Fall des Monats April 2017

Einsatz Montagabend, 17:45 Uhr für den RTW,

Alarmierungsmeldung: Synkope in einem Hallenbad.

Situation vor Ort:

Die Besatzung des RTW findet in der Umkleidekabine einen 49jährigen Mann vor. Andere Badegäste hätten beobachtet, dass dieser in der Umkleidekabine zusammengesackt sei. Der Bademeister sei hinzugerufen worden, habe ein Handtuch unter den noch nassen Patienten gelegt und die Beine in "Schocklage" verbracht. Der Bademeister berichtet, dass der Patient verschwommen gesprochen, sich aber normal bewegt habe. Ein Krampfanfall sei weder von den Badegästen noch vom Personal beobachtet worden. Der Patient konnte dem Bademeister noch etwas von Insulin und einem Messgerät in seiner Tasche erzählen, welches jedoch anschließend nicht gefunden wurde.

Auf Verdacht war dem Patienten etwas Apfelsaft gereicht worden, er hatte einige Schlucke davon getrunken.

Erstmaßnahmen:

Die RTW-Besatzung übernimmt den Patienten unter der Verdachtsdiagnose einer Unterzuckerung bei Diabetes mellitus. Der von der RTW-Besatzung initial gemessene Blutzuckerwert betrug jedoch 131 mg/dl, so dass diese Verdachtsdiagnose zunächst sich nicht bestätigte.

Beim entkleideten Patienten fiel auf, dass er eine Sternotomienarbe sowie eine Narbe am Unterschenkel hatte, was vom Rettungsdienstpersonal als Vorhandensein eines ACVB gedeutet wurde, was der Patient bejahte. Auffallend war zudem, dass seit Anwesenheit des Rettungsdienstes der Patient einzutrüben schien, die Antworten wurden einsilbig, so dass daraufhin sofort der Notarzt nachalarmiert wurde.

Bis zu dessen Eintreffen wurde von der RTW-Besatzung ein EKG mit Brustwandableitungen geschrieben, hier fand sich ein tachykarder Sinusrhythmus mit Frequenz von 128/min ohne infarkttypische Veränderungen. Der Blutdruck war leicht erniedrigt : 105/60 mmHg. Die RTW-Besatzung hatte ahschließend frustran versucht, einen iv-Zugang zu etablieren, dabei konnte die BZ-Messung nochmals kontrolliert werden : Es fand sich mit 129 mg/dl ein fast identischer Wert zum Vorbefund.

Befund bei Eintreffen des Notarztes:

Der Notarzt traf 7 Minuten nach Alarmierung ein. Er fand einen Patient mit einer nun kompletten Aphasie vor und deutlicher, seitengleicher Kraftminderung . Der Patient konnte Aufforderungen mit einer schwachen motorischen Antwort befolgen, jedoch dabei generelle Minderung der Kraft. Die Zunge konnte nur gering herausgestreckt werden. Es fand sich kein Zungenbiß, keine Deviation. Die Pupillen waren isokor, seitengleiche Licht- und Konvergenzreaktion. Babinski negativ. Auskultatorisch seitengleich belüftet, Herztöne rein, SO2 94%.

Bestätigung des unauffälligen EKGs durch den Notarzt,. Es wurde nun Sauerstoff über die Nasenbrille mit 4 l / Minute gegeben. Die orientierende körperliche Untersuchung war ebenfalls unauffällig. Der Patient erschien trotz seiner Aphasie orientiert, konnte durch Nicken und Kopfschütteln Fragen beantworten, verneinte zunächst Schmerzen und ein bekanntes Krampfleiden.

Weitere präklinische Therapie und Befundentwicklung:

Da der Patient sich immer noch in Badebekleidung befand und auf dem Boden der Umkleideräume sichtlich fror, wurde er vor weiterer Diagnostik zeitnah in den RTW verbracht, dort aktive Heizung des Innenraumes und Wärmeerhalt. Es konnte ein venöser Zugang 18 G am Unterarm etabliert werden. Da auch der Notarzt eine Unterzuckerung aufgrund dieser Befundkonstellation für möglich hielt, erfolgte eine erneute Kontrolle mit dem BZ-Gerät des NEF, jedoch auch hier 128 mg/dl.

Unter fortgesetzter Sauerstoffgabe mit 4 l /min stieg der SO2 auf 99% an. Weiter wurde über den Zugang eine kristalloide Infusionslösung infundiert, die im Verlauf gemessenen RR Werte waren nun normoton (125/65 mmHg). Die Vigilanz des Patienten schien sich allerdings weiter zu verschlechtern, die Kraft nahm bei den notärztlichen Befundkontrollen weiter ab.

Die  Re-Evaluation im RTW  ergab keine neuen Untersuchungserkenntnisse.

Der Patient konnte  trotz der Vigilanzminderung noch auf Ansprache reagieren und verneinte weiterhin Schmerzen durch leichtes Kopfschütteln, insbesondere Kopf- und Brustschmerzen würden nicht bestehen. Er bestätigte diskret nickend den aorto-koronaren Bypaß. Ebenfalls konnte in der so erfragten Anamnese erhoben werden, dass er sich beim vorangegangenen Schwimmen stark körperlich angestrengt hätte, was er aber regelmäßig täte. Die im Ohr gemessene Körpertemperatur betrug 36,2°C.

