Fall des Monats April 2022

Alarmierungsmeldung:
Junge Frau mit „Herzrasen“ nach Joggen

Einsatzort:
Parkplatz eines Waldrestaurants

Eintreffsituation / Anamnese:
Eine 25-jährige Frau sitzt in Joggingkleidung mit erkennbarer Unruhe auf dem Beifahrersitz eines PKW’s. Es besteht eine mäßige Dyspnoe, so dass das Antworten in längeren Sätzen schwerfällt. Die anwesende Schwester der Patientin kann weitere Auskünfte erteilen.

Die 25-jährige Patientin übt seit längerer Zeit den Langlaufsport aus. In den vergangenen Jahren regelmäßige Teilnahme an Marathonläufen ohne Probleme. Sportärztliche Untersuchungen seien bisher unauffällig gewesen. Bei guter Belastbarkeit und Beschwerdefreiheit der Patientin (auch auf der Marathondistanz) haben bisher keine sportärztlichen oder kardiologischen Untersuchungen stattgefunden. Nach Angaben der Schwester sei vor geraumer Zeit eine Schilddrüsendiagnostik durchgeführt worden ohne gravierende Befunde und ohne Handlungsbedarf. Vor 2 Wochen hatte die Patientin einen banalen Infekt der Atemwege erlitten ohne aktuelle Restbeschwerden.

Die 25-jährige Frau hatte mit Ihrer Schwester eine „für ihren Trainingsstand “ eher kurze Laufstrecke  von 8 – 10 Kilometern im Wald absolviert. Keine hohe Laufgeschwindigkeit, keine Bergetappen.

Am Ziel / Parkplatz trat dann plötzlich ein „Herzrasen“ auf mit begleitendem Engegefühl im Thoraxbereich. Eine Pulsuhr mit Speicherfunktion wurde von der Patientin am Tag des Ereignisses bedauerlicherweise nicht benutzt.

Erstbefund:
Eher leptosomer Habitus. Die Patientin ist agitiert bei fortbestehendem subjektivem Engegefühl im Brustkorbbereich mit Luftnot.
Radialis-Puls schwach und hochfrequent um 190 – 200 /Minute tastbar. Palpatorisch (soweit bei Tachykardie beurteilbar) keine wesentliche Arrhythmie. Keine auffälligen Pulsationen im Halsbereich.
Blutdruck: 90-100 / 60 mm Hg
Atemfrequenz : 15 Züge / Minute
Pulsoximetrie :  SaO2 93 %  , Pulsfrequenz  180 / min

Weitere Erstmaßnahmen / Diagnostik :
-Anlage eines intravenösen Zugangs

– Unverzügliche EKG-Ableitung (leider konnten nur die Extremitäten-Ableitungen verwertbar ausgedruckt werden)
Die Extremitäten-Ableitungen zeigen den nachfolgenden Befund:

 

Weiterer präklinischer Verlauf des April-Falls 2022

Aufgrund der Symptomatik der Rhythmusstörung (Unruhe, fortbestehendes subjektives Engegefühl im Brustkorbbereich mit Luftnot, anhaltend hypotonen Blutdruckwerten : 90-100 / 60 mm Hg) werden zeitnah Maßnahmen zur Terminierung der Tachykardie eingeleitet:
1.Valsalva-Manöver (als vagales Manöver) mit aktuell empfohlener Modifikation (lying down with leg lift), wie auch vom Kollegen Santo sehr anschaulich dargestellt und verlinkt worden ist.
Keine Beendigung der Tachykardie

2.Carotisssinus-Druckversuch (als vagales Manöver):
Keine Beendigung der Tachykardie

3.Daraufhin Gabe von Adenosin 3mg als intravenöser Bolus.

Während der Adenosingabe wird folgendes EKG mitgeschrieben:
 

 

Welche Diagnose wäre im weiteren klinischen Verlauf denkbar?

