Fall des Monats März 2022

Alarmierungsmeldung am Dienstagmorgen gegen 7:00 Uhr bei kalter Wintertemperatur:

Männliche Person im Wasser, Polizei vor Ort. Feuerwehr ist ebenfalls alarmiert.

 

Situation vor Ort:

RTW und NEF treffen nach 8-minütiger Anfahrt kurz hintereinander am Einsatzort ein. Ein Feuerwehrmann der örtlichen Feuerwehr weist das Rettungsteam in Richtung eines Stichwegs ein.

Der mit Sperrpfählen zur Hauptstraße abgeriegelte asphaltierte Stichweg befindet sich zwischen einer Häuserzeile und einem tieferliegenden Bachlauf mit einer ca. 2,5 Meter abmessenden abschüssigen Böschung.

Nach ca. 100 m Wegstrecke ist dieser Stichweg von der Polizei mit Signalband / Flatterband abgesperrt worden.

Die Einsatzleiterin der Polizei empfängt das Rettungsteam und erklärt, dass ein ca. 80-jähriger Mann regungslos im Bachlauf vorgefunden wurde. Die Person sei – nach Sichtung der Lage vor Ort durch die Polizeibeamten – offensichtlich tot.

Die Einsatzstelle ist deshalb sofort „zum Tatort“ erklärt worden und dürfe daher bis zum Eintreffen der Kriminalpolizei nicht betreten werden.

Auf die Frage des Notarztes hin, ob der Tod dieser Person bereits von ärztlicher Seite gesichert worden sei, antwortet die Polizeibeamtin, dass dies nicht notwendig sei. Vom Aspekt her wäre der Exitus letalis offensichtlich.

Auch der Hinweis des Notarztes auf die entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, wonach jeder Arzt verpflichtet ist, den Tod eines Menschen festzustellen, sobald ihm dieser angezeigt wird , führt zu keiner Haltungsänderung der Polizeibeamtin.

 

Jeder Arzt ist nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften verpflichtet, den Tod eines Menschen festzustellen. Dies dient zugleich der Feststellung der nicht mehr möglichen Behandlung des Patienten (Todesfeststellung), der Wahrnehmung öffentlicher Verpflichtungen im Gesundheitswesen (Todesursachenstatistik, Seuchenbekämpfung) sowie der möglichen Aufdeckung strafbarer Handlungen.

 

Auf die weitere Frage des Notarztes, welche sicheren Todeszeichen denn zu dieser Aussage führen ,weist die Polizeibeamtin auf ein vorliegendes blasses Hautkolorit der im Wasser befindlichen Person hin.

Der Notarzt weist nachdrücklich auf die sofort notwendige genaue Inspektion und Untersuchung der gestürzten Person hin, insbesondere unter Berücksichtigung des beim Sturz ins Wasser durchaus möglichen Minimalkreislaufes und einer flachen Atmung von unterkühlten Personen im Wasser.

Ein Zugang zum Fundort der Person wird dem Rettungsteam von der Einsatzleiter der Polizei allerdings weiterhin verweigert, da der Exitus letalis angabegemäß doch zweifelsfrei erkennbar sei.

Auf die Frage des Notarztes hin, aus welchem Grund der Rettungsdienst denn überhaupt alarmiert worden sei, wird mitgeteilt, dass dies auf Veranlassung eines noch nicht lange im Polizeidienst befindlichen jungen Kollegen geschehen sei. Man habe das Abbestellen des Notarztes anschließend leider vergessen.

Bei Sichtung des Einsatzortes aus einer Distanz von ca. 12 – 14 Metern sieht man im Bachlauf, der eine Wassertiefe von 10-15 cm hat, eine Person auf dem Rücken liegen in nicht Winter-adäquater Bekleidung (Oberhemd ohne Jacke oder Wintermantel). Das nach oben gerichtete Gesicht der Person befindet sich oberhalb der Wasseroberfläche.

