Fall des Monats Mai 2016

Alarmierungsmeldung am Freitag um 11:00 Uhr:

Patient, 71 Jahre, Herzinsuffizienz

Situation vor Ort:

Eintreffen des NEF und RTW 7 Minuten nach Alarmierungsmeldung am Einsatzort:

Parterrewohnung eines Mehrfamilienhauses. Die Lebensgefährtin des Patienten führt das Rettungsdienst in die Wohnung

Ein 71-jähriger Mann sitzt relativ ruhig und aufrecht auf einem Küchenstuhl. Eine Dyspnoe besteht nicht. Keine Zyanose. Kein Distanzrasseln.

Der Patient kann ohne Atempause noch in längeren Sätzen berichten.

Bei ihm sei eine koronare Ein-Gefäß-Erkrankung bekannt, vor ca. 10 Jahren sei eine Stentimplantation erfolgt. Vor ca. 8 Jahren sei aufgrund einer Herzrhythmusstörung in der kardiologischen Klinik eine Verödungsbehandlung durchgeführt worden. Eine genaue Erinnerung an die Art der Rhythmusstörung habe er allerdings nicht mehr.

Der Patient berichtet, dass eine Kurzluftigkeit seit heute früh nach mehreren mittelschweren Belastungen aufgetreten sei. Die Pulsfrequenz sei auch höher als sonst gewesen, wie nach einem Dauerlauf.

Erstbefund:

71-jähriger Patient ohne Zeichen einer relevanten kardiopulmonalen Dekompensation.

Keine Angabe eines thorakalen Druckgefühls. Lungenauskultationsbefund mit Vesikuläratmen beidseits. Leichtgradige periphere Ödembildung.

Atemfrequenz 12/Min

SaO2: 97 %

Blutdruck : 120/70 mmHg

Puls: 190/Min

Das zeitgleich mit dem Anlage des i.v.-Zugangs abgeleitete 12-Kanal-EKG ergibt den folgenden Befund:

Herzfrequenz laut EKG-Analyse nun 185/Min.

Die nächste aufnahmebereite Klinik mit kardiologische Abteilung und freiem Intensivbett wäre in einer Fahrzeit von 25-30 Minuten erreichbar

 

In der Medikamentenbox der Rettungsfahrzeuge befinden sich folgende Kardiaka:

– Beloc

– Ajamalin

– Verapamil

– Amiodaron

 

Was würden sie jetzt tun?

 

Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers

10 thoughts on “Fall des Monats Mai 2016

  1. – die QRS Komplexe sind verbeitert auf ca. 0,15 sec, P-Wellen vorhanden, bei entsprechender Vorgeschichte handelt es sich um eine regelmäßige Breitkomplextachykardie, also eine VT

    – bei bekannter Herzinsuffizienz und aktuell ohne manifeste Hinweise auf eine instabile Situation bekommt der Pat. 300 mg Amiodaron in G5% als langsame Infuision bis zu Klinik, bei drohender Instabilität wird elektrisch kardiovertiert.

    1. – Nachtrag: ist garnicht so eindeutig wie ich dachte… Es ist zwar breit, da aber wohl P-Wellen mehr oder weniger da sind, kann es sich bei regelmäßigen QRS-Komplexen auch um eine SVT mit Schenkelblock handeln, evtl. eine AV- Reentrytachykardie. Dann wäre Amiodarion so mäßig gut wegen der Blockade des AV- Knotens und noch schnellerer Überleitung über die akzessorische Leitungsbahn…dann lieber ein Versuch mit Adenosin und wie gesagt bei Instabilitätszeichen Kardioversion. Das Schwierige sind die nicht ganz klar zu erkennenden P-Wellen… Man könnte sich eben daher auch für eine VT entscheiden, wenn man sagt es sind keine P-Wellen zu sehen.

    2. – Nachtrag zum Nachtrag: Man sollte wohl nicht so kompliziert denken… Ich halte es für eine Breitkomplextachykardie, evtl. P-Wellen zu sehen (Dissoziiert?), daher ggf. Kurzer Versuch mit Vagaler Stimulation. Ansonsten Betablocker, EKG abwarten und bei erfolglosigkeit Amiodaron. Bezüglich meiner Überlegung akzessorische Bahn meinte ich natürlich WPW und nicht AVNRT. Adenosin habe ich ja laut vorhandener Kardiakaliste ohnehin nicht. Es ist meiner Meinung nach in diesem Fall kaum möglich zu beurteilen ob es sich um eine SVT mit Schenkelblock handelt.

    3. – Ajmalin bei bekannter Herzinsuffizienz kontraindiziert. 

      – Beloc evtl. eher vorsichtig wegen RR- Abfall, Amiodaron somit nach "meiner komplizierten" Überlegung Mittel der Wahl.

      – Sollte man eine akzessorische Bahn vermuten ( selten, hier meiner Meinung nach nicht gegeben) dann wären Verapamil und Adenosin nicht geeignet.

    4. – habe mich im Nachtrag Nr.1 etwas widersprüchlich ausgedrückt…Meinte zunächst AVNRT und bin dann bei WPW gelandet. AVNRT > Adenosin (auch Amiodaron ohne Problem, jedoch nicht 1. Wahl). WPW mit akzessorischer Leitungsbahn > Ajmalin oder Amiodaron, kein Adenosin wegen AV- Blockade und noch schnellerer Überleitung über akzessorischer Bahn.

