Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen

Alarmierungsmeldung Freitag 22:40 Uhr:

Nachforderung des Notarztes durch die vor Ort befindliche RTW-Besatzung: 81-jähriger Patient mit respiratorischer Insuffizienz

Eintreffsituation und Vorgeschichte:

Eintreffen an einem Mehrfamilienhaus im Zentrum einer Kleinstadt. Der 81-jährige Mann ist bereits in den RTW verbracht worden.

Das erstversorgende Rettungsteam berichtet, dass sie den Patienten auf der Bettkante sitzend mit deutlicher Tachypnoe und leichter peripherer Zyanose angetroffen hätten. Der Patient war ansprechbar mit gerichteten Reaktionen auf Außenreize. Die anwesende Tochter des Patienten hatte dem erstversorgenden Rettungsteam mitgeteilt, dass die Atemnot bei ihrem Vater vor ca. 2 Stunden begonnen hätte und sich im Verlauf weiter gesteigert hätte. Er hatte sich allerdings bereits im gesamten Tagesverlauf eher schlapp gefühlt und hatte keinen richtigen Appetit gehabt. Nach Angaben der Tochter könne ihr Vater bei dementieller Entwicklung nur noch selten sinnvoll kommunizieren. Insbesondere am Einsatztag war eine sinnvolle Kommunikation nicht möglich gewesen.

Weitere Angaben der Tochter:

Bei dem Vater sei ein Bluthochdruck bekannt. Außerdem sei etwas mit der Lunge nicht in Ordnung bei früherer beruflicher Asbestexposition.

Ein stationärer Behandlungsbericht der pulmonologischen Abteilung von vor 6 Monaten sei vorhanden. Die Tochter wurde daraufhin vom RTW-Team gebeten, den Entlassungsbericht vorzulegen.

Die Medikamentenliste des Hausarztes konnte allerdings gesichtet werden:  Ramipril, Bisoprolol, Atorvastatin, Pantozol, ASS 100, laut Liste keine pulmonal wirkende Medikation und kein Antidementivum

Erstbefund des RTW-Teams:

Laut erstbehandelndem RTW-Team war bei dem 81-jährigen Patienten der Puls der Arteria radialis tachykard, aber noch gut tastbar gewesen.

Blutdruck 150/90 mmHg Puls 120/min mit rhythmischer Herzaktion. SaO2: 72 %.

Die Auskultation des Thorax hatte feinblasige RG’s über beiden Lungen-Oberfeldern ergeben. Kein abgeschwächtes Atemgeräusch.

Nachforderung des Notarztes durch das Rettungsteam.

Erstmaßnahmen durch das RTW-Team:

Gabe von 8 l Sauerstoff pro Minute über Sauerstoffbrille.

Anlage eines intravenösen Zugangs. BZ: 125 mg/dl Temperatur: 38,0° tympanal

Anlage des 12 Kanal-EKGs: Tachykarder Sinusrhythmus Frequenz 120/min, Indifferenztyp, T-Negativierung in aVL und V2.

Bei Oberkörperhochlagerung mit dann aufgestützten Armen und unter oben genannter Sauerstoffgabe war ein Anstieg der Sauerstoffsättigung auf 77-79% erkennbar.

Der eingetroffene Notarzt konnte die mitgeteilten Befunde nachvollziehen.

Zu diesem Zeitpunkt erschien die Tochter des Patienten am RTW und teilte mit, dass sie den Entlassungsbericht nicht habe finden können.

Aufgrund der mitgeteilten Lungenpathologie und der Asbestexposition stellte der Notarzt ihr die Frage, ob bei ihrem Vater ein Pleuramesotheliom festgestellt worden sei, was die Tochter bestätigte.

Anfang des Jahres sei auch ein thoraxchirurgischer Eingriff mit Entfernung von Lungenfellgewebe durchgeführt worden.