Weiterer präklinischer und klinischer Verlauf des April-Falls 2022:

Durch die intravenöse Bolus-Applikation von Adenosin konnte die Tachykardie beendet werden, wobei unmittelbar nach der Adenosin-Injektion die oben dokumentierte Rhythmusstörung / Salve mit breiten Kammerkomplexen auftrat.

Die Herzfrequenz lag anschließend bei 70 Schlägen / Min ohne erkennbare Arrhythmie.   Blutdruckanstieg auf 110-120 / 70 mm Hg.

In der Notfallaufnahme des Krankenhauses wird ein 12-Kanal-EKG abgeleitet:

 


 


 

Im Rahmen des nun folgenden 4-tägigen stationären Aufenthalts in der kardiologischen Abteilung kein erneutes Auftreten von Rhythmusstörungen.

In der Farbdoppler-Echokardiografie am Folgetag zeigen sich Kriterien für eine linksventrikuläre diastolische Insuffizienz (Grad II – III), eine leichte Trikuspidalinsuffizienz ( Ti I°) außerdem Hinweise einer pulmonalarteriellen Hypertonie bei leicht erweiterten rechten Herzhöhlen, eine leichte Aorteninsuffizienz  (Ai I°). Im Rahmen einer echokardiografischen Kontrolluntersuchung werden diese Klappeninsuffizienzen werden jedoch als gering und ohne Krankheitswert bezeichnet. Die Infarkt-und Myokarditis-Diagnostik verläuft negativ.

Im Langzeit-EKG zeigen sich 2 vorzeitige VES bei ansonsten unauffälligem Befund der Untersuchung.

Die Patientin wird bei unauffälligem stationärem Verlauf und Beschwerdefreiheit  ohne Empfehlung einer antiarrhythmischen Dauermedikation aus der stationären Behandlung entlassen. Jedoch Empfehlung einer kardiologischer Weiterbetreuung und Verlaufskontrollen und zunächst Sportkarenz.

Entlassungsdiagnose:

Die Krankenhaus-Kardiologen gehen (wie auch unser Kollege Santo ) von einer abgelaufenen AV-Knoten-Reentry-Tachykardie aus. (Im ersten EKG, das im RTW vor Adenosin-Gabe abgeleitet wurde, werden negative P-Wellen hinter dem QRS-Komplex vermutet)

 

 

Dr. med. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie

Lessingstraße 26

47445  Moers

5 thoughts on “Fall des Monats April 2022

  1. Mein primärer Verdacht wäre eine paroxysmaler supraventrikuläre Tachykardie, da schmale QRS-Komplexe und Steiltyp. Einerseits sieht man meiner Meinung Flatterwellen, andererseits ist die HF für Vorhofflattern eher hoch. Des Weiteren Fallen ST-Sekungen in II, III, aVF auf. Evt. auf dem Boden einer subakuten Myokarditis (Anamnese mit Infekt vor 2 Wochen) Ich würde primär einmal Vagus Reiz/ Valsalva-Manöver ausführen. Wenn keine Terminierung, leichte Sedierung mit Midazolam und dann medikamentöser Kardioversionsversuch mit Adenosin unter kontinuierlicher EKG-Dokumentation. Wenn erfolgreich weiterer Transport in Zielklinik mit umfassender kardiologischer Diagnose und Therapiemöglichkeit. Wenn nicht erfolgreich, würde ich vor Ort keine elektrische Kardioversion versuchen. Differentieldiagnostisch käme bei Dyspnoe/ Tachykardie/ Thoraxschmerz noch eine Lungenarterienembolie in Betracht, so dass ich die Patientin so fern keine Kontraindikationen bestehen noch vor Transportbeginn mit Heparin Bolus und kontinuierlicher Infusion Antikoagulieren würde und neben Sauerstoffgabe adäquate Schmerztherapie verabreichen würde. Bin auf die weiteren Einschätzungen gespannt.

