Alarmierungsmeldung am Freitag um 18:30 Uhr:
Patient, 78 Jahre, vermutlich exazerbierte COPD
Situation vor Ort:
NEF und RTW treffen fast zeitgleich am Einsatzort ein: Es handelt sich um eine Parterrewohnung in einem Mehrfamilienhaus im Innenstadtbereich.
Die Anruferin (Schwester des Notfallpatienten) führt das Rettungsteam in die Wohnung.
Laut Anruferin ist bei ihrem Bruder seit Jahren eine COPD bekannt. Außerdem ist seit längerer Zeit auch eine absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern bekannt.
Weiterhin bestünde bei ihm eine Osteoporose mit chronischem Wirbelsäulensyndrom thorakolumbal, weshalb er noch am heutigen Vormittag beim Hausarzt gequaddelt worden sei.
Erster Aspekt:
Ein 78-jähriger Mann sitzt im Wohnzimmer auf der Couch mit deutlicher Dyspnoe und erhöhter Atemfrequenz, seine Atemhilfsmuskulatur einsetzend, erkennbar agitiert. Keine zentrale oder periphere Zyanose.
Angaben des Patienten zur aktuellen Vorgeschichte:
Der Patient berichtet in kurzen, abgehackten Sätzen, dass es ihm abgesehen von den eigentlich immer vorhandenen Schmerzen im BWS- und LWS-Bereich in den letzten Monaten eigentlich ganz gut gegangen sei. Mit der Luft sei es so wie immer „mehr recht als schlecht“ gewesen.
Seit 2 Tagen sei morgens allerdings ein leicht gelblicher Auswurf aufgetreten, aber von der Luft wäre es eigentlich in Ordnung gewesen. Am heutigen Morgen habe er dann aufgrund von akut stärkeren Beschwerden im BWS-Bereich den Hausarzt aufsuchen müssen, der ihn „wie immer“ gequaddelt habe. Die Beschwerden hätten daraufhin etwas nachgelassen. Jetzt habe er aber nach einer kurzen Hustenattacke relativ plötzlich Atembeschwerden bekommen.
Der Patient hat daraufhin mehrfach sein Salbutamol-Dosieraerosol angewandt, allerdings ohne nennenswerte Besserung seiner Atemnot.
Erstbefund:
SaO2 83 %, RR 110/60 mmHg / Frequenz 106/min, arrhythmisch, Atemfrequenz ca. 20/min
Auskultatorisch nur mäßige Bronchospastik links deutlicher als rechts, hypersonorer Klopfschall rechts etwas ausgeprägter als links. Tympanal gemessene Temperatur 37,1 °C.
Die Pflaster im BWS-Bereich beidseits paravertebral nach Quaddelungsbehandlung am Vormittag sind – bedingt durch stärkeres Schwitzen des Patienten – fast abgelöst.
Erstmaßnahmen:
Anlegen eines intravenösen Zugangs
Zunächst Gabe von 2 Litern O2 über Maske
EKG-Ableitung: Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern mit vereinzelten VES
Dann Gabe von 2,5 mg Midazolam i.v. und 0,09 mg Reproterol i.v.,
anschließend fraktionierte Gabe von 250 mg Prednisolon i.v..
Nach ca. 10 Minuten beginnende Beruhigung des Patienten, Anstieg der Sauerstoffsättigung auf 86 %, Verringerung der Atemfrequenz auf ca. 16 /min
Arbeitsdiagnose?
Differentialdiagnose?
Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers
Bild zur Auflösung
Der Patient beschreibt, dass er seit 2Tagen gelblichen Auswurf hat und lassen sich spastische Geräusche bei der Auskultation nachweisen bzw. scheinen die Maßnahmen Wirkung gezeigt zu haben, sodass unter anderem von einer (infekt)exazerbierten COPD auszugehen ist. Nicht wirklich dazu passend ist jedoch die Aussage, dass die starke Atemnot plötzlich nach Hustenreiz aufgetreten ist. Da laut Bericht rechts im Vergleich zu links ein hypersonorer Klopfschall sowie geringere Atemgeräusche auskultierbar sind, sollte differentialdiagnostisch unbedingt an einen sekundären Pneumothorax (bei anzunehmender starker Vorschädigung der Lunge und einer Quaddelung im BWS Bereich mit möglicher Verletzung des Pleuraspaltes) DD und aufgrund des akuten Auftretens „unter ferner liefen“ an eine LAE/ACS gedacht werden.
