Fall des Monats August 2016

Alarmierungsmeldung für das am Krankenhaus stationierte Notarztsystem:

Verlegungstransport von der internistisch-kardiologischen Intensivstation mit Arztbegleitung zur Uniklinik.

Information zur Anamnese bei Patientenübernahme auf der ITS:

Auf der Intensivstation berichtet die diensthabende Internistin, dass sie vor ca. anderthalb Stunden eine 72-jährige Frau mit massiven thorakalen Schmerzen aufgenommen hatte. Bei der Patientin war ein Aortenaneurysma der Aorta ascendens bereits bekannt. Aufgrund des Risikos einer Dissektion des Aortenaneurysmas und einer leichten Befundprogredienz bei den Verlaufskontrollen war bereits über eine notwendige kardiochirurgische Operation in näherer Zukunft besprochen worden. Die Patientin hatte sich Bedenkzeit erbeten.

Am heutigen Tage waren bei der Patientin seit 3 Stunden zunehmende thorakale Schmerzen aufgetreten. Daraufhin Vorstellung der Patientin in der Kranken-Notaufnahme.

Bei der Erstuntersuchung bestand eine deutlichere Dyspnoe mit Werten der Sauerstoffsättigung um 80 % und auch eine therapiebedürftige Kreislaufdepression mit Werten zwischen 80 und 90 mmHg systolisch. Im Aufnahme-EKG und im Aufnahmelabor fanden sich keine Hinweise für einen Myokardinfarkt.

Sofortiger Transfer der Patientin auf die Intensivstation. Hier Sauerstoffgabe und  Infusionstherapie

Echokardiographisch zeigte sich das Aneurysma der Aorta ascendens und angabegemäß Hinweise für eine Aortendissektion, wobei ein weiter klärender transoesophagealer Ultraschall zustandsbedingt nicht möglich gewesen war.

Der kardiologische Chefarzt hatte daraufhin sofort Kontakt mit der kardiochirurgischen Universitätsklinik aufgenommen, die eine Übernahme der Patientin am gleichen Tag zugesichert hatten.

Fragen des verlegenden Notarztes:

Der Notarzt bittet um Mitteilung des Namens des zuständigen ärztlichen Ansprechpartners der Uniklinik. Dieser Name ist der diensthabenden Internistin nicht bekannt, kann aber nach Rücksprache mit dem Chefarzt in Erfahrung gebracht werden.

Bei mitgeteilten primären Sauerstoffsättigungswerten um 80 % stellt der Notarzt die Frage, warum keine endotracheale Intubation der Patientin durchgeführt worden sei.

Nach Angaben der diensthabenden Internistin habe der kardiologische Chefarzt von einer endotrachealen Intubation dringend abgeraten.

Klinischer Befund der Patientin zum Zeitpunkt der Übernahme :

72 -jährige Frau in mäßigem Allgemeinzustand. Leichtgradige Dyspnoe, keine Tachypnoe. Sauerstoffsättigung unter Sauerstoffgabe (6 l/min) bei 90 %.

Blutdruck um 100/ 70 mmHg Frequenz 95/ Min.

Die Patientin reagiert adäquat. Nach vorangegangener intravenöser Gabe eines Opiat-Bolus gibt sie zurzeit nur geringe thorakale Schmerzen an.

EKG-Ableitung ohne Ischämie-Zeichen.

Transportbeginn:

Nach prophylaktischer Bereitstellung eines Katecholamin-Perfusors und Aufziehen eines Benzodiazepins Transfer der Patientin in den RTW.

 

Auf Anfrage des Notarztes teilt die Patientin mit, dass sie Autofahrten in der Regel  schlecht vertragen würde.

Vor Transportbeginn wird eine Ampulle Vomex A ( Dimenhydrinat ) intravenös gegeben.

Nach Zurücklegen einer kurzen Fahrtstrecke von einem halben Kilometer äußert die Patientin Übelkeit und beginnt zu würgen.

Daraufhin nochmalige intravenöse Injektion einer weiteren Ampulle Vomex A ohne Effekt auf den weiter anhaltenden stärkeren Würgereiz der Patientin.

 

Weiteres Procedere?

 

Dr. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin

Lessingstraße 26

47445 Moers

5 thoughts on “Fall des Monats August 2016

  1. Vorab eine Bemerkung: Diese Patientin ist mal wieder wie ein "rohes Ei" zu behandeln.

    Ansonsten Ursachensuche im RTW mit erneutem Erheben der Vitalwerte: Hypotonie? Zeichen einer Hinterwandischämie im EKG?

    Falls negativ und weiterhin nur V.a. "Reiseübelkeit": Eskalation der antiemetischen Therapie. In Abhängigkeit vom örtlichen Portfolio würden z.B. Xomolix, Ondansetron oder ggf. auch als 2. Wahl Haldol, MCP und Fortekortin in Betracht kommen. Eine milde Sedierung mit einem Bezodiazepin könnte ggf. hilfreich sein.

    Ansonsten Fortsetzen des Transportes so schnell als möglich. Alternativ wäre in Abhängigkeit von der Entfernung zur Uni-Klinik noch ein Hinzuziehen der Luftrettung in Erwägung zu ziehen. Ein Umkehren in die Ausgangsklinik erachte ich nicht als zielführend.

