Fall des Monats Juli 2016

Alarmierungsmeldung um 00:15 Uhr:

Weibliche Person mit Luftnot

Situation vor Ort und Vorgeschichte:
Das NEF trifft zeitgleich mit dem RTW am Einsatzort ein (Einfamilienhaus am Stadtrand einer Kleinstadt).

Der Ehemann der Patientin führt das Rettungsteam ins Schlafzimmer. Er berichtet, dass bei seiner 78-jährigen Ehefrau seit 5 Jahren eine zunehmende dementielle Entwicklung bestehen würde. Außerdem sei eine koronare Herzerkrankung und eine Herzschwäche bekannt.

Im Verlauf des heutigen Nachmittags sei seine Frau zunehmend kurzluftig geworden. Daraufhin habe er gegen Abend telefonisch den Hausarzt  konsultiert. Dieser sei auch gegen 19:30 Uhr gekommen und habe die orale Digitalis-Dosis leicht erhöht und ein harntreibendes Medikament verabreicht. “Man brauche sich aber noch keine Sorgen zu machen ! “ Der Hausarzt hatte zugesichert, dass er im Laufe des morgigen Tages nochmal zum Hausbesuch kommen würde.

Die Atemnot seiner Frau sei aber trotz der hausärztlichen Medikationsergänzung nicht zurückgegangen. Bei zunehmenden Hustenattacken seiner Frau mit schaumigem Auswurf habe er nun die Rettungsleitstelle alarmiert.

Erstbefund:

Eine 78-jährige Frau liegt im Bett mit brodelnder Atmung und geringgradig schaumigen Sekretaustritt aus dem Mundwinkel . Die Atemfrequenz ist erhöht : 16 / Min . Es bestehen wiederholte Hustenattacken.

Auch leicht zyanotischer Aspekt und deutlichere Unruhe der 78-jährigen Frau.

Die Sauerstoffsättigung liegt bei 74 %

Blutdruck 110/ 50 mmHg, Puls 110 / min mit leicht arrhythmischer Herzaktion

Die EKG-Ableitung zeigt eine absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern mit Frequenz um 110 – 120 / min, ansonsten keinen pathologischen Befund.

Die Herzrhythmusstörung ist laut Ehemann bereits seit einigen Jahren bekannt

Erstmaßnahmen:

Anlage eines intravenösen Zugangs und i.v.-Gabe von Furosemid 40 mg.

Zeitgleich wird die Absaugeinheit mit einem großlumigen Absaugkatheter vorbereitet.

Es werden größere Sekretmengen abgesaugt. Nach dieser Maßnahme verbleibt das Hautkolorit des Patienten dennoch weiterhin zyanotisch.

Unter Sauerstoffgabe von 10 Litern liegt die Sauerstoffsättigung bei 79- 82 %. Blutdruck bei 105 / 50 mmHg.. Frequenz 115 / Min.

Aufgrund der Unruhe und Tachypnoe wird dann eine Ampulle Morphin langsam i.v. appliziert.

Die Utensilien zur CPAP-Therapie des RTW’s  sind zum Einsatzzeitpunkt bei Materialdefekt nicht nutzbar.

Aufgrund der Befundentwicklung Entschluss zur endotrachealen Intubation.

Nach Narkoseeinleitung mit Hypnomidate, Fentanyl und Dormicum und Praeoxygenierung bei leicht erhöhtem Oberkörper ( Die Kopf- und Öberkörper-Hochlagerung ist in diesem Fall durch den elektrisch verstellbaren Spezialeinlegerahmen erreichbar)  . Die assistive Beutelbeatmung lässt sich zufriedenstellend durchführen Anschließend erster Intubationsversuch, der nicht erfolgreich ist.

Nochmalige Beutel-Beatmung und Nachinjektion von Dormicum und Fentanyl..

SaO2 bei 78 – 80 %.  Der A. radialis-Puls weiterhin sicher palpabel.

Trotz BURP-manöver gelingt dann auch der zweite Intubationsversuch nicht.

Daraufhin erneute Oxygenierung / Beutel-Beatmung , die ohne Probleme ausführbar ist.

SaO2 unter Beutel-Beatmung bei 85 %. Der A. radialis-Puls  ist – nach wie vor – sicher tastbar.

Entschluss zur Anwendung des Larynxtubus, der problemlos platziert werden kann.

Bei der Thoraxauskultation werden unter der anschließenden Beutelbeatmung über den Larynxtubus eine Ventilation über beiden Thoraxhälften festgestellt.

Die Sauerstoffsättigung liegt bei der Beutelbeatmung ( mit konnektiertem Reservoirbeutel und hohem Sauerstoff-Flow) zwischen 82  und 85 %. Blutdruck bei 110 / 50 mmHg.. Frequenz 115 / Min.

