Alarmierungsmeldung am Montag 23:30 Uhr:
Nachforderung des NEF von RTW-Besatzung, männliche Person, Sturz < 3 m mit Somnolenz
Situation vor Ort:
Eintreffen des NEF 7 Minuten nach Alarmierung an einem Einfamilienhaus in Stadtmitte einer Kleinstadt. Die Ehefrau des Notfallpatienten führt die NEF-Besatzung in die Küche auf Pattere-Ebene. Dort liegt ein 69-jähriger Mann in unmittelbarer Nähe einer Küchenzeile mit hohem Kühlschrank auf dem Rücken. Ein Kopfverband ist angelegt. An der Front des hohen Kühlschranks sind streifige Blutspuren zu sehen. Der Mann sei angabegemäß unbeobachtet gestürzt. Nach Vermutung der durch die Geräuschentwicklung alarmierten Ehefrau müsste er mit dem Kopf gegen den Griff des Kühlschranks geprallt sein. Aufgrund der nach Sturzereignis bestehenden Schläfrigkeit des 69- jährigen Manns und aufgrund der Tatsache, dass der eine Dauermedikation mit Blutverdünnern bekannt sei, habe man nach Rücksprache mit der Tochter (Disponentin einer entfernter gelegenen Rettungsleitstelle) den Rettungsdienst alarmiert.
Zum Zeitpunkt des RTW-Eintreffens sei eine stärker blutende Platzwunde im behaarten Schädelbereich links parietooccipital sichtbar gewesen, die mit einem Kopfverband versorgt wurde.
Zu Besonderheiten des bisherigen Tagesablaufs bzw. des Abends gefragt, wird von der Ehefrau mitgeteilt, dass ihr Mann wohl abends eine Flasche Bier getrunken habe.
Angaben zur Anamnese/ Comorbidität des Notfallpatienten:
Von der Ehefrau werden als Vorerkrankungen ihres Mannes angegeben:
Bekannte COPD mit Zustand nach 2-maligem Spontan-Pneumothorax bei Ruptur von Emphysembullae vor ca. 3 Jahren mit Notwendigkeit der Thoraxdrainagen-Anlage. Bei erneutem Spontan-Pneumothorax 1 Jahr später sei dann die Pleurodese in einer thoraxchirurgischen Klinik durchgeführt worden.
Bekannte koronare Herzkrankheit ohne Infarkt-Ereignis bisher. Bekannte Osteoporose.
Es wird ein Medikationsplan von Oktober 2023 vorgelegt: Theophyllin, Apsomol-DA Cortison-Präparat, Clopidogrel, Tamsulosin, Lipidsenker.
Von der ersteintreffenden Rettungsdienst-Besatzung wird mitgeteilt, dass der Gestürzte zunächst auf laute Ansprache noch erkennbar mit kurzzeitiger Augenöffnung reagiert habe.
Bei der Anlage eines intravenösen Zuganges im Handrückenbereich sei dann aber eine Abwehrreaktion allenfalls angedeutet erkennbar gewesen.
Bei vorsichtiger Auskleidung des Patienten mit 3 Einsatzkräften waren im Rumpf- und Extremitäten-Bereich keine Fehlstellungen oder Traumaspuren sichtbar. Allerdings waren mehrere offensichtlich ältere Sugillationen (lokale Hautunterblutungen) im Unterarmbereich beidseits zu erkennen.
Bei der vorsichtigen Untersuchung der Nacken- und Rumpfregion ergaben sich keine Hinweise auf ein Wirbelsäulentrauma.
Pupillen mittelweit bis eng, isocor mit allenfalls leicht verlangsamter Licht- und Konvergenzreaktion.
Die primär gemessenen Vitalparameter waren im Normbereich:
Blutdruck 125 /75 mmHg, Herzfrequenz 80, Sauerstoffsättigung 98%
Atemfrequenz bei 14-16/min. Auskultatorisch allenfalls diskrete Bronchospastik.
Blutzucker per Stix: 163 mg/dl.
Kontrollbefund nach Eintreffen des NEF:
Pupillen weiterhin mittelweit bis eng, isocor mit leicht verlangsamter Licht- und Konvergenzreaktion
Anhaltende Somnolenz des 69-jährigen Notfallpatienten.
Bei lauter Ansprache kann eine minimale Augenöffnung provoziert werden.