  2. Es handelt sich um eine Hochrisikopatientin, die bei der Aufnahme deutlich instabil war und später echokardiographisch eine Dissektion des Aorta ascendens Aneurysmas festgestellt wurde. Dann Übelkeit und Erbrechen im RTW…Ich frage mich, warum es von einer Intubation von der Seites des Chefarztes abgeraten wurde? Das hätte vor dem Transport geklärt werden müssen. Die Patientin musste mit hoher Wahrscheinlichkeit operiert werden (dazu vorher in Narkose versetzt werden) und eine rasche Verschlechterung der Kreislaufsituation (auch stressbesingt) während der Fahrt war auch hochwahrscheinlich. Eine Schutzintubation auf der Intensivstation, Narkose und Kreislaufunterstützung während der Transport wäre meiner Meinung nach besser gewesen. Alternativ kann ein Hubschrauber für den Transport bestellt werden, allerdings ist eine Übelkeit mit Erbrechen in der Höhe auch nicht ausgeschlossen. Für den Hubschraubertransport hätte man auch intubieren müssen. In der gegebenen Situation (bereits Erbrechen) wäre ich als NA zurückgefahren und hätte ich im Schockraum/Intensiv in Rücksprache mit den zuständigen Ärzten (Chefarzt) die Narkose eingeleitet. Den Transport in dem Zustand (ständiges Erbrechen im RTW) gefährdet die Patientin und muss nicht erzwungen werden. 

  3. Die Gretchenfrage scheint dann hier zu sein, welches Risiko ist größer? Das Risiko durch ein evtl. anhaltendes Erbrechen ein Fortschreiten der Dissektion zu riskieren, oder durch eine Tranportverzögerung mit Hochrisikonarkose die Patientin zu schädigen. Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich bei dieser Patientin eine Allgemeinanästhesie unter optimalen Bedingungen im Kardio-Op bevorzugen würde.

  4. Die ideale Situation wäre selbstverständlich eine Narkose im KardioOP einzuleiten. Aber man muss es mit der Patientin bis zum KardioOP schaffen. Ich betrachte die Narkose für dem Transport nicht als Hochrisikonarkose, weil es bei der Patientin eine Menge Stress und die Dekompensationsgefahr/Progredienz der Ruptur vermeidet. Ggf. muss die Patientin mit ITW transportiert werden. 

  5. In der aktuellen Diskussionsrunde ist angeregt über die Strategien  „Load and go“  oder „ Stay and play“  gestritten worden.

     

    Weiterer Verlauf des Augustfalls 2016 :

     

    Der Notarzt hat sich dem Vorschlag von Karola A. angeschlosssen.

    Aufgrund des behandlungsrefraktären Würgereizes der Patientin und der daraus resultierenden Vitalgefährdung bei dissezierendem Aortenaneurysma der Aorta ascendens wird eine Fortführung des Transportes als zu risikoreich erachtet.
    Unter Berücksichtigung der noch kurzen Distanz zum Krankenhaus wird der Entschluss zur Rückkehr zum Krankenhaus gefällt zur Optimierung der Reizdämpfung, Sedierung und ggf. Intubation der Hochrisiko-Patientin unter optimalen Bedingungen. Daraufhin telefonische Vorinformation der Intensivstation und der Anästhesieabteilung des Krankenhauses über den missglückten Transportbeginn und die eingetretene Komplikation.

    Der Würgereiz der Patientin persistiert trotz eingeleiteter Sedierung und Ondansetrongabe auch auf der Intensivstation. Daraufhin zeitnaher Entschluss zur endotrachealen Intubation. Eine leichte Hypotonie nach Intubation kann durch niedrig-dosierte Katecholamingabe ausgeglichen werden.

    Die Uniklinik, die primär die Versorgung der Patientin zugesagt hatte, wird von der aktuellen Befundentwicklung und der jetzt notwendigen endotrachealen Intubation informiert. Der diensthabende Arzt der Uniklinik teilt nun allerdings mit, dass er die Patientin, die nun beatmungspflichtig sei, aufgrund der mittlerweile überlasteten Kapazität der Intensivstation nicht mehr übernehmen könne. 
    Auch andere daraufhin kontaktierte geeignete Kliniken der Maximalversorgung können die Patientin aufgrund eingeschränkter Therapie- und Überwachungskapazitäten nicht aufnehmen.  Ein Hubschraubertransport , der zu einer Erweiterung der Verlegungsmöglichkeiten führen könnte, kann bei Nachtanbruch nicht mehr organisiert werden. Der angefragte Bundeswehr-Hubschrauber ist langzeitig gebunden.

    Die Patientin wird daraufhin auf der Intensivstation des erstversorgenden Krankenhauses weiter betreut. Komplikationen treten nicht auf.
    Erfreulicherweise zeigt sich im Lauf der Nacht eine positive Zustandsentwicklung. 
    Am Folgetag kann die Patientin in kardiopulmonal kompensierten Zustand mit dem ITW in die kardiochirurgische Uniklinik verlegt werden.

    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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