Fall des Monats Oktober 2022

Alarmierungsmeldung Freitag 19:00 Uhr:

63-jährige Patientin mit Herzrasen

Situation am Einsatzort:

Das NEF und der RTW treffen 8 Minuten nach Alarmierung am Einsatzort ein. Der Ehemann der Patientin führt das Rettungsteam in die Wohnung

Eine 63-jährige Frau wird ansprechbar im Bett liegend vorgefunden. Leicht erhöhte Atemfrequenz. Die Frau berichtet über ein plötzlich aufgetretenes Herzrasen.

Anamnese:

Bei der 63-jährigen Patientin besteht ein Z.n.Myokarditis vor ca. 25 Jahren. In der Folgezeit allerdings keine nennenswerte kardiale Leistungsbeeinträchtigung. Vor einigen Jahren ist (nach Angaben der Frau) einmalig eine kurzdauernde Phase von Herzstolpern und etwas schnellerem Puls aufgetreten. Bei raschem Symptomrückgang sei damals keine weitergehende kardiologische bzw. Rhythmus-Diagnostik durchgeführt worden. Bei bekannter Schilddrüsendysfunktion wird seit vielen Jahren eine Substitutionsbehandlung mit L-Thyroxin 75 µg durchgeführt. Die Erkrankungs-Anamnese der letzten 12 Monate ist leer.

Aktuelle Anamnese:

Auch im heutigen Tagesverlauf zunächst keinerlei Besonderheiten, kein Krankheitsgefühl. Im Tagesverlauf wurde keine belastende Haushaltstätigkeit absolviert.

Im Anschluss an das Abendessen eine plötzliche Übelkeit mit Erbrechen aufgetreten. Unmittelbar danach hätte sie Schmerzen im linken Schulterblattbereich und im linken Arm verspürt und das Gefühl des Herzrasens. Aufgrund dieser plötzlichen Symptomatik auch deutlicher Unruhezustand der 63-jährigen Frau. Daraufhin sofortige Alarmierung der Rettungsleitstelle durch den Ehemann.

Erstbefund:

Die Patientin ist wach und reagiert prompt auf Ansprache, sie ist leicht agitiert. Die Artikulation für längere Sätze ist bei bestehender mäßiger Tachypnoe geringfügig eingeschränkt. Angabe eines leichten Druckgefühls auf der Brust mit Schmerzausstrahlung in den linken Arm.

Der Allgemeinzustand des 63-jährigen Patientin ist allerdings eher gering beeinträchtigt. Erhöhte Atemfrequenz: 16-18 Atemzüge / Min.

RR 105 / 60 mmHg , Puls palpatorisch mit Frequenz um 110 – 120 / min, keine nennenswerte Arrhythmie. SaO2: 90 %. Pulmo auskultatorisch bds frei.

Erstmaßnahmen:

Sofortige Anlage eines i.v.-Zugangs.  Gabe von 4 Litern O2 über Sauerstoffbrille.

Das abgeleitete 12-Kanal-EKG zeigt den nachfolgenden Befund:

 

Frequenz laut Monitor: 180 – 200/ Min

Weiteres Procedere?

Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers

4 thoughts on “Fall des Monats Oktober 2022

  1. Die Patientin präsentiert sich formal im Schockgeschehen, zunächst noch unklarer weiterer Genese (kardiogen? septisch? hämorrhagisch?). Spannend wäre weiter zu eruieren, ob ein peripheres Pulsdefizit (110 palpatorisch vs. HF 180) vorliegt, zudem komplettierend Messung Körpertemperatur und Bz (metabolische Entgleisung?).
    Leider ist das EKG etwas klein geraten, man meint aber eine ST-Elevation in aVR mit diffusen ST-Senkungen zu erkennen, was ja nach aktuellen Kardiologie-Leitlinien ein Potpourri der weiteren Differenzierung eröffnen würde 🙂 Neben einer Tachykardie-Assoziation wäre eine myokardiale Ischämie (okklusiv oder schock-getriggert relativ) im Rennen. Ich würde zunächst eine Frequenzreduktion, ggf. bei progredienter Instabilität auch eine Kardioversion der sVT, anstreben (ggf. kardioselektiver BBL zu diskutieren, hier auf jeden Fall MSI-Gabe).
    Falls das Erbrechen anamnestisch nicht blutbeigemengt war und sich auch sonst keine Hinweis auf eine GI-Blutung/hämorrhagisches Schockgeschehen ergibt sowie auch eine Aortendissektion unwahrscheinlich erscheint (Dorsalgien? RR-Seitendifferenz? Auskultation oder pDMS auffällig? Sono auf dem NEF?) -> ASS und Heparin iv wie bei ACS. Transport auf jeden Fall in eine CPU/Klinik mit kardiologischer Abteilung.