  2. Nach klinischem Eindruck, körperlicher Untersuchung und den erhobenen Vitalparameterin ist der Patient als stabil einzustufen.

    Das EKG zeigt eine regelmäßige Breitkomplextachykardie. Auch bei unklarem Rhythmus gilt jede Tachykardie mit breitem QRS-Komplex bis zu Beweis des Gegenteils als ventrikuläre Tachykardie. Folglich können 300mg Amiodaron als Kurzinfusion oder per Perfusor über 20 Minuten verabreicht werden. Gleichzeitig gilt der Grundsatz, dass eine medikamentöse Therapie einer Arrhythmie im Notarztdienst nur eingeleitet werden sollte, wenn die hämodynamische Stabilität des Patienten durch die Arrythmie beeinträchtig wird.

    Da die Hämodynamik des 71jährigen Patienten im vorliegenden Fall nicht beeinträchtigt ist und er die Symptomatik augenscheinlich seit einigen Stunden kompensiert und toleriert, würde ich den Patienten in beschriebener Klinik nach den lokal geltenden Standards telefonisch voranmelden und ihn unter der Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten dorthin transportieren.

  3. Bei der Vorgeschichte und dem Faktum, dass der Pat. schon über mehrere Stunden mit den Symptomen zurechtkommt, würde ich – angesichts des eingeschränktem Kardiaka-Anbots und der Einschränkungen der Prä-Klinik-Umgebung – den Pat. unter Nutzung von Sonderrechten in einem Schontransport in die Klinik bringen. Sollte sich der Zustand am Transport verschlechtern, muß sowieso gehandelt werden. Aber es ist davon auzugehen, dass die 30 Minuten bis zur Klinik keine großartige Verschlechterung des Zustandes eintreten wird. 

    Grundsätzlich behandeln wir den Menschen und kein EKG! 

  4. EKG: Regelmäßige Breitkomplextachykardie dd VT dd SVT mit Blockbild

    (Tip ohne Gewähr: EAT mit 1:1 Überleitung und vorbestehendem LSB (LAHB?))

    Pat. erscheint noch kardiopulmonal stabil.

    Prozedere: Falls Adenosin vorhanden -> Adenosinversuch, sonst 300mg Amiodaron langsam i.v. und zügiger Transport in geeignete Kardiologie.

    Der Versuch einer reinen Frequenzkontrolle mit Beloc oder Verapamil erscheint mir hier zunächst ungeeignet, Ajmalin ist sicher eine Alternative aber cave: unbekannte LV-Pumpfunktion und starke neg. inotrope Wirkung.

    Kommentar: Wenn die hämodynamische Stabilität eines Patienten durch eine Arrythmie beeinträchtig wird, ist es für eine alleinige medikamentöse Therapie meist zu spät; dann sollte gelten, je instabiler desto eher Strom.

  5. Weitere Infos zum Fall des Monats Mai 2016

     

    Tolle Diskussion diesmal.

    Dr. Alexander Jung hat das tagtägliche Dillemma des Notarztes eindrucksvoll auf den Punkt gebracht.

    Am besten hat mir aber die Grundregel gefallen „Grundsätzlich den Menschen und nicht das EKG zu behandeln“! 

    Weitere zitierwürdige Äußerungen:

    Sollte sich der Zustand am Transport verschlechtern, muß sowieso gehandelt werden.

    Bis dahin „zügiger Schontransport “.

     

     

    Präklinischer und klinischer weiterer Fallverlauf:

     

    Unter fortgesetztem Monitoring mit 12-Kanal-EKG wird aufgrund der relativ stabilen kardiopulmonalen Situation auf weitergehende / invasivere Maßnahmen zur Rhythmisierung verzichtet.

    Bei schmaler Kammerkomplex-Tachykardie erfolgt die vorsichtige fraktionierte Gabe von insgesamt 60 mg Ajmalin ( Gilurytmal®) i.v. mit allerdings nur leichtgradiger Senkung der Frequenz auf 165 / min.

    Nach Voranmeldung Beginn des zügigen aber Schontransports in eine Klinik mit Kardiologischer Abteilung und mit freiem Intensivbett.

    Vitalparameter zu Transportbeginn:

    RR 110 / 70 mmHg  Frequenz 165 / Min

    Atemfrequenz 12/Min   SaO2 : 94 %

     

    In der Zentralen Notaufnahme des Klinikums dann sofort voller Griff des Klinikers in die Ampullenbox:

    Versuch der medikamentösen Rhythmisierung mit Adenosin ( Adrekar®) mit Dosissteigerung bei den Bolusgaben des Pharmakons bis auf 12 mg. Allerdings ohne Erfolg.

    Von den Kardiologen wird nun eine supraventrikuläre Tachykardie bei Wechsel zwischen Vorhofflimmern und Vorhofflattern mit 3:1 Überleitung festgestellt.

     

    Nach Klinik-zu-Klinik-Telefonat gibt’s dann auch neue Infos zur Vorgeschichte:

    Die Recherche zur Anamnese und zu den kardial relevanten Vortherapien ergab den Zustand nach gekühlter Radiofrequenz-Ablation des Cavo-Trikuspidalen Isthmus im Jahr 2013. Außerdem war bei Koronarer 2-Gefäßerkrankung und Z.n. Myokardinfarkt 2002 die PCI der RCA erforderlich gewesen.

     

    Am Aufnahmetag und am 2. klinