Notfallmeldung Mittwoch gegen 21 Uhr .
Männliche Person 75 Jahre mit akutem Thoraxschmerz .
Anfahrt:
Das NEF und der RTW erreichen das in Stadtmitte gelegene Haus annähernd zeitgleich nach 5-minütiger Anfahrt
Situation vor Ort und Vorgeschichte:
Die Tochter des Patienten öffnet die Haustür und führt das Rettungsteam in die Küche. Ein 75-jähriger Mann wird am Esstisch sitzend angetroffen. Es besteht eine leichtgradige Dyspnoe, keine Zyanose. Der Patient gibt teils stechende und teils brennende Schmerzen im vorderen Thoraxbereich direkt poststernal und im Epigastrium an. Er berichtet aber auch über Schmerzen in der Rückenregion zwischen den Schulterblättern. Der Patient gibt an, dass diese Brustschmerzen bereits am Vortag aufgetreten seien, aber gestern immer selbst limitierend und nur von kurzzeitiger Dauer gewesen seien. Die Thoraxbeschwerden seien aber nun doch länger andauernd und auch stärker geworden.
Gefragt nach Vorerkrankungen berichtet der Patient, dass bei ihm im Jahr 2000 bei koronarer Herzkrankheit eine 2-Gefäß-ACVB-Operation durchgeführt worden sei. Eine Coronarangiografie, die im Vorjahr erfolgt sei, habe keinen revisionsbedürftigen Befund ergeben. Außerdem sei bei ihm ein Bluthochdruck bekannt. Relevante Erkrankungen der Atemwege seien bisher nicht festgestellt worden.
Laut hausärztlicher Medikamentenliste erfolgt die Einnahme eines ACE-Hemmer , eines Beta-Blockers, eines Lipidsenkers und von ASS sowie die Anwendung von Nitro-Spray bei Bedarf.
Aufgrund der aktuellen Beschwerden habe er nun bereits 2-mal das Nitro-Spray genutzt. Daraufhin seien die Beschwerden zunächst kurzzeitig intensiver geworden, aber dann anschließend spürbar zurückgegangen. Die Schmerzen seien aber dann erneut aufgetreten.
Bei nur kurzzeitiger Beschwerdebesserung unter Nitro-Anwendung habe sich seine Tochter nun aber Sorgen gemacht und die Rettungsleitstelle angerufen.
Der 75-jährige Mann teilt dem Rettungsteam mit, dass es ihm aber insgesamt doch besser gehe und er am liebsten gleich zu Bett gehen möchte. Morgen wolle er dann die Praxis seines Hausarztes aufsuchen.
Erstbefund:
Der 75jährige,mäßig adipöse Patient ist wach und orientiert. Es besteht eine geringgradige Dyspnoe mit leicht erhöhter Atemfrequenz von 14/min . Keine zentrale oder periphere Zyanose. Der Bluckdruck liegt bei 170/95 mmHg. Die periphere Pulsfrequenz wird palpatorisch (A. Radialis) mit sporadischen Extraschlägen und auch pulsoxymetrisch bei 90/ Min ermittelt. Die O2-Sättigung beträgt 96 %.
In sitzender Position beidseits sind die Jugularvenen nicht prominent sichtbar Die Lungenauskultation ergibt beidseits ein normales Vesikuläratmen. Keine Rasselgeräusche, kein Giemen, kein abgeschwächtes Atemgeräusch feststellbar. Periphere Oedeme bestehen nicht.
Das abgeleitete Extremitäten-EKG zeigt den folgenden Befund:
Der Patient möchte – wie oben bereits angemerkt – zu hause bleiben, da es ihm wieder besser gehe.
Präklinische Verdachtsdiagnose und weiteres Procedere ?
Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers
V.a.ACS bei ST-Senkungen in den Brustwandableitungen und über der Hinterwand und vereinzelten Extrasystolen. Als weitere lebensbedrohliche DD Lungenenbolie und Aortendissektion. Infektzeichen?
Die Diagnostik kann um BZ und Temperatur ergänzt werden.
Dringender Rat an den Patienten zu einer Abklärung im Krankenhaus. Vielleicht kann auch die Tochter mit gutem Zureden etwas bewirken.
Ansonsten Risikoaufklärung bis Tod, bei aktuell voll aufklärungs- und einwilligungsfähigem Patienten muss letztlich der Patientenwille für eine Nichtbehandlung respektiert werden.
Beidseitige RR Messung und fokussierte neurologische Untersuchung ergänzen.
Verdachtsdiagnose: posteriorer Stemi
Typische EKG Morphologie in den Ableitungen V1-3, Festigung der Diagnose durch Ergänzung der Ekg Ableitungen V7-9 und damit der direkten Sicht auf die posteriore Hinterwand.
Laut esc Guidelines 2017 wie ein normaler Stemi zu behandeln.
Antikoagulation mit 5000 i.E. Heparin sowie, bei verstärktem Auftreten von Ventrikulären Extrasystolen oder persistierender Hypertonie Betablocker Therapie.
Direkter Transport ins Herzkatheterlabor.
Weiterer Verlauf des Dezemberfalls 2019:
Wie bereits im Diskussionsforum empfohlen wurde, hat das Rettungsteam aufgrund der erhobenen Befunde (bei V.a. myokardiale Hinterwandischämie) einen dringlichen stationären Behandlungsbedarf gesehen.
Die Tochter des Patienten wurde recht deutlich über die möglicherweise vital bedrohlichen Konsequenzen im Falle eines weiteren Verbleibs des Versicherten in häuslicher Umgebung informiert.
Zusammen mit der Tochter kann der Patient schließlich doch von der Notwendigkeit einer zeitnahen Krankenhausbehandlung und Krankenhausüberwachung überzeugt werden.
Über den intravenösen Zugang erfolgt während des Transportes die Antikoagulation mit 5000 Einheiten Heparin. Bei Schmerzintensität um 6 auf der visuellen Analogskala erfolgt außerdem die intravenöse fraktionierte Gabe von Morphin (insgesamt 5 mg).
Der Transport verläuft komplikationslos.
In der angesteuerten kardiologischen Abteilung mit 24 Stunden-Herzkatheterbereitschaft wird im Aufnahmelabor eine Troponinerhöhung bestätigt. In der daraufhin unverzüglich eingeleiteten Koronarangiographie zeigte sich eine weitergehende Stenose im Koronarbypass, der erfolgreich gestentet werden kann.
Der Versicherte kann 5 Tage nach Koronarangiographie bei Beschwerdefreiheit und in gutem Allgemeinzustand aus der stationären Behandlung entlassen werden
Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers