Fall des Monats Juni 2014

Notfallmeldung:

nicht ansprechbare Person

Anfahrt:

Das NEF und der RTW erreichen die Einsatzstelle (Einfamilienhaus) 7 Minuten nach Alarmierung.

Angaben zur Auffindesituation:

Ein ca. 50-jähriger Mann öffnet die Haustür und berichtet, seinen 20 jährigen Sohn nicht ansprechbar in seinem Zimmer vorgefunden zu haben. Der Zugang zum Zimmer war durch den Jugendlichen, der hinter der Tür im Türöffnungsradius lag, erschwert gewesen.
Der Vater hatte mit seinem Sohn zuletzt 2 Stunden vor der aktuellen Aufindesituation gesprochen ohne erinnerliche Auffälligkeiten.

Erstbefund:

Der 20-jährige Patient wird auf dem Rücken liegend vorgefunden. In der näheren Umgebung des liegenden Jugendlichen befinden keine verletzungsträchtigen kantigen Einrichtungsgegenstände und auch kein Mobiliar mit Blutspuren. Der Jugendliche ist somnolent, reagiert aber auf laute Ansprache mit kurzzeitigem Augenöffnen. Antworten des Patienten sind nur auf wiederholtes lautes Anfragen des Notarztes zu erhalten. Die Antworten des Jugendlichen sind dabei verlangsamt, einsilbig („Ja“) und nicht adäquat zur Frage .

Die Pupillenkontrolle ist erschwert möglich, da der Patient die Augenlider zukneift. Die Pupillen sind mittelweit. Eine Pupillendifferenz besteht nicht. Lichtreaktion prompt. Kein Blick zur Lichtquelle oder zum Untersucher, keine einseitig betonte Blickrichtung. Allerdings ein angedeuteter Pendelnystagmus.

Kreislaufparameter und Atmung unauffällig. RR: 120/70 mmHg. Puls 80 /Min.  Pulsoximetrie : SaO²  94 %.
Blutzucker-Stix: 75 mg/dl.

Kein auffälliger Foetor ex ore.
Keine Prellmarken im Schädel-Bereich.
Der Patient reagiert auf periphere Schmerzreize mit angedeuteter , aber gerichteter Abwehrbewegung.  Die orientierende Untersuchung der oberen Extremität und des Rumpfes ergibt keinen pathologischen Befund. Kein erhöhter Muskeltonus. Muskeleigenreflexe leicht abgeschwächt auslösbar ohne Seitendifferenz.
Bei der Untersuchung der unteren Extremität ist die Hose durchfeuchtet mit Uringeruch. Daraufhin genauere Inspektion der Mundhöhle: Feststellung einer Einblutungsspur am re. Zungenrand.

Weitere Recherchen des Notarztes bei den Angehörigen:

Die Abfrage des Notarztes beim anwesenden Vater nach Vorerkrankungen seines Sohnes (Krampfleiden / Stoffwechselerkrankungen / früher abgelaufenen Synkopen ) wird verneint. Kein Drogenabusus bekannt. Keine Hinweise auf psychische Instabilität oder aktuelle Probleme. Beim raschen Durchsuchen des Zimmers und Badezimmers sind auch keine Tablettenschachteln auffindbar.

Erstmaßnahmen:

Anlage eines peripher-venösen Zugangs. 
02-Maske mit Flow von 4 Litern/ Min.. 
Blutdruck weiterhin bei 120 / 60 mm Hg Frequenz  um 80 / min, 02-Sättigung 95 %. 
Stabilisierende Lagerung des Patienten auf die Vakuum-Matratze und anschließender Transfer in den RTW.
Nochmals Kontrolle des Blutzucker-Stix : 70 mg/dl.

Welche Klinik / welche Fachabteilung würden Sie ansteuern?

Welche weiteren präklinischen (diagnostischen / therapeutischen) Maßnahmen kämen noch infrage?

4 thoughts on “Fall des Monats Juni 2014

    1. Klingt eigentlich zu sehr nach cerebralem Krampfanfall. Mir fällt aber nichts anderes ein.

      Volumengabe, Transport in Klinik mit neurologischer Abteilung. Regelmäßige Ansprache und Vigilanzkontrolle.

  1. …finde auch, daß dies sehr nach neurologischer Problematik aussieht…da der Fall aber hier beschrieben ist, muß da doch noch was anderes sein, oder ;-)?
    Würde noch einen Meningismustest machen und evt. mal die Temperatur messen. Der Pendelnystagmus könnte auch auf eine cerebrale Blutung hinweisen und ich finde den Blutzucker auch etwas übersichtlich. Eine BGA wäre auch schön, "draußen" aber schlecht realisierbar…und nur weil der Vater nichts von Drogen/Alkohol weiß, heisst es ja noch lange nicht, daß der junge Mann nicht doch irgendetwas eingenommen hat….sehr viele Konjunktive…was das wohl war, ich bin gespannt!

  2. Weiterer Verlauf des Juni-Falls 2014:

    Der Patient wird in die neurologische Abteilung einer nahegelegenen Klinik transportiert. Keine nennenswerte Zustandsänderung des Patienten während des Transports. Die Bewußtseinslage des Patienten bleibt weiterhin somnolent bei stabilen Kreislaufparametern.

    Der Patient wird auf die Intensivstation der Klinik gebracht. Im Laufe der ersten Stunde nach stationärer Aufnahme (zu Beginn der eingeleiteten apparativen Diagnostik => Schädel-CT ) trübt der Patient plötzlich weiter ein und wird intubationspflichtig. Eine Pupillendifferenz ist nicht feststellbar. Das nach Intubation zügig zu Ende geführte Schädel-CT ergibt eine intracerebrale Blutung mit raumfordernder Wirkung.

    Der Patient wird notfallmäßig in eine neurochirurgische Abteilung weiterverlegt und dort unverzüglich operativ druckentlastet. Die Neurochirurgen sprechen anschließend von einer atypischen intrazerebralen Blutung. Nach mehrtägiger kontrollierter Beatmungsphase auf der neurochirurgischen Intensivstation kann der Patient dann erfolgreich extubiert werden. Er reagiert anfänglich leicht verlangsamt. Die zerebrale  Funktion und Vigilanz bessert sich jedoch an Folgetagen erkennbar.

    Als Folgezustand der intrazerebralen Blutung wird (zusätzlich zur noch verlangsamten Hirnleistung ) eine Hemianopsie und ein linksseitiger Hemi-Neglect festgestellt.

    Der Patient wird nach 2-wöchiger neurochirurgischer Klinikbehandlung in eine neurochirurgische Anschluß-Rehabilitationsmaßnahme entlassen.

    Hier kann im Verlauf einer 2-monatigen Therapiephase eine erhebliche Zustandverbesserung erreicht werden. Ein Kontroll-Schädel-CT, das zum Ende der Rehabilitations-Maßnahme angefertigt wird, ergibt nun Hinweise auf eine mögliche intrazerebrale Infarktzone mit sekundärer Einblutung in diesen Ischämiebezirk.

    Die primär dokumentierte Hirnleistungsminderung / mentale Retardierung klingt kontinuierlich weiter ab. Auch der linksseitige Hemi-Neglect ist zum Ende der Rehabilitationsmaßnahme nur noch in geringer Ausprägung nachweisbar. Nur die Hemianopsie besteht weiterhin.

    Dr. Gerrit Müntefering

    Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin

    Lessingstraße 26

    47445 Moers

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