Angedeutet gerichtete Reaktion des Notfallpatienten auf periphere Schmerzreize. Der Glasgow Coma Scale wird mit 9 – 10 ermittelt.
Keine pathologischen Reflexe.
Vitalparameter unverändert zum Erstbefund im Normbereich.
Anlage von 2 i.v.-Zugängen im Bereich der Unterarme
Ein Transport in eine Klinik mit neurochirurgischer Abteilung wird für sinnvoll gehalten und nach Rücksprache mit der Rettungsleitstelle eingeleitet.
Transportzeit 25-30 Minuten.
Vom anwesenden Rettungsteam wird unter Berücksichtigung des aktuellen Befunds und der Transportzeit über die Option einer Schutzintubation des Patienten diskutiert.
Pro und Kontra einer Schutzintubation?
Aaron Keller
Notfallsanitäter
Rheinberg
2 thoughts on “Fall des Monats März 2025”
Danke für diesen Grenzfall.
Angesichts der Situation würde ich mich (und das nur nach Papier-Lage) zum jetzigen Zeitpunkt GEGEN eine Schutzintubation aussprechen. GCS 9-10 sind LL-gerecht nicht zwingend ITN erforderlich. Zudem stabile Vitalparameter. Die Grenze zu GCS 8-9 ist fließend und sollte ich irgendwie Anhalt für eine auch nur leichte Verschlechterung bekommen, dann ändert sich meine Sichtweise.
Aber das ist m.M. zu einfach so vom Bildschirm aus. Ich verstehe die Kollegen des RD nur zu gut und ihr Einwand ist berechtigt!
Sollte ein luftgebundener Transport stattfinden/in Diskussion sein, dann würde ich beatmen.
Weiterer Verlauf des März Falls 2025:
Wie Frank schon zutreffend bemerkt hat, wäre beim vorliegenden Glasgow Coma Scale von 9-10 eine Schutzintubation nicht zwingend erforderlich. Als weiteres Argument wird die mitgeteilte pulmonale Krankheitsvorgeschichte berücksichtigt mit wiederholten drainagepflichtigen Spontanpneumothoraces in der Anamnese, die letztendlich den Anlass zur Pleurodese gegeben hatten. Eine kontrollierte Beatmung wäre durchaus mit einem erhöhten Risiko für einen erneuten Pneumothorax oder sogar Spannungspneumothorax verbunden gewesen, der bei nicht unerheblichem Geräuschpegel des RTW-Transports einer besonders intensiven Überwachung bedurft hätte, um derartige Komplikationen rechtzeitig zu erkennen.
Der Transport zur neurochirurgischen Klinik verlief komplikationslos. Pupillen unverändert mittelweit bis eng, isocor mit leicht verlangsamter Licht- und Konvergenzreaktion
Fortbestehende Somnolenz des 69-jährigen Notfallpatienten.
Bei lauter Ansprache kann eine angedeutete mimische Reaktion provoziert werden.. Weiterhin erkennbar gerichtete Reaktion des Notfallpatienten auf periphere Schmerzreize.
Übergabe des vorangemeldeten Patienten in der Zentralen Notaufnahme an den diensthabenden Neurochirurgen. Auch in der Zentralen Notaufnahme wird angesichts des soeben genannten Befunds auf eine Atemwegssicherung verzichtet und der Patient zeitnah der CT-Diagnostik zugeführt. 10 Minuten nach Eintreffen in der Zentralen Notaufnahme ist auch die Tochter des Patienten vor Ort und kann über den bisherigen Verlauf informiert werden. Neue Informationen zur Vorgeschichte ergeben sich im Gespräch mit der Tochter nicht.
Am Folgetag wird (im Rahmen eines neurochirurgischer Verlegungstransports in die gleiche Klinik) vom Notarzt nach dem Ergebnis der weiteren klinischen Diagnostik gefragt.
Die Diagnose kurzgefasst: Parietookzipitale Kopfplatzwunde, Alkoholspiegel 2,4 Promille.
Ein derartiger Alkoholgenuss war für das Rettungsteam aufgrund der Angaben der Familienangehörigen und auch anhand des eher leichten Fötor alcoholicus primär nicht anzunehmen.
Der Patient kann bei zufriedenstellender Orientierung und Vigilanz bereits am Morgen auf die Normalstation verlegt werden und zeitnah aus der stationären Behandlung entlassen werden.
Aaron Keller
Notfallsanitäter
Rheinberg