Fall des Monats April 2019

Alarmierungsmeldung Freitag um 00:15 Uhr:  Weibliche Person / 76 Jahre mit zunehmender Luftnot

Situation vor Ort und Vorgeschichte:
Das NEF trifft zeitgleich mit dem RTW am Einsatzort ein (Einfamilienhaus im Zentrum einer  Kleinstadt).

Der Ehemann der Patientin öffnet die Haustür führt das Rettungsteam ins Schlafzimmer. Er berichtet, dass bei seiner 76-jährigen Ehefrau vor 5 Jahren erstmals eine dementielle Entwicklung festgestellt wurde mit Progredienz im weiteren Verlauf. Sie benötige regelmäßige Aufsicht. In den letzten 2 Jahren sei auch eine Antriebsschwäche aufgetreten. Seit einigen Jahren sei auch eine koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz bekannt.

Seit dem Nachmittag sei seine Frau bei Gehbelastung über kürzere Wegstrecken bereits kurzluftig geworden. Daraufhin habe er am frühen Abend den Hausarzt telefonisch kontaktiert. Dieser sei auch gegen 19:30 Uhr gekommen und habe die Digitalis-Dosierung leicht erhöht und ein Diuretikum angesetzt. “Diese Medikation sei in der Regel rasch wirksam. Man brauche sich keine Sorgen zu machen.“ Der Hausarzt hatte zugesichert, dass er am Folgetag nochmal zum Hausbesuch kommen würde.

Präparatename und Dosierung der neu angesetzten Medikation ist allerdings nicht vor Ort nachvollziehbar, da die abendliche Medikamentengabe aus dem Bestand des Hausarztes erfolgte.

Die Atemnot der 76-jährigen Patientin sei aber trotz der oralen Medikation nicht zurückgegangen. Bei zunehmenden Hustenattacken mit schaumigem Auswurf habe der Ehemann die Rettungsleitstelle alarmiert.

Erstbefund:

Eine 78-jährige Frau liegt im Bett mit brodelnder Atmung und schaumigem Sekretaustritt und deutlicher Tachypnoe. Wiederholte Hustenattacken.

Zunehmend zyanotischer Aspekt des Patienten. Deutlichere Unruhe der 78-jährigen Frau.

Die Sauerstoffsättigung liegt bei 75 %

Blutdruck 110/ 50 mmHg, Puls 110 / min mit leicht arrhythmischer Herzaktion

Die EKG-Ableitung zeigt eine (laut Ehemann bereits bekannte) absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern Frequenz bei 110, ansonsten keinen pathologischen Befund.

Erstmaßnahmen:

Anlage eines intravenösen Zugangs und i.v.-Gabe von Furosemid 40 mg.

Zeitgleich ist die Absaugeinheit mit einem größerlumigen Absaugkatheter vorbereitet.

Es werden große Sekretmengen abgesaugt. Nach dieser Maßnahme verbleibt das Hautkolorit des Patienten jedoch zyanotisch.

Unter Sauerstoffgabe von 10 Litern liegt die Sauerstoffsättigung bei 79- 83 %. Blutdruck bei 105 / 50 mmHg.. Frequenz 115 / Min.

Es wird eine Ampulle Morphin langsam i.v. appliziert.

Aufgrund der Befundentwicklung mit unzureichendem Erfolg der Erstmaßnahmen Entschluss zur endotrachealen Intubation.

Praeoxygenierung bei leicht erhöhtem Oberkörper. Eine assistive Beutelbeatmung lässt sich zufriedenstellend durchführen. Dann Narkoseeinleitung mit Hypnomidate, Fentanyl und Dormicum.

Anschließend Versuch der endotrachealen Intubation, der nicht erfolgreich ist.

Daraufhin Masken-Beutel-Beatmung, die zufriedenstellend durchführbar ist,  und Nachinjektion von Dormicum und Fentanyl..

SaO2 bei 80 – 83 %. A.radialis-Puls sicher palpabel.

Zweiter Versuch der endotrachealen Intubation.

Trotz BURP-manöver gelingt aber auch der zweite Intubationsversuch nicht.