  2. Dem angehängten EKG zufolge handelt es sich um eine regelmäßige SVT. Klinisch imponiert eine junge Patientin, welche zumindest ein Instabilitäts-Kriterium erfüllt (thorakale Enge).
    Laut gültigem ERC-Algorithmus wäre prinzipiell eine elektrische Kardioversion an erster Stelle stehend, nachdem das übliche Monitoring, i.v.-Zugang, O2-Gabe sowie ein 12-Kanal-EKG zu Dokumentationszwecken für den Kardiologen in der Klinik aufgezeichnet wurde.
    Praktisch würde ich mich dem Vorredner anschließen und zumindest zuerst ein modifiziertes Valsalva-Manöver versuchen (Beim modifizierten Valsalva Manöver wird beim sitzenden Patienten durch das Pusten in eine 20ml- Spritze für ca. 15 Sekunden ein Druck von ca. 40 mm/Hg aufgebaut und gehalten. Sofort danach wird der Oberkörper flach und die Füße hoch gelagert. Quelle: https://foam-rd.health.blog/2017/02/11/svt-modifiziertes-valsalva-manoever/ ).
    Falls nicht erfolgreich, könnte man über Adenosin-Gabe nachdenken. Falls es sich jedoch um ein bisher nicht bekanntes WPW-Syndrom handelt, könnte das Probleme verursachen. Von daher wäre eine Sedierung + elektrische Kardioversion R-Zacken-getriggert am wenigsten Risikobehaftet.
    Ich persönlich würde Adenosin versuchen unter Defibrillationsbereitschaft. Bei Erfolg, erneute 12-Kanal-EKG-Dokumentation und Transport in eine Klinik mit möglichst Kardiologie. Ansonsten symptomatisch frequenzlimitierend z.B. Betablocker i.v. und Transport in Klinik.
    Antikoagulation würde ich zurückhaltend sehen und der Klinik überlassen. Ebenso die Ursachen-Diagnostik: eine Myokarditis halte ich ebenfalls für denkbar! Hierfür wäre ein 12-Kanal-EKG unter Normofrequenz hilfreich. ST-Veränderungen im Rahmen einer Tachykardie sind doch eher mit Vorsicht zu interpretieren…
    Die Idee einer Lungenembolie würde ich eher in den Hintergrund stellen, wäre aber auch denkbar. Hierfür wäre mir aber zumindest der Wells-Score zu gering.
    Bei leptosomen Habitus finde ich die Möglichkeit einer Aortendissektion ebenfalls nicht abwegig.
    Bin gespannt auf die Auflösung.

  3. Teil 2 ( mit weiterem präklinischen Verlauf des Falls ) ist in Bälde online !

    Besten Dank für die bisherigen fachlich hervorragenden Diskussionsbeiträge

    Dr. Gerrit Müntefering
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

  4. Mit dem nun nachgetragenen EKG-Ausdruck nach Adenosin-Gabe mit kurzweiligem Kammerflattern/ventrikulärer Arrhythmie statt Asystolie-Linie bzw. Vorhofflatterwellen vor der Konversion in Sinusrhythmus wird mein Verdacht einer orthodromen Reentry-Tachykardie mit einer akzessorischen Leitungsbahn bei Wolff-Parkinson-White-Syndrom erhärtet. Nachträglich erkennt man tatsächlich auch schon in den ersten beiden EKG’s unter Tachykardie-Bedingungen P-Wellen in Folge des QRS-Komplexes, vor allem z.B. in Ableitung II + aVF.
    Nach Konversion in den Sinusrhythmus Frequenzlimitierung mit z.B. Betablocker und dann Transport unter notärztlicher Begleitung in eine Kardiologie mit eventuell sogar Rhythmologie.

  5. Der 3. und letzte Teil des April-Falls ( mit dem weiterem präklinischen und klinischen Fallverlauf ) ist in Bälde online !

    Nochmals besten Dank für die bisherigen fachlich hervorragenden Diskussionsbeiträge

    Dr. Gerrit Müntefering
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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