden respiratorischen Problemen des Verletzten. Aufgrund dieser Verletzungskombination sei der ersteingetroffene Notarzt – als Internist mit bisher erst kurzer Notarzt-Erfahrung – erkennbar unsicher und wohl auch überfordert.

     

    Der nachgeforderte Notarzt willigt in den Patientenwechsel ein. Beim Fahrzeugwechsel wird der Internist über die Dringlichkeit und den zügigen Transport des Kombi-Fahrers zur klinischen Weiterversorgung unterrichtet. 

    Die Übernahme der Notfallbehandlung des polytraumatisierten Kleinwagenfahrers erfolgt ohne zeitverzögernde Strategiediskussion.

    Es erfolgt die grobe Reposition der erheblich dislozierten Oberschenkelfraktur unter Analgosedierung mit anschließendem Anmodellieren der Vakuummatratze. Nach Ausschluss eines akut entlastungsbedürftigen Pneumothorax und bei gemessener Sauerstoffsättigung von 90 -92 % wird der zügige Transport in das zugewiesene Traumazentrum eingeleitet.

    Im Rahmen der klinischen Notfallversorgung des Kleinwagenfahrers wird die Indikation zur Notfall-Laparatomie gestellt. Bei oberflächlicher Leberruptur und multiplen Dünndarm- und Dickdarmrupturen wird eine mehrzeitige Revision des Abdomens erforderlich . In der 2. Operationssitzung wird eine Jejunum-Teilresektion und Colon Transversum-Resektion durchgeführt. Die dislozierte Oberschenkelfraktur, die primär grob mit einem Fixateur externe stabilisiert worden ist , wird 6 Tage später endgültig osteosynthetisch versorgt.

    Bei einer rechtsseitigen Rippenserienfraktur (3 Rippen) ist die Einlage einer Thoraxdrainage nicht erforderlich geworden.

    Der Notfallpatient kann 7 Wochen nach Erstversorgung und ausreichender Stabilisierung in die stationäre Rehabilitationsmaßnahme verlegt werden.

     

    Am Folgetag nach dem Unfallereignis sucht der nachgeforderte Notarzt das Gespräch mit seinem internistischen Kollegen.

    Es erfolgte die Thematisierung des hier abgelaufenen, eigentlich nicht akzeptablen Vorgehens am Unfallort mit Inkaufnahme von vital bedrohlichen Konsequenzen durch Transportverzögerung in der „Golden hour of Trauma“

     

    Dr. Gerrit Müntefering

    Arzt für Chirurgie /Unfallchirurgie/Notfallmedizin

    Lessingstraße 26

    47445 Moers

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