Fall des Monats Oktober 2014

Alarmierungsmeldung um 02:30 Uhr :

männliche Person in Wohnung , nicht ansprechbar

Einsatzort:

Wohnungsadresse in einer abgelegenen Ortschaft. Längere Anfahrtszeit von 9 Minuten, mitbedingt durch schlechte Witterungsverhältnisse. 

Anamnese:

Die Ehefrau des Patienten und ein von ihr zu Hilfe gerufener Nachbar sind vorort.
Angaben zum genauen Ereignishergang können von den Anwesenden nicht gemacht werden, da sich die Ehefrau bereits im Bett befand und durch ein lautes Geräusch in der Küche geweckt wurde. Sie fand daraufhin ihren Mann nicht ansprechbar auf dem Boden liegend vor. Aufgrund einer Bewegungsunruhe des Patienten mit erkennbarer Eigengefährdung (Anprallereignissen des wiederholt zurückschlagenden Kopfes am Küchenmobiliar) hatte die Frau sofort Hilfe aus der Nachbarschaft geholt. 

Angaben der Ehefrau zu Vorerkrankungen:
Bei dem Patienten ist ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus bekannt bisher ohne größere Behandlungsprobleme. Behandlungsbedürftige stärkere Blutzuckerschwankungen werden von der Ehefrau verneint. Die Ehefrau berichtet allerdings über ein ähnlich abgelaufenes Ereignis mit Eintrübung und ebenfalls ausgeprägter Unruhe im Rahmen einer akuten „Hypoglykämie“ im Vorjahr. Darüber hinaus keine weiteren Vorerkrankungen. Insbesondere kein Krampfleiden.

Situation vor Ort:

Ein 48-jähriger Mann wird in Rückenlage in der Küche liegend vorgefunden. Der Patient ist nicht ansprechbar, andererseits unruhig und wehrig. Der Nachbar ist bemüht, den Kopf des Patienten zu halten, da der Mann mehrfach versucht, den Oberkörper aufzurichten bzw. Kopf anzuheben und anschließend mit dem Hinterkopf auf den Küchenboden zurückschlägt. Auf dem Boden finden sich geringe Blutspuren. In der Höhle einer Ohrmuschel sind verkrustete Blutauflagerungen sichtbar, jedoch bei der ersten Sichtung keine frische Blutungsquelle im Ohrmuschelbereich.

Erstbefund:

Keine adäquate und gerichtete Reaktion des Patienten auf lautere Ansprache. Allerdings gerichtete Abwehrreaktion auf Schmerzreiz. Periphere und zentrale Pulse kräftig , normfrequent und rhythmisch palpabel. Keine Zyanose. Kein Foetor alkoholicus. Die trotz Unruhe noch realisierbare Pulsoxymetrie ergibt eine Sauerstoffsättigung von 92 % bei Pulswerten um 90 / Min. Unter Einsatz zweier Helfer Versuch der Blutdruckmessung : RR systolisch bei 120 mmHg.  Kein Einnässen und – soweit bei Unruhe und eingeschränkter Kooperativität beurteilbar – kein Zungenbiss. Pupillengröße und Pupillenreaktion sind bei massiver Gegenwehr und Augenkneifen des Patienten zunächst nicht zu prüfen. Abgesehen von der blutverschmierten Ohrmuschel keine weiteren Prellmarken oder Verletzungszeichen erkennbar. Alle Extremitäten werden lebhaft bewegt.

Weitere Erstmaßnahmen / Diagnostik :

EKG-Ableitung ohne Auffälligkeiten.

Anlage eines intravenösen Zugangs und Blutzuckerbestimmung:

Blutzucker : 49 mg/dl.

Daraufhin intravenöse Gabe von insgesamt 200 ml Glukose 10 %. Die anschließende Blutzuckerkontrolle (nach erfolgter Glucosesubstitution) ergibt einen BZ-Wert von 140 mg /dl.

Trotz der erfolgreichen Glucosesubstitution bleibt die Bewußtseinstrübung und Unruhe des Patienten weiterhin bestehen. (Die Ehefrau berichtet, dass auch im Rahmen des letzten Hypoglykämie-Ereignisses die Schläfrigkeit und Aggressivität ihres Mannes trotz erfolgter Glukosegabe noch längere Zeit bestanden hätte.)  Bei anhaltender Unruhe des Patienten erfolgt die intravenöse Gabe von 3 mg Midazolam , die allerdings nicht zur erwarteten Beruhigung führt. Es werden deshalb fraktioniert nochmals 3 mg Midazolam nachinjiziert. Die Kreislaufparameter bleiben trotz der Dosiserhöhung des Benzodiazepins weiterhin stabil. Nach der zweiten Midazolam-Gabe kommt es zu einem leichten Rückgang der Unruhe, Körperanspannung und Abwehrreaktion.

Dennoch sind die Pupillengröße und Pupillenreaktion bei hier erheblicher Gegenwehr und Augenkneifen des Patienten nicht sicher zu prüfen. Ein Säubern der blutverschmierten Ohrmuschel ist nun möglich. Eine Verletzung im Ohrmuschelbereich kann nicht festgestellt werden. Geringe Blutspuren finden sich auch im äußeren Gehörgangsbereich mit nun diskreter Sickerblutung. Ein Transportfähigkeit des Patienten ist nun gegeben.

Die Aufnahmebereitschaft eines näher gelegenen Krankenhauses mit CT-Möglichkeit wurde bereits abgefragt und ist mittlerweile bestätigt.  

