Fall des Monats Februar 2018

Alarmierungsmeldung Freitag 19:00 Uhr :

Patientin mit Herzrasen

Situation am Einsatzort :

Das NEF und der RTW  treffen 8 Minuten nach Alarmierung am Einsatzort ein. Der Ehemann der Patientin führt das Rettungsteam in die Wohnung

Eine 63-jährige Frau wird ansprechbar im Bett liegend vorgefunden. Leicht erhöhte Atemfrequenz. Die Frau berichtet über ein plötzlich eingetretenes Herzrasen.

Aktuelle Anamnese:

Bei der 63-jährigen Patientin besteht ein Z.n.Myokarditis vor ca. 25 Jahren. In der Folgezeit allerdings keine nennenswerte kardiale Leistungsbeeinträchtigung. Vor einigen Jahren ist (nach Angaben der Frau) einmalig eine kurzdauernde Phase von Herzstolpern und etwas schnellerem Puls  aufgetreten. Bei raschem Symptomrückgang sei damals keine weitergehende Rhythmus-Diagnostik durchgeführt worden. Bei bekannter Schilddrüsendysfunktion wird seit vielen Jahren eine Substitutionsbehandlung mit L-Thyroxin 75 µg durchgeführt. Die Erkrankungs-Anamnese der letzten 12 Monate ist leer.

Auch im heutigen Tagesverlauf zunächst keinerlei Besonderheiten, kein Krankheitsgefühl. Im Tagesverlauf ist keine belastende Tätigkeit absolviert worden.

Im Anschluss an das Abendessen ist nun eine plötzliche Übelkeit aufgetreten . Die Patientin musste 1 x erbrechen.  Unmittelbar danach hätte sie Schmerzen im linken Schulterblattbereich und im linken Arm verspürt und das Gefühl des Herzrasens. Aufgrund dieser plötzlichen Symptomatik entwickelte sich reaktiv ein Unruhezustand bei der 63-jährigen Frau. Daraufhin sofortige Alarmierung der Rettungsleitstelle durch den Ehemann.

Erstbefund:

Der Patient ist wach und reagiert prompt auf Ansprache., sie ist leicht agitiert. Die Artikulation für längere Satzbildungen ist bei mäßiger Tachypnoe geringfügig eingeschränkt. Angabe eines leichten Druckgefühls auf der Brust mit Schmerzausstrahlung in den linken Arm.

Der Allgemeinzustand des 63-jährigen Patientin ist dennoch nur gering beeinträchtigt. Erhöhte Atemfrequenz: 16-18 Atemzüge / Min.

RR 110 / 80 mmHg , Puls palpatorisch mit Frequenz um 100 – 110 / min, keine nennenswerte Arrhythmie. SaO2: 92 %. Pulmo auskultatorisch bds frei.

Sofortige Anlage eines i.v.-Zugangs.  Gabe von 4 Litern O2 über Sauerstoffbrille.

 

Das abgeleitete 12-Kanal-EKG zeigt den nachfolgenden Befund:

 

 

Frage :  Weiteres Procedere ?

 

Eingereicht von

Dr. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin

Lessingstr. 26

47445 Moers

8 thoughts on “Fall des Monats Februar 2018

  1. Regelmäßige Schmalkomplextachykardie, also a.e. SVT, dd WPW,

    Betablocker i.v oder ggf. Ajmalin erwägen,

    da Ischämie bedingter Tx-Sx, nicht auszuschließen, falls keine KI, noch ASS/Heparin,

    vorher noch V7-V9 nicht vergessen, KV zu diskutieren (für Abwägung diesbezüglich möchte ich aber Pat. sehen),

    Transport in nächste geeignete Kardiologie.

  2. A.e. AVNRT DD AVRT

    Bei stabilem Patienten primär Vagus Stimulation (carotis/Pressversuch), dann Amiodaron oder falls WPW nicht wahrscheinlich ist Betablocker oder Adenosin. 

    Ansonsten elektrische Kardioversion in Kurznarkose nach Heparin Gabe.

  3. Regelmäßige Schmalkomplextachykardie a.e. SVT 

    Und mit ACS Symptomatik bekommt die Pat. Heparin + ASS und rash Transport in nächste Kardiologische Klinik 

     

    Hinwise : ich verstehe gar nicht warum will jemand Cordarex , Ajmalin oder Kardioversion erwägen bei eine stabile Patientin prä-klinik !!!!

  4. Nochmals zur Diagnose:

    Für mich kommen die folgenden dd in absteigender Reihenfolge in Frage:

    -AVRT (bei a.e. rechts gelegener AKL)

    -(atypische) AVNRT

    -(atriale Tachykardie)

     

    Nochmals zur Therapie:

    Amiodaron zur Terminierung einer WPW-Tachykardie ist mir (in letzter Zeit) wiederholt als Empfehlung in der Literatur begegnet.