Insgesamt würde ich noch ein 12-Kanal EKG schreiben lassen und den Sauerstoff weiter erhöhen ggf. bei nicht adäquatem Ansprechen zusätzlich Salbutamol/Atrovent vernebeln. Aufgrund eines möglichen Pneumothorax erstmal kein NIV.
Sollte sich der Zustand des Patienten daraufhin weiter bessern, würde ich versuchen, ihn nach Möglichkeit erst einmalso zu transportieren
Der Patient beschreibt, dass er seit 2 Tagen gelben Auswurf hat, lassen sich spastische Atemgeräusche wahrnehmen und scheint er auf die bisherigen Maßnahmen angeschlagen zu haben.Insgesamt ist daher unter anderem von einer (infekt)exazerbierten COPD auszugehen. Nicht wirklich dazu passend ist jedoch die Tatsache, dass die starke Luftnot plötzlich nach einem Hustenstoß ausgelöst wurde(und sich wenn ich das richtig lese) rechts weniger Atemgeräusche dafür aber ein hypersonorerer Klopfschall nachweisen lässt, sodass differentialdiagnostisch unbedingt an einen sekundären Spontanpneumothorax(bei sicherlich vorgeschädigter Lunge) sowie ggf. eine allergische Reaktion auf das Lokalanästhetikum im Rahmen der Quaddelung(gibt es Hinweise auf Urtikaria??) bzw. rein aufgrund der Akutizität „unter ferner liefen“ an eine LAE bzw. ACS zu denken ist.
Insgesamt würde ich noch ein 12-Kanal EKG schreiben, den Sauerstoff weiter erhöhen und ggf.Salbutamol/Atrovent vernebeln. Bei möglichem Pneu erstmal zurückhaltend mit NIV und nach Möglichkeit so ins nächste Krankenhaus mit Innerer Medizin/Chirurgie bringen.
Ein interessanter Fall!
In meinen Augen drängt sich hier ein Pneumothorax auf. Vermutlich initial okkult „quaddelogen“ und durch Hustenstoß exazerbiert oder auch nicht-iatrogen bei rupturierter Bulla. Der zugrundeliegende Infekt ist hier wahrscheinlich nicht führend.
Im vorliegenden Fall bei agitiertem Patienten ist es wahrscheinlich nicht leicht, einen sicheren Auskultations- und Perkussionsbefund zu erheben. Sollte man sich aber so weit festlegen können, wie es hier geschildert wird, scheint ein Pneumothorax zusammen mit der Anamnese doch wahrscheinlich.
Vermutlich hätte ich persönlich eher zu Morphin als zu Midazolam gegriffen, um den Patienten zu beruhigen und die Dyspnoe zu lindern. Mit Reproterol i.v. hätte ich mich auch schwer getan, da die Spastik nicht im Vordergrund steht und bereits eine Tachykardie vorliegt. Salbutamol/Atrovent per inhalationem böte sich hier aus meiner Sicht eher an, wenn man denn die Spastik aktuell überhaupt therapieren möchte. Prednisolon ist okay. Den Hinweis von Torsten, die NIV hier nicht anzuwenden, finde ich sehr gut.