 

Ein Grossklinikum mit weitergehendem Behandlungsspektrum wäre im Zeitrahmen von 45 – 50 Minuten erreichbar. 

Wie würden Sie weiter vorgehen ?

4 thoughts on “Fall des Monats Oktober 2014

  1. Oberkörperhochlagerung, Monitoring, Transport in die nächstgelegene Klinik mit CT.

    Bei intracerebralem Ereignis Verlegung von dort.

    Vormed? Alkoholanamnese?

    PS: wieso    3mg.  Midazolam?  was ist mit den restlichen 2 gemacht worden?

  2. Zunächst würde ich über die Leitstelle einen RTH/ ITH abklären lassen, da mittlerweile immer mehr Hubschrauber eine Nachtflugtaugichkeit / Genehmigung haben und bei positiver Rückmeldung den Patient sofort in ein Haus der Maximalversorgung fliegen lassen. Sollte der RTH/ ITH nicht zur Verfügung stehen, so würde ich einen Transport in das nächstgelegene Haus mit CT und ICU im Hintergrund anstreben. Da zwar aktuell keine respiratorische und circulatorischen Probleme bestehen, da Bewußtsein des Patienten sehr stark eingeschränkt sind und ein GCS von 5 eher optimistisch ausgelegt ist, würde ich eine endotracheale Intubation anstreben und die Kreislaufsituation so für den Transport( egal ob Boden- oder Luft- gebunden transportiert wird) sichern. 

     

     

     

  3. Es scheint eine ICB nach dem Sturz bei Hypoglykämie gewesen zu sein. Ich würde den patienten intubieren. Leitstelle anrufen und gemeinsamm entscheiden, oder per Luft oder per Boden den Patienten zu transportieren. Er braucht auf jeden Fall eine CCT und eine Neurochirurgie vor Ort.

    Gruß

    Iuri

  4. Weiterer präklinischer Verlauf des Oktoberfalls 2014:

     

    Das in 45 Minuten erreichbare Grossklinikum mit Neurochirurgischer Abteilung wird als die (im Fall der Verschlechterung) sofort handlungsfähige und somit geeignetere  Abteilung zur Weiterbehandlung des Patienten angesehen. Das Grossklinikum signalisiert aus Anfrage auch Aufnahmebereitschaft.

     

    Unmittelbar nach dem Transfer des Patienten in den RTW  bessert sich dessen Bewusstseinslage dann insoweit, dass er nun auf lautere Ansprache gerichtet reagiert und auch Fragen zu seinem Zustand / Schmerzbefund zwar einsilbig ( ja / nein) aber adäquat beantwortet. Auch der anfängliche Unruhezustand des Patienten ist (benzodiazepin-bedingt ?) rückläufig. Von der anfänglich geplanten und bereits vorbereiteten endotrachealen Intubation wird nun abgesehen (zugunsten einer raschen Einleitung der CCT-Diagnostik) und der Transport ins Universitätsklinikum begonnen.

    Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung liegen während des Transports im Normbereich. Auch eine Prüfung der Pupillen ist nun bei besserer Patienten-Compliance und Vigilanz möglich. Eine minimale Pupillendifferenz ( mit diskret weiterer Pupille gleichseitig zur Gehörgangsblutung ) wird nun erkennbar. Die Ehefrau des Patienten, die den RTW-Transport begleitet, wird sofort zu Augenerkrankungen ihres Mannes befragt. Sie berichtet überraschenderweise , dass eine minimale Anisokorie bei Ihrem Mann bereits im Vorjahr (im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung) auffällig gewesen sei.

     

    Übergabe des Patienten in einem nach wie vor noch schläfrigen (aber erweckbaren ) Vigilanzzustand in der Zentralen Patientenaufnahme des Grossklinikums. Im äußeren Gehörgang zeigt sich weiterhin eine diskrete Sickerblutung.

     

    Weiterer klinischer Verlauf :

    Ein Schädel-CT wird unmittelbar nach der Aufnahme des Patienten in der ZNA  veranlasst. Im CCT wird eine Schädelbasisfraktur mit Felsenbeinfraktur sowie Hinweise auf eine Mitbeteiligung  der Siebbeinregion festgestellt. Die Felsenbeinfraktur wäre als Ursache der Sickerblutung aus dem Gehörgang  zu sehen. Außerdem wird eine geringgradig ausgeprägte peritentorielle Subarachnoidalblutung sichtbar. Ein neurochirurgischer Interventionsbedarf resultiert daraus nicht. 

     

    Es erfolgt eine engmaschige Überwachung des weiterhin nicht-intubierten Patienten auf der neurochirurgischen Intensivstation. Bereits am Folgetag bessert sich der Zustand des Patienten erfreulicherweise rasch. Der Patient kann nach 2 Tagen von der Intensivstation auf die periphere Station verlegt werden.

     

    Nach insgesamt 7-tägigem Aufenthalt wird der Patient auf eigenen Wunsch entlassen. Als Folgezustand der Schädelbasisfraktur resultiert allerdings ein andauernder Verlust des Riechvermögens und Geschmacksinns. Ansonsten aber keine weiteren Folgeschäden.

     

    Alle Diskussionsteilnehmer lagen also mit dem zeitnahen Anstreben der CCT-Dignostik auf dem richtigen Gleis

    Herzlichen Glückwunsch !

     

    Dr. Gerrit Müntefering
    Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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