Gefragt nach einer Patientenverfügung, kann die Tochter eine unterschriebene Patientenverfügung vorlegen. Die sehr kurz gefasste Patientenverfügung ist hinsichtlich gewünschter Notfallbehandlungsmaßnahmen allerdings nicht hilfreich.

Unter Berücksichtigung der nun erkennbaren Situation bei anhaltender Dyspnoe des Patienten wird vom Notarzt zunächst die Entscheidung zur nichtinvasiven Beatmung über CPAP-Maske getroffen.

Unter der nicht-invasiven Beatmung steigt die Sauerstoffsättigung auf 86 – 88 %.

Es erfolgt die Abfrage nach einem freien Krankenhausbett mit Überwachungsoption.

Im gesamten Kreisgebiet und den angrenzenden Kliniken sind nach weitergehender Bettenabfrage alle Intensivbetten belegt.

Ein im Kreisgebiet gelegenes Krankenhaus mit Palliativ-Abteilung signalisiert noch ein freies Palliativbett.

Der Tochter wird mitgeteilt, dass ihr Vater im erweiterten Kreisgebiet und den angrenzend gelegenen Kliniken aktuell nicht intensivmedizinisch überwacht werden könne, sondern das einzig freie Bett sich auf einer Palliativstation

befinde.

Die Tochter äußert daraufhin den Wunsch, dass bei ihrem Vater doch noch eine weitergehende und stabilisierende Therapie angewandt werden soll.

Weiteres Procedere?

Dr. Gerrit Müntefering
Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26 

47445 Moers

 

4 thoughts on “Fall des Monats September 2024

  1. Hallo zusammen,

    erstmal danke für den Fall. Für das weitere Procedere würde ich vorschlagen die CPAP-Therapie bei Verdacht auf Pneumonie ( Feinblasige RG und Fieber bei 38 Grad tympanal ca. 0,5 Grad dazu) fortzusetzen und den Patienten zu beobachten, ob sich die eventuelle Orthopnoe verbessert. Um die CPAP-Therapie zu optimieren sollte man hier über Morphin nachdenken und hierbei eher großzügig sein. Zusätzlich, wenn sich die Frequenz im Verlauf nicht verbessert einen kardioselektiven Betablocker zu geben wie z.B. Metoprolol.

    Da die Tochter entscheidet, dass der Patient nicht palliativmedizinisch betreut werden soll, sondern weitergehend, sollte man diesem Wunsch auch nachgehen. Diese Entscheidung ist nicht einfach. Trotzdem sollte man der Tochter die Situation genau erklären und den Weg einer palliativen Betreuung erklären.

    Leider ist es manchmal einfach so, dass die Krankenhauslage sehr bescheiden ist und man weite Wege in Kauf nehmen muss. Hier stellt sich immer die Frage, ob man dann das nächstgelegene Haus anfährt und den Patienten dort stabilisiert oder ob man einen weiten Weg riskiert. Ich würde dazu tendieren, den nächsten Grund- und Regelversorger anzufahren und den Patienten dort zu stabilisieren und weitere Maßnahmen zu ergreifen (z.B a-BGA). Fairerweise sollte man den Patienten telefonisch anmelden und die Situation so schildern.

    Als Arbeitsdiagnose:

    V.a infektbedingte Pneumonie, NIV-Therapie
    Ausschluss LAE ( Spo2 Steigt nicht über 90, vorhergegangene Operation und Anfang seit 2 Stunden)

    Liebe Grüße Ole

  2. Hallo,

    ich sehe das wie Ole. Außerdem gilt das Motto: „Alle Häuser zu = alle Häuser offen“. Deshalb würde ich das nächstgelegene grundsätzlich geeignete Haus anfahren, das dann eine Diagnostik und ggf. eine Verlegung in ein weiter entferntes Haus organisieren kann. Möglicherweise ändert sich je nach Ergebnis der Diagnostik und der daraus resultierenden Therapieoptionen ja auch noch die Einstellung der Tochter bzgl. eines kausaltherapeutischen versus palliativen Prozederes.