Frage :

Welche Diagnose würden Sie stellen ?

Welche Krankenhaus-Abteilung würden Sie ansteuern ?


Teil 2

Weiterer Verlauf und klinische Erstdiagnostik:

Der Notarzt konnte in der Zusammenschau der Befunde keine sichere Diagnose stellen. Differentialdiagnostisch dachte er an einen Insult, eine Basilaristhrombose oder eine intrazerebrale Blutung nach körperlicher Anstrengung, so dass er die etwa 8 Minuten entfernt gelegene neurologische Klinik mit Sondersignal ansteuerte, die über die komplette Bildgebung und eine Stroke-Unit verfügt.

Der Transport verlief unauffällig.

Bei der Übergabe war der Patient in unverändert schlechtem Status: kraftlos, Aphasie, jedoch scheinbar voll orientiert.

Der neurologische Kollege übernahm den Patienten, eine CCT und eine Angio-CCT zeigten keine pathologischen Befunde. Die Labordiagnostik wies ebenfalls keine Pathologika auf, die EKG-Kontrolle war auch nicht richtungsweisend.

Welche Diagnose könnte unter Berücksichtigung der ersten apparativen Befunderhebung in der neurologischen Klinik infrage kommen?

 

Dr. Frank Höpken

Ärztlicher Leiter Rettungsdienst

Kreis Wesel

Dr. Frank Höpken

Ärztlicher Leiter Rettungsdienst

Kreis Wesel

4 thoughts on “Fall des Monats April 2017

  1. Sehr schwieriger Fall in meinen Augen, insgesamt ein untypischen Bild. Bauchgefühl: Dringender Transport mit Sondersignal Richtung Neurologie mir neurochirurgischer Option. 

    DD Apiplex/intrakranielle Blutung, Intoxikation, Sepsis mit neurologischer Insuffizienz, lokales infektiöses/reaktives Geschehen (Neuritis im weitesten Sinne). SHT (evt. zweizeitiges Geschehen) steht zwar weit hinten auf meiner Liste, muss aber dennoch ausgeschlossen werden. Bei metabolischer Genese scheidet die Hypoglykämie ja leider aus, aber wer weiß, wie es mit den Elektrolyten und dem pH aussieht?

    Bin sehr gespannt auf die Auflösung.

  2. Der Patient ist dehydriert und leidet nach Überanstrengung an einer Hyponatraemia und wahrscheinlich initialer relativer Hypothermie die sich im beheizten RTW gelegt hat. Die Infusion hat die Hyponatraemia wahrscheinlich verschlimmert. Einweisung in die Innere zur Angleichung der Electrolyte.  

  3. Unklare Vigilanzminderung, Transport in die nächste geeignete Klinik mit CT, Neurologie wäre wünschenswert, Nebenbei Alkoholgeruch? Kardiovaskuläre DD?

  4. Frank Höpken berichtet nachfolgend über einen überraschenden weiteren Fallverlauf  mit dem sicherlich keiner gerechnet hätte. Insofern lohnt sich die nachträgliche Abfrage des invovlierten Rettungsteams nach der weiteren klinischen Fallentwicklung im angesteuerten Krankenhaus  immer..

    Auflösung des Aprilfalls 2017:

    Als der Notarzt zwei Stunden später mit einem anderen Patienten die gleiche Klinik anfuhr, erkundigte er sich nach seinem zuvor behandelten Patienten aus dem Schwimmbad. Hier wurde ihm zu seiner Überraschung erklärt, dass der Patient wieder völlig unauffällig sei, Kraftminderung und Aphasie seien vollständig rückgebildet.

    Der Patient konnte berichten, dass er nach einer Bypaß-Operation vor fünf Jahren eine Depression sowie eine Psychose entwickelt habe. Im Rahmen dieser psychiatrischen Erkrankung habe er bereits zweimal in den letzten drei Jahren ein ähnliches Krankheitsbild entwickelt, in dessen Folge er sich nicht habe bewegen und sprechen können.

    Neurologisch wird er zum Ausschluß einer TIA oder anderer somatischer Störungen komplett abgeklärt. Eine CT-Angio, C-MRT, EEG, sowie die differenzierte neurologische Untersuchung bleiben ohne pathologisches Ergebnis. Da nach Sauerstoffgabe durch den Notarzt und Volumengabe zur Normotonie sich die Symptomatik nicht besserte, sondern eher verschlechterte, bestand klinisch kein Hinweis auf eine TIA.

    Die in ambulanter psychiatrischer Therapie erhobene Psychose wurde durch den konsiliarisch hinzugezogenen Psychiater hingegen jedoch in Frage gestellt. Er würde hier nach definitivem Ausschluß somatischer Ursachen eine

    „atypische dissoziative Störung“ diagnostizieren (ICD 10 F44), wobei weder Alter noch Geschlecht typisch seien.

    Der Patient wird nach stationärer Behandlung zur ambulanten psychotherapeutischen Behandlung überwiesen.

    Dr. Frank Höpken

    Ärztlicher Leiter Rettungsdienst

    Kreis Wesel

     

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