Alarmierungsmeldung Montag 22:00:
Altenheimbewohnerin 85 Jahre schlechter Allgemeinzustand, Anhaltspunkte für Darmblutung
Situation vor Ort:
8 Minuten nach Alarmierung trifft das Rettungsteam im Seniorenheim ein. Das Rettungsteam wird von einer am Eingang stehenden Pflegekraft in das Zimmer der betroffenen Bewohnerin geführt.
Eine Altenpflegerin, die mitteilt, dass sie erst am heutigen Tag als Aushilfskraft auf diesem Wohnbereich eingesetzt worden sei, reicht die Pflegemappe der 85-jährigen Bewohnerin an das Rettungsteam. Hieraus ist ersichtlich, dass die Patientin sich erst seit 3 Wochen in stationärer Pflege des hiesigen Heims befinde. Als Diagnosen sind aufgelistet: Alzheimer-Demenz, Depression, permanentes Vorhofflimmern. Laut Pflegedokumentation bestehen seit 4 Tagen vermehrte Unruhezustände der Heimbewohnerin. Die Medikationsliste dokumentiert die Gabe von Bisoprolol 5mg, Amlopidin, Torasemid, Risperidon und Zopiclon zur Nacht.
Die Altenpflegerin berichtet, dass die 85-jährige Frau heute weiterhin sehr unruhig gewesen sei. Die überwiegend bettlägerige Heimbewohnerin habe am Nachmittag verstärkt dunklen bis dunkelroten Stuhl abgesetzt. Der Stuhlgang sei in den vorangegangenen 3 Wochen (laut Pflegedokumentation) wohl nicht auffällig gewesen. Der Allgemeinzustand sei am Nachmittag reduziert gewesen, so dass man den Hausarzt telefonisch verständigt habe. Der Hausarzt habe telefonisch zu stuhlregulíerenden Maßnahmen geraten und aufgrund der Unruhezustände die Risperidon-Dosierung leicht erhöht. Ein Heimbesuch wurde vom Allgemeinmediziner allerdings für nicht notwendig gehalten.
Gegen Abend habe die Heimbewohnerin erneut massiv dunkel bis dunkelrot abgeführt. Der Allgemeinzustand der 85-jährigen Frau habe sich nicht gebessert. Die Vitalwerte seien schlecht messbar gewesen. Daraufhin erfolgte die Alarmierung der Rettungsleitstelle durch das Pflegepersonal des Altenheims.
Erstbefund:
Bei der im Bett liegenden agitierten Heimbewohnerin ist ein erheblicher dunkelroter Stuhlabgang in die Windel und auch auf das Stecklaken des Betts feststellbar. Äußerer Aspekt der 85-jährigen Frau: blasses Hautkolorit, helle Conjunktivalränder. Keine zentrale oder periphere Zyanose. Unruhebedingt leicht erhöhte Atemfrequenz 14 / min.
Blutdruck 95/55 mmHg Sauerstoffsättigung 85 %. Tympanale Temperatur 36,2 °. Blutzucker 240 mg%. Abdomen mäßig gebläht mit auskultatorisch leichtgradig verstärkter Peristaltik. Keine Resistenzen tastbar. Keine lokale Abwehrspannung im Abdominalbereich. Keine peripheren Ödeme.
Erstmaßnahmen:
Die Anlage eines intravenösen Zugangs gestaltet sich aufgrund der Bewegungsunruhe der 85-jährigen Frau und auch aufgrund der zunehmenden Zentralisierung schwierig. Punktionsversuche im Handrückenbereich sind nicht erfolgreich. Schließlich gelingt die Anlage des Zugangs auf dem rechten Fußrücken mit einer 20G-Verweilkanüle. Der Zugang muss gegen die Bewegungsunruhe der Patientin dann kontinuierlich manuell gesichert werden. Es erfolgt die zügige Infusion von 500 ml VEL. Außerdem Sauerstoffgabe über Brille mit Flow von 4l/ Min.
Blutdruck bei 100/60 mmHg Sauerstoffsättigung bei 90-91 %.
Eine sehr allgemein gehaltene Patientenverfügung ist vorhanden, die hinsichtlich des Patientenwillens aber nicht verwertbar ist. Die Betreuungssituation der dementen Heimbewohnerin ist aus der Pflegedokumentation nicht klar erkennbar.
Weitere Maßnahmen?
Ungereimtheiten anhand der Unterlagen?
Weiterer Klärungsbedarf?
Lars Kraska
Notfallsanitäter
Rheinberg
One thought on “Fall des Monats Januar 2025”
Weiterer Verlauf des Januar-Falls 2025:
Aufgrund dieser unter den Primärmaßnahmen tolerablen Vitalparametern erfolgt die rasche Abklärung einer aufnahmebereiten Viszeralchirurgie in einer Klinik mit freiem Intensivbett und der zügige Transport der Altenheimbewohnerin, in die von der Leitstelle benannte nahegelegene Klinik.
Bei Alarmierung zum Folgeeinsatz kurz nach der Übergabe der Patientin in der ZNA konnte telefonisch 2 Tage später in Erfahrung gebracht werden, dass der diensthabende Intensivmediziner am Morgen des Folgetags aufgrund auffälliger Gerinnungswerte Telefonkontakt mit dem Hausarzt aufgenommen hatte. Hierbei stellte sich heraus, dass das permanente Vorhofflimmern der Altenheimbewohnerin wohl doch mit einem direkten oralen Antikoagulanz (DOAK) behandelt worden war, das aber auf der im Bewohnerzimmer befindlichen Medikationsliste des Altenheims trotz regelmäßiger Gabe nicht zu finden war (warum auch immer). Vermutlich existierten 2 Medikationslisten. Die Medikamente sind im Stationszimmer der Wohneinheit gestellt worden und das Rettungsteam bekam offensichtlich die abgespeckte Liste des Bewohnerzimmers zu Gesicht. Es handelt sich um das DOAK Dabigatran. Hier ist es aufgrund einer schleichend progredienten Nierenfunktionseinschränkung bei der Altenheimbewohnerin zur Kumulation und Überdosierung des DOAK gekommen. Dabigatran wird laut Literatur zu 85 % unverändert über die Niere ausgeschieden.
Bei bestehender relevanter Niereninsuffizienz kam es zum relevanten Spiegelanstieg dieses DOAK mit daraufhin eingetretener eher diffuser unterer intestinaler Blutung, wobei coloskopisch keine klare Blutungsquelle ausgemacht werden konnte. Der Hb-Wert der Altenheimbewohnerin lag bei 3,5 g/dl.
Seit Anfang 2016 steht ein spezifisches Antidot zur Verfügung, mit dem die Wirkung von Dabigatran im Notfall aufgehoben werden kann. Es handelt sich um ein humanisiertes Antikörperfragment namens Idarucizumab.
Unmittelbar nach dieser Ursachenklärung konnte unter sofortiger Gabe von Erythrozytenkonzentraten und des Antikörperfragments Idarucizumab eine langsame, aber stetige Zustandsstabilisierung und ein Sistieren der intestinalen Blutung erreicht werden.
Die 85-jährige Altenheimbewohnerin konnte 8 Tage nach notfallmäßiger Aufnahme mit geänderter Medikation und mit nun noch sporadischen Unruhezuständen ins Seniorenheim zurückverlegt werden.
Eine elektronische Patientenakte (ePA) könnte zukünftig derartige Dokumentationsdefizite im Altenheim ausgleichen.
Lars Kraska
Notfallsanitäter
Rheinberg