    VG Steffi

  3. Weiterer Verlauf des Septemberfalls 2024

    Ole und Steffi haben mal wieder ins Schwarze getroffen!

    Da der 81-jährige Patient eine weitergehende Therapie der Atemnot nicht wünschte, wird die nichtinvasive Beatmung über CPAP-Maske während des Transports zum nahen gelegenen Krankenhaus mit Palliativ-Abteilung fortgesetzt.
    Die Sauerstoffsättigung liegt im Mittel zwischen 82 und 85%. Unter der intravenösen Gabe von Morphin ist der Patient etwas ruhiger geworden.
    Blutdruck 140/70 mmHg Puls 120/min mit rhythmischer Herzaktion, angedeutete T-Negativierung in aVL und V2.

    In der Zentralen Notaufnahme des angesteuerten Krankenhauses erfolgt die Schilderung des bisherigen Verlaufes und der aktuellen Entscheidungssituation von Seiten des Patienten und der Tochter.
    In der Zentralen Notaufnahme stellt sich nach Eingabe der Patientendaten heraus, dass der Patient in der radiologischen Abteilung dieser Klinik 2 Monate zuvor hinsichtlich seines Thoraxbefundes kontrolluntersucht worden ist.
    Vom Radiologen sei ein nahezu unveränderter Lungenbefund gegenüber Voruntersuchungen festgestellt worden, die innerhalb Jahresabstand in den vergangenen 2 Jahren veranlasst worden waren.
    Der seinerzeit geäußerte Malignitätsverdacht wird nun von radiologischer Seite aufgrund der Konstanz des Befundes nicht mehr bestätigt.

    Fazit: Also korrekturbedürftige Arbeitshypothese aufgrund der nicht zutreffender Vorinformationen zum Krankheitsbild.

    In der Zentralen Notaufnahme wird der weiterhin dyspnoische Patient vom diensthabenden Triage-Arzt nochmals gefragt, ob er eine weitergehende Unterstützung der Atmung / eine kontrollierte Beatmung – nach wie vor – nicht wünsche.
    Zur Überraschung des erstversorgenden Rettungteams willigt der Patient nun in die Einleitung einer kontrollierten Beatmung ein.
    Daraufhin Narkoseeinleitung und endotracheale Intubation des Patienten. Anschließend wird aufgrund der vollbelegten Intensivstation der Klinik die Organisation eines Beatmungsplatzes in auswärtigen Häusern notwendig.

    Der beatmete 81-jährige Patient wird nach Abklärung von freien Intensivbetten in eine 50 km entfernte Klinik mit kardiologischer und pulmonologischer Abteilung verlegt werden.
    Dort wird die Diagnose einer pneumogenen Sepsis bei beidseitiger Pneumonie gestellt. Am Folgetag wird bei ansteigenden Herzenzymen ein Nicht-ST-Hebungsinfarkt bei koronarer Drei-Gefäß-Erkrankung festgestellt und die PTCA und DES-Implantation bei subtotaler RCA-Stenose und bei höhergradiger RIVA-Stenose durchgeführt.
    Im intensivmedizinischen Behandlungsverlauf ist 8 Tage später die Extubation des Patienten möglich.
    Der Patient konnte bei protrahierter Befundbesserung von der Intensivstation auf die periphere Station verlegt werden und mit Unterstützung der physiotherapeutischen Abteilung langsam auf der Stationsebene remobilisiert werden.
    Der Patient kann am 20. stationären Behandlungstag in eine kurzzeitpflegerische Weiterbetreuung entlassen werden.

    Im aktuellen Fall sind die Weichenstellungen im Rahmen der Erstbehandlung durch Fehlinformationen und sich ändernde Behandlungswünsche von Patienten und Angehörigen deutlich erschwert worden.

    Dr. Gerrit Müntefering
    Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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