Bei der Beutelbeatmung über den Larynxtubus ist kein erhöhter Widerstand spürbar.

 

Die Intensivstation des nächstgelegenen Krankenhauses ( in ca. 3 km Entfernung ) ist abgemeldet.

Ein (laut Leitstelle) aufnahmebereites Krankenhaus ist 20 km entfernt gelegen.

 

Weiteres Procedere ?

 

Eingereicht von:

 

Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers

4 thoughts on “Fall des Monats Juli 2016

  1. Um das Pferd mal von hinten aufzuäumen: Der Zustand der Patientin scheint mir trotz niedriger Sättigung stabil genug, um die 20km-Fahrt zum nächsten freien Intensivbett zu wagen. Bei Betrachtung des Aufwands, der ohnehin nötig ist, um die beatmete Patientin in den RTW zu bekommen, fällt die 20(?)min längere Fahrzeit nur wenig ins Gewicht.

    Diagnose: Das Lungenödem/kardiale Dekompensation springt einen erstmal an, dazu würde mich noch der Status der Unterschenkel (Ödeme?) interessieren und eine Nykturie-Anamnese.

    Was sagt das 12-K-EKG: Infarktverdacht?

    Schaumiges Sekret könnte sonst noch von einer Intoxikation oder (FK-)Aspiration herrühren, die bei dementen Patienten nicht leicht zu verhindern und umso schwerer zu eruieren ist. Dazu möglichst genaue Anamnese, ebenfalls in Richtung Immobilisation und Trauma.

    Der Auskultationsbefund (bds. seitengleich feuchte RGs ohne Spastik) führt mich jedoch weiter in Richtung Lungenödem. Bei Fieber bliebe noch die Pneumonie mit Sepsis im Spiel, Pneumothorax eher unwahrscheinlich.

    Bei nun vorhandener maschineller Ventilation müsste ein endtidaler CO2 vorliegen, könnte Hinweis auf eine LE geben.

    Ob ich die Patientin narkotisiert hätte, finde ich schwer einzuschätzen, wenn man nicht selbst vor Ort ist. Ist die Patientin auch nach Morphin (und evt. vorsichtig Dormicum) nicht zu führen und man hat den Eindruck einer kontinuierlich schlechter werdenden Kreislaufsituation (RR fällt, HF steigt, wie hier angedeutet), bleibt dazu unter der Lungenödem-Prämisse kaum eine Alternative.

    CPAP ist zwar prinzipiell eine gute Idee fürs Lungenödem, ob die demente, unruhige Patientin dafür compliant genug gewesen wäre, ist zumindest fraglich. Hier erübrigt sich diese Überlegung wegen des Materialschadens.

    Die gewählte Oberkörperhochlagerung finde ich ideal, sowohl zur Erleicherung der Spontanatmung als auch zur Aspirationsprohpylaxe. Als Hypnotikum hätte ich wahrscheinlich nur Dormicum gewählt, Hypno ist für mich inzwischen raus. Warum hier eine Kombination gewählt wurde, würde mich interessieren. Da man sich hier für eine Intubation ohne Relaxans entschieden hat, somit eine Unterbrechung der Spontanatmung offensichtlich unerwünscht war, hätte man u.U. auch mit Ketamin-unterstütztem Dormicum einleiten können, das hätte die Gefahr eines Kreislaufeinbruchs unter Narkose weiter vermindert, allerdings unter möglicher Inkaufnahme eines erhöhten myokardialen Sauerstoffverbrauchs, je nach Dosis.

    Die Rückkehr zur suffizienten Maskenbeatmung bei unmöglicher Intubation ist essentiell und hier mehrfach erfolgt. Mehr Mut zur Muskelrelaxierung un/oder ein Videolaryngoskop hätte die Intubation vielleicht doch noch möglich gemacht. Was letztlich aber zählt, ist die Oxygenierung der Patientin, die in diesem Fall mit dem Larynxtubus den Umständen entsprechend gut erreicht wird, ein endotrachealer Tubus wäre hier wahrscheinlich kaum vorteilhafter gewesen. Einzig die Limitierung des Spitzendrucks (notwendiger PEEP+Peak) könnte bei der supraglottischen Alternative u.U. nachteilig sein.

    Ein FiO2 von 1,0 sollte bei der hier vorliegenden Hypoxie angestrebt werden, entweder per Demand-Ventil oder über einen entsprechend eingestellten Ventilator.

    Bei weiterem Blutdruckabfall auf dem Transport entweder Akrinorgabe oder Arterenol-Perfusor. Bei höherem Verdacht auf pneumogene Sepsis als auf Lungenödem großzügige Volumengabe.