  2. Aufgrund der Symptomatik der Patientin ist hinsichtlich der Big Five prinzipiell an ein ACS, eine LAE, eine Aortendissektion ein (Spannungs) Pneumothorax sowie ein Boorhavesyndrom zu denken, wobei letztere aufgrund der Anamnese Befund und dem Verlauf eher unwahrscheinlich sind.

    In der Untersuchung würde ich hier noch eine RR Messung am anderen Arm sowie eine Untersuchung auf TVT in den Beinen ergänzen.

    Betrachtet man jedoch das EKG sieht man eine regelmäßige Schmalkomplex Tachykardie ohne P-Wellen und mit unspezifischen ST Senkungen(ohne Anhalt auf eine bestimmte myokardiale Ischämie) bei einer Frequenz von 180-200/min, welche bereits alleine die Brustschmerzen inkl. niedrigem Druck und SpO2 erklären würden. Da es sich hier ferner sicher nicht um eine Bedarfstachykardie handelt würde ich daher auch eine LAE bzw. Aortenruptur eher Hintanstellen, sodass von den Big Five lediglich ein ACS bliebe.
    Hauptdiagnose wäre aus meiner Sicht jedoch eine AVNRT/AVRT DD Vorhofflattern mit 2:1 Überleitung, welche aufgrund der Symptomatik die Instabilitätskriterien erfüllen. Daher würde ich wie bereits wie von Michael beschrieben ebenfalls eine Frequenzreduktion versuchen und nach Ausschluss einer COPD/Asthma einen Versuch mit Adenosin bzw. ggf. Kardioversion starten.
    Bei Regredienz der Symptomatik darunter keine ASS/Heparin Habe, sonst natürlich ebenfalls

  3. Auflösung zum Fall des Monats Oktober 2022:

    Es wurde zum weiteren Ausschluss einer Myokardischämie noch die Ableitungen V7 – V9 geprüft, wobei sich kein Hinweis auf eine Myokardischämie ergab. Allerdings war die ST-Strecke bei einer Frequenz der Herzaktionen von 180- 200/Min nicht durchgängig sicher beurteilbar.
    Unmittelbar anschließend zeigte sich eine kurzdauernde Arrhythmiephase mit weiterhin schmalen Kammerkomplexen (EKG-Dokumentation dieses Ereignisses leider nicht mehr auffindbar), woraufhin von der zunächst erwogenen Adenosin-Bolusgabe abgesehen wurde. Aufgrund der weiterhin symptomatischen Tachykardie mit schmalen Kammerkomplexen wurde stattdessen die i.v.-Gabe des kardioselektiven Betablockers Metoprolol fraktioniert begonnen. Unter dieser antiarrhythmischen Medikation zeigte sich ein geringer aber stetiger Rückgang der Tachykardie auf Frequenzwerte von 140- 150 Aktionen / Min. Der peripher nachweisbare Puls war hierunter von primär 120 / Min rückläufig bis auf 70- 80 Aktionen /Min, so dass die weitere Betablockermedikation während des Transports moderater erfolgen konnte.

    Es kam unter der genannten i.v-Medikation zur Besserung des Allgemeinzustandes der Patientin und zur Regredienz der thorakalen Schmerzen.

    In der nun angesteuerten kardiologischen Abteilung konnte die Patientin mit deutlich rückläufigem Beschwerdebild übergeben werden. Die weitere Diagnostik ergab dann – zunächst nicht durchgängig erkennbar – ein Vorhofflimmern mit Tachyarrhythmie und dabei annähernd halbierter peripher nachweisbarer Frequenz der Kammeraktion. Eine Katheteruntersuchung zeigte keine Hinweise auf eine interventionsbedürftige Coronarstenose.
    Die primäre Betablockermedikation wurde im stationären Rahmen zunächst in oraler Form fortgeführt ohne zeitnahe Konversion, da ein kleiner Thrombus im linken Vorhofohr nicht sicher ausgeschlossen werden.
    Unter der Medíkation langsamer weiterer Rückgang der Beschwerden, so dass die 63 -jährige Frau nach 5-tägigem Krankenhaus-Aufenthalt zunächst entlassen werden konnte.

    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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