Daraufhin erneute Masken-Beutel-Beatmung , die ohne Probleme ausführbar ist.

SaO2 unter Beutel-Beatmung nun bei 86 %. A. radialis-Puls weiterhin sicher tastbar.

Entschluss zur Anwendung des Larynxtubus, der problemlos platziert werden kann.

Bei der Thoraxauskultation werden unter der anschließenden manuellen Beatmung über den geblockten Larynxtubus eine Ventilation über beiden Thoraxhälften festgestellt.

Sauerstoffsättigung bei 87 %. Blutdruck bei 110 / 50 mmHg.. Frequenz 115 / Min.

Bei manueller Beutelbeatmung über den Tubus ist kein erhöhter Widerstand spürbar.

Nächstgelegenes Krankenhauses liegt in ca. 3 km Entfernung. Die Intensivstation dieses Krankenhauses ist allerdings abgemeldet.

Ein (laut Leitstelle) intensivmedizinisch aufnahmebereites Krankenhaus ist 25 km entfernt gelegen.

 

Weiteres Procedere ?

 

Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers

3 thoughts on “Fall des Monats April 2019

  1. Schade dass hier kein adäquater NIV-Versuch bei offensichtlich Lungenödem bei akut auf chronisch dekompensierter Herzinsuffizienz plusminus Infekt unternommen wurde. Möglicherweise wäre der Patientin hiermit mehr gedient gewesen. Ob eine Therapieeskalation auf eine invasive Beatmung überhaupt medizinisch indiziert ist hätte dann in Ruhe im Setting der Intensivstation und mit möglicherweise mehr Konsens auch im erweiterten Familienkreis evaluiert werden können als in der Hektik des nächtlichen heimatlichen Schlafzimmers, welches möglicherweise fast zum Sterbeort geworden wäre.

  2. NIV-Therapie wäre sicher eine gute Therapieoption gewesen…

    So wie sich der Fall darstellt, sind für mich mehrere Optionen denkbar; Umsetzung abhängig von Expertise des Teams vor Ort und den lokalen Gegebenheiten, je nachdem, wie eine definitive Atemwegssicherung und dann adäquate Beatmung am schnellsten erreicht werden kann.

    1. erneuter Intubationsversuch mit Relaxierung.

    2. Anfahren des nächstgelegenen Krankenhauses und Nutzung des dortigen Equipments, z.B. Videolaryngoskop. Entweder kann die Patientin dann doch dort verbleiben oder Weiterverlegung mit definitiv gesichertem Atemweg.

    3. Larynxtubus belassen und mit sicherlich sehr grenzwertiger Hypoxie zügiger Transport in das aufnahmebereite Krankenhaus (load and go). Zwingend Voranmeldung dort! Ggf. während des Transports versuchen die Beatmung zu optimieren (I:E, PEEP).

  3. Die Frage der Diskussionsteilnehmer , warum nicht einer NIV begonnen wurde, weist auf die in diesem Fall mehrheitlich präferierte Behandlungsoption hin.
    Ich glaube, unter NIV-Anwendung hätte man auch die 25 km-Reise zum freien Intensivplatz möglicherweise noch über die Runden gebracht.
    Stattdessen wurde vom Notarzt die Notaufnahme des näher gelegenen Krankenhauses angefahren nach Vorabinformation des diensthabenden Internisten und Anaesthesisten. Nach eneuter Vertiefung der Analgosedierung und Relaxierung durch den diensthabenden Anaesthesisten war – unter Nutzung des Vidolaryngoskops – dann der Austausch des Larynxtubus gegen den Endotrachealtubus erfolgreich. Anschließende Weiterfahrt bei gebesserten Vitalparametern und nun zufriedenstellender Sauerstoffsättigung in das weiter entfernt gelegene Krankenhaus mit freiem Intensivplatz.
    Dort dann längerer intensivmedizinischer Behandlungsbedarf der Patientin bei dekompensierter Herzinsuffizienz. Die Patientin wurde letztendlich als höhergradiger Pflegefall in die häusliche Umgebung entlassen

    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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