    Letztlich ist die Situation der Patientin unbefriedigend, ich sehe hier aber außer den bereits ergriffenen Maßnahmen (O2, Furosemid, Morphin, Ventilation) keine weiteren präklinischen Optionen zur Verbesserung.

  2. Auch wenn in Deutschland präklinisch eher unüblich möchte ich auch in Zeiten von Videolaryngoskopie und LT Werbung für den Introducer/Bougie machen, wie er häufig im anglo-amerikanischen Raum Anwendung findet. Auch dies ist natürlich kein Allheilmittel, aber im Vergleich zur Videolaryngoskopie, wie ich finde, auch für Nicht-Anästhesisten mit weniger Training erlern- und anwendbar sowie kostengünstiger.

  3.  

    Gut, – jetzt ist der Larynxtubus drinn und man muss schauen, dass man das Beste draus macht….

    Eine periphere Sauerstoffsättigung von 82-85% finde ich unter 100 % Sauerstoff schon ziemlich schlecht. Da es sich vermutlich um ein kardiales Lungenödem handelt, wäre ein PEEP zur Verbesserung der Oxygenierung wünschenswert. Diesen erreiche ich über den Larynxtubus vermutlich nur unzureichend. 

    Ich hätte eher ein ungutes Gefühl mit dieser Patientin in diesem Zustand 20 km durch die Gegend zu fahren. Wenn der Larynxtubus verrutscht, plötzlich nicht mehr richtig sitzen sollte, die Patientin aspiriert, würde dies zur weiteren Verschlechterung der Oxygenierung führen.

    Sofern es im 3 km entfernten Haus einen Anästhesisten gibt, könnte man dort kurz in die Rettungsstelle fahren und die Patientin mit Hilfsmitteln für den schwierigen Atemweg (z.B. Videolaryngoskop, McCoy-Spatel, Cook-Stab) intubieren. Dazu würde ich telefonischen Kontakt mit der Rettungsstelle aufnehmen, mein Vorhaben bestimmt aber freundlich ankündigen und bitten, den zuständigen Anästhesisten bereits in die Notaufnahme zu bestellen. Stammt der Notarzt aus der nahegelegen Klinik, dürfte dies vielleicht sogar relativ unkompliziert auf dem ,,kurzen Dienstweg" möglich sein.  Dann kann man von mir aus durch die Landschaft zum nächsten freien Intensivbett gondeln. Ist man in diesem Krankenhaus unbekannt, wird es zwar wahrscheinlich wieder Gezeter geben aber Patientensicherheit geht in dem Fall vor. 

    Wenn es in dem nahegelegenen Krankenhaus keinen Fachkundigen gibt, ist man wohl gezwungen unter Vorankündigung zügig in die weiter entfernte Klinik zu fahren und hoffen, dass alles gut geht. 

  4. Tolle Diskussion im Forum.

     

    Der von Sebastian vorgeschlagene Introducer / Bougie ist sicher ein sehr nützliches Device für den schwierigen Atemweg, war aber leider nicht im Materialbestand des NEF aufgenommen. Schade !

    Das von Palmchord angesprochene Muskelrelaxans wird noch zum Einsatz kommen, denn der aktuell involvierte Notarzt hatte die gleichen Gedankengänge wie Oliver.

     

    Weitere präklinischer Verlauf des Juli-Falls 2016:

     

    20 Kilometer können ziemlich lang werden.

     

    Die CPAP-Anwendung wurde als Strategie auch kurz andiskutiert.

    Bei dementer , absehbar nicht kooperativer Patientin und bei supraglottischer Beatmung über Larynxtubus schied diese Möglichkeit aus.

     

    Zur Atemwegsicherung und Verbesserung der Oxygenierung und des Absaugens während des längeren Transport wurde ein Anaesthesisten-Beistand im nahegelegenen Krankenhaus in Erwägung gezogen.

    Ein Anruf im Krankenhaus bestätigte diese Möglichkeit allerdings ohne vorhandenes freies Intensivbett.

    Somit also Voranmeldung mit Alarmierung des diensthabenden Anaesthesisten. Es wurde ein Zwischenstopp in der Notfallaufnahme des Krankenhauses angekündigt.  Erfreulicherweise befand sich sogar der Oberarzt der Anaesthesie-Abteilung im Haus. Mit Einsatz eines „Muskelrelaxans“ konnte der Austausch des Larynxtubus gegen den Endotrachealtubus (allerdings ebenfalls mit leichten Intubationsschwierigkeiten, aber im zweiten Anlauf erfolgreich) durchgeführt werden. Nun nochmalige telefonische Ankündigung der Patientin im eigentlichen Zielkrankenhaus.

     

    Anschließend komplikationslose Weiterfahrt bei guten Vitalparametern und guter Sauerstoffsättigung in das Zielkankenhaus mit freiem Intensivplatz.

     

     

    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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