Auch nach nochmaligem Hinweis auf die Notwendigkeit einer genauen Untersuchung von im kalten Wasser befindlichen Personen ist eine notärztliche Untersuchung des 80-jährigen Manns nicht möglich.

 

Weiteres Procedere?

 

Anlegen mit der Polizei?

 

 

Dr.med. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie

Lessingstraße 26

47445 Moers

4 thoughts on “Fall des Monats März 2022

  1. Die Verpflichtung zur Behandlung des Patienten ergibt sich neben anderen Rechtsquellen aus den Rettungsdienstgesetzen der Länder (z.B. § 2 RDG NRW). Als spezialgesetzliche Regelungen sind die Rettungsdienstgesetze gleichrangig mit den Polizeigesetzen der Länder. Es gibt hier also kein höherrangiges Recht (lex specialis derogat legi generali). Fall dies vor Ort nicht zu klären ist, bleibt die Möglichkeit, mit dem Polizeiführer Verbindung aufzunehmen und dort deutlich zu machen, dass eine Rettungsabsicht besteht und die Aufgabenwahrnehmung nach RDG durch die Polizei behindert wird. Sicher ist es sinnvoll, die polizeilichen Belange zu berücksichtigen und beim Vorgehen die Spurenlage zu schonen oder auch durch die ja bereits anwesende Polizei durch Dokumentation begleiten zu lassen.

    Gruss
    Andreas

  2. Insgesamt eine sehr unerfreuliche Situation.
    Aus meiner Sicht ist die Haltung der Polizeibeamtin keinesfalls nachvollziehbar, zumal
    die Blässe des Patienten/Verstorbenen auf die sich die Polizistin bezieht kein Todeszeichen ist und gerade durch das kalte Wasser ja ein Scheintod eintreten kann.
    Da wir als Notärzte eine Garantenstellung haben, würde ich Alles versuchen um irgendwie zum Opfer zu gelangen. Wie Andreas bereits geschrieben hat, wäre der offizielle Weg über den Polizeiführer natürlich prinzipiell der Beste. Auf der anderen Seite zählt jede Sekunde wenn das Opfer noch lebt, sodass die Frage ist, wie lange sich das Hinzieht. Ich würde daher zunächst versuchen, der Polizistin die Konsequenzen aufzeigen die es für sie haben könnte, sollte sich herausstellen, dass das Opfer doch noch lebt, dann den Weg über den Einsatzleiter versuchen und im Zweifelsfalle einfach durch die Absperrung gehen und versuchen zum Opfer zu gelangen.

  3. Weiterer Verlauf des März-Falls 2022

    Vielen Dank für die beiden interessanten Kommentare im Diskussionsforum

    Wie Christian bereits richtig angemerkt hat, zählt jede Sekunde, für den Fall das unterkühlte Opfer noch lebt, sodass der offizielle Weg mit Information des Polizeiführers eigentlich nicht infrage kommt.Deshalb wird daraufhin nochmals versucht, der einsatzleitenden Polizistin die Konsequenzen aufzuzeigen, die ein unterlassene Hilfeleistung und die Verhinderung der notärztlichen Akuttherapie für sie haben könnte.
    Die mitanwesenden Polizeibeamten konnten durch die notärztliche Argumentation nun doch überzeugt werden und konnten ihre abwehrende Kollegin letztendlich zur Freigabe des Einsatzortes bringen.
    Die anschließende notärztliche Untersuchung des im Bach liegenden Mannes ergab dann doch den Exitus letalis des Gestürzten ohne Hinweise auf Fremdeinwirkung, woraufhin die Todesfeststellung erfolgte mit dem Hinweis auf eine unklare Todesursache.

    Dr.med. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie
    Lessingstraße 26
    47445 Moers

  4. Stellt dies schon einen Straftatbestand der Behinderung von Rettungskräften da?

    Der Vorwurf von Unterlassener Hilfeleistung, welcher durch aus zu beachteten und durch den Rettungsdienst/ Notarzt zu nennen ist, lässt sich sicher nicht aufrechterhalten.

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