Wenn die Angst und die Dyspnoe des Patienten unter den o.g. Maßnahmen, dem kompetenten und empathischen Auftreten des Rettungsteams und natürlich bedarfsgerechter Sauerstoffgabe in den akzeptablen Bereich gebracht werden kann und er auch kreislaufmäßig nicht schlechter wird, würde ich auf eine präklinische Entlastung verzichten und mit Ankündigung rasch transportieren (nächstgelegenes Haus der Grundversorgung). Mit dem Team würde ich aber unbedingt die möglicherweise anstehende Notfall-Nadeldekompression an Monaldi-Position kommunizieren und das entsprechende Material bereitlegen lassen. Außerdem schon einmal die Punktionsstelle identifizieren, damit es im Falle des Falles schnell geht.
Differentialdiagnostisch schließe ich mich im Wesentlichen Torsten an (exazerbierte COPD > LAE > ACS), die allergische Reaktion halte ich für eher unwahrscheinlich.
Weiterer Verlauf des Oktoberfalls 2021
Der Patient wird unter vorsichtiger Morphin-Titrierung und Steigerung des Sauerstoff-Flows auf 4 Liter/ Minute mit daraufhin nachlassender Unruhe in die nächstgelegene Klinik transportiert. Der Transport verläuft ohne Komplikationen. SaO2 88 % , RR 115/70 mmHg / Frequenz :98/min, arrhythmisch, Atemfrequenz 14 – 16 /min.
Auskultatorisch weiterhin mäßige Spastik (links deutlicher als rechts).
Klinischer Diagnostik- und Behandlungsverlauf:
Die Verdachtsdiagnose von Torsten und von Steffi, die einen initial okkult „quaddelogenen“ Pneumothorax mit Exazerbation durch Hustenstoß für möglich gehalten haben, wird in der Klinik durch das Thorax-Röntgenbild bestätigt.
Insofern hätte man sich – wie von Steffi vorgeschlagen – auf dem Transport mit seinem Equipment für eine Entlastungspunktion vorbereiten können. Auch die von Steffi empfohlene Kommunikation des Vorgehens bei dieser Behandlungsoption im Team ist sicherlich sinnvoll, damit es im Fall der Fälle nicht hektisch wird.
Das Röntgenbild des Thorax wird dem Oktoberfall angehängt
Die Röntgenaufnahme zeigt einen ausgedehnten rechtsseitigen Pneumothorax. Die Länge der Injektionsnadeln beim Quaddeln ist offensichtlich nicht normiert.
Nach Anlage einer Thoraxdrainage kann die vollständige Entfaltung der rechten Lunge erreicht werden mit dann raschem Beschwerderückgang. Ein pulmonaler Infekt wird nicht nachgewiesen. Nach Entfernung der Drainage am 4. stationären Behandlungstag kann der Patient einen Tag später beschwerdefrei aus der stationären Behandlung entlassen werden.
Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers
Zwar etwas spät, aber noch ein Kommentar zum quaddeln: ich kenne es so, dass die quaddeln s.c. gesetzt werden, ein iatrogener Pneumothorax durch Quaddelung erscheint mir hier mehr als unwahrscheinlich. Wer Thoraxdrainagen legt oder Pleurapunktionen durchführt, weiß wie tief man dann doch stechen muss, um in den Pleuraspalt zu gelangen. Die Emphysemblase als Ursache halte ich angesichts der langjährigen COPD für wesentlich wahrscheinlicher. Bevor man den Quaddologen und Kollegen als Ursache vermutet…
Herr Hartenstein hat bezüglich des nicht vorhandenen Pneumothoraxrisikos beim Quaddeln sicherlich recht. Jedoch ist es nicht selten, dass statt einer definitionsgemäß subkutan platzierten Quaddelung die tieferen Regionen ( z.B. Costotransversalgelenke oder tiefere Umgebung ) mitinfiltriert werden. Hier ist die Gefahr des iatrogenen Pneumothorax durchaus gegeben, so dass in renomierten orthopädischen Infiltrationsatlanten bei Demonstration von Infitrationsbehandlungen von BWS-Beschwerden sogar Fotos von Patienten mit angelegter Pulsoximetrie gezeigt werden.
Der Begriff “ Quaddelung“ wird manchmal sehr großzügig angewandt.
Schöne Grüße vom Niederrhein
Gerrit Müntefering