Alarmierungsmeldung Freitag 23:30 Uhr:
Anruf einer Frau mit fremdsprachigem Akzent bei der Leitstelle. Die Anruferin gibt an, dass Ihr Sohn nicht mehr ansprechbar sei.
Situation an der Einsatzstelle:
6 Minuten nach Alarmierung Eintreffen des NEF an der Einsatzstelle. Wohnung einer türkischen Familie im Zentrum einer Kleinstadt in der 2.Etage eines Mehrfamilienhauses.
Angaben der Anruferin zum Verlauf:
Die türkische Frau berichtet, dass Sie ihren 25-jährigen Sohn gegen 23:15 Uhr sehr schläfrig in seinem Zimmer aufgefunden hätte. Auf Ansprache hätte er kaum noch reagiert. Seine Atmung sei deutlich verlangsamt.
Erstbefund:
25-jähriger bewußtseinsgetrübter Patient mit leichtgradiger Gesichtszyanose. Hypopnoe ( ~ 8 Atemzüge / Minute ), enge Pupillen ohne Seitendifferenz. Kein Foetor ex ore. Primärdiagnostik : RR : 110 / 70 mm HG , SpO2 : 85 – 88 %. Trotz Somnolenz ist der Patient allerdings noch durch laute Ansprache und Außenreize erweckbar und zur Kommando-Atmung zu bringen.
Bei dringendem Verdacht auf Drogenintoxikation nochmalige Anfrage des Notarztes beim anwesenden Bruder zur Vorgeschichte :
Dieser kann berichten, dass sein Bruder im letzten Jahr noch Heroin-abhängig gewesen sei . Er würde nun seit ca. 1 Jahr im Methadon-Programm therapiert bzw. substituiert.
Erstbehandlung:
Sauerstoffgabe über Nasensonde mit Flow 6 l/ Min.. Bei der Anlage eines intravenösen Zugangs reagiert der Patient auf den Schmerzreiz mit gerichteten Abwehrbewegungen des Arms. Blutzucker : 125 mg/dl. EKG-Ableitung ( mit unauffälligem Stromkurvenverlauf). SpO2 unter Sauerstoffgabe und Kommandoatmung nun 90 %
Weiteres vorgehen?
– Kommando-Atmung weiterführen?
– Naloxon-Gabe i.v.?
– Endotracheale Intubation?
Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin
Lessingstraße 26
47445 Moers
Auch ich würde von einer Methadon- oder Opiat-Intoxikation ausgehen. (Habe, um nicht nur das Naheliegende zu betrachten, kurz an die DD CO-Intox gedacht, ist aber wg der Zyanose und der Nichtbetroffenheit der Mutter sehr unwahrscheinlich.) Ein Transport in Seitenlage wäre möglich, aber wg Aspirationsgefahr unsicher (die gerichtete Reaktion auf Schmerzreiz wäre mir da nicht ausreichend). Da ich auch eine Intubation wg Invasivität und möglicher Komplikationen lieber vermeiden würde, würde ich mich seeehr vorsichtig mit Naloxon rantasten um den Patienten in eine schutzreflexfähige, aber nicht entziehende Situation zu bringen. Dann könnte ein sicherer Transport in die Klinik erfolgen. Sollte die Antagonisierung nicht den gewünschten Erfolg zeigen, kann man immer noch intubieren.
Es besteht die Gefahr, dass der Patient trotz aller Vorsicht in den Entzug gerät oder mit zunehmender Wachheit unkooperativ wird. Dennoch wäre dieser Weg der, den ich wählen würde.
Weiterer Fallverlauf:
Bei anfänglicher Erwägung einer Antidotgabe stellt sich nun heraus, dass Naloxon einige Tage zuvor im Rahmen einer Revision des Medikamentenliste aus dem Bestand genommen worden war, obwohl Naloxon selbst im Minimalbestand der Bremer-Antidotliste zu finden ist. (Die aktuelle Änderung der Medikamentenliste sollte in einem bereits erstellten, aber noch nicht gesandten Info-Brief den hiervon betroffenen Notarztkollegen zur Kenntnis gebracht werden).
Daraufhin Entschluß zur endotrachealen Intubation, die mit 200 mg Trapanal ohne weitere Begleitmedikation gelingt. Anschließend sofortige Normalisierung der Vitalparameter und weiterer Anstieg der Sauerstoffsättigung.
Im Verlauf des RTW-Transports wird die Medikation zur Narkoseführung durch Vecuronium-Gaben ergänzt. Daraufhin komplikationsloser weiterer Transportverlauf.
Auf der Intensivstation des angesteuerten Krankenhauses kann der Patient einige Stunden später problemlos extubiert werden und verlässt das Krankenhaus (auf eigenen Wunsch) noch am Spätnachmittag des gleichen Tags.
Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin
Lessingstraße 26
47445 Moers