    Ajmalin ist vielerorts in Deutschland aber noch gelebte Praxis.

    Die ERC-Leitlinien sehen bei einem stabilen Pat. mit regelmäßiger Schmalkomplextachykardie die folgende eskalierende Reihenfolge vor: Vagusmanöver, Adenosinversuch, Expertenrat (alternative bradykardisierende Medikation/ggf. KV).

    Bei unserer Pat. scheint mir die Gretchenfrage mal wieder nach der Stabilität.

    Ja die Pat. hat laut Beschreibung einen guten Blutdruck und eine gute Sättigung,

    aber sie hat unter der laufenden Tachykardie Brustschmerzen, was als Instabilitätskriterium gewertet werden kann/muss. Insofern ist eine KV nicht weit weg. Aber gelebte Realität vielerorts im RD ist auch, dass man häufig erst zur KV greift, wenn die Patienten hämodynamisch instabil sind, sprich eine relevante Hypotonie haben (vermutlich auch weil die KV, nicht Defibrillation, eben draußen nur selten angewendet wird). Insofern halte ich persönlich rein nach der Fallbeschreibung einen medikamentösen Therapieversuch für vertretbar. Wenn hier Unsicherheit besteht, scheint Amiodaron, weil auch den meisten Nicht-Kardiologen zumeist gut bekannt, eine akzeptable Wahl zu sein. Zudem können alle oben diskutierten Tachykardien prinzipiell damit behandelt werden, gerade auch, wenn eine strukturelle Herzerkrankung sprich KHK wie bei unserer Pat. nicht ausgeschlossen werden kann.

    Das Vorgehen die Pat. ohne Angehen der Tachykardie vielleicht über längere Zeit in die nächste Kardiologie zu transportieren, halte ich nur bei extrem kurzer Transportzeit z.B. in der Großstadt für eine gute Idee. Sonst wäre mir das potentielle Dekompensationsrisiko zu hoch.

  5. Erinnert stark an den Novemberfall. Ob die ERBST hier wirklich mit der Tachykardie alleine erklärt sind bleibt unklar, die Patientin gehört als STE-ACS auf den nächsten Kathetertisch. Zur antiarrhythmischen Therapie wurden ja schon viele Worte verloren. Für Gelegenheits-Kardiologen (nicht despektierlich verstehen) empfiehlt sich vermutlich nur Amiodaron wenn man nicht noch weitere Nebenkriegsschauplätze riskieren will. Geklebte Patches am einsatzbereiten Defi sollten bei kardiologischen Krankheitsbildern selbstverständlich sein.

  6. Weiterer Verlauf des Februar-Falls 2018:

     

    Dem Gedankengang eines Diskussionsteilnehmers zum Ausschluss einer Myokardischämie wurde zumindest partiell gefolgt, indem eine dorsale Ableitung V7 zusätzlich abgeleitet wurde. Hier ergab sich allerdings kein Hinweis auf einen Infarkt, wobei die ST-Strecke bei einer Frequenz der Herzaktionen von 200- 220/Min  zugegebenerweise nicht durchgängig sicher beurteilbar war.

     

    Aufgrund der symptomatischen Tachykardie mit schmalen Kammerkomplexen wurde eine i.v.-Gabe von Ajmalin (als – laut Diskussionsforum – vielerorts in Deutschland noch gelebte Praxis) bis zu einer Menge von 30 mg fraktioniert begonnen.

    Unter dieser antiarrhythmischen Medikation geringer aber stetiger Rückgang der Tachykardie auf Frequenzwerte von 160- 170 Aktionen / Min. Der peripher nachweisbare Puls war hierunter von primär 120 / Min rückläufig bis auf 50 – 60 Aktionen / Min, so dass auf eine  weitere Ajmalin-Gabe während des Transports verzichtet wurde.

    Es kam unter der antiarrhythmischen i.v-Medikation zur Besserung des Allgemeinzustandes der Patientin und zur Regredienz der thorakalen Schmerzen.

     

    In der vom RTW angesteuerten kardiologischen Abteilung konnte die Patientin mit deutlich rückläufigem Beschwerdebild übergeben werden. Die weitere Diagnostik ergab ein Vorhofflimmern mit Tachyarrhythmie und dabei annähernd halbierter peripher nachweisbarer Frequenz der Kammeraktion.

     

    Die Ajmalin-Gabe wurde im stationären Rahmen durch eine Beta-Blocker-Medikation ersetzt. Hierunter langsamer weiterer Rückgang der Beschwerden, so dass die 63-jährige Frau nach 5-tägigem Krankenhaus-Aufenthalt  entlassen werden konnte.

     

    Dr. Gerrit Müntefering

    Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin

    Lessingstr. 26

    47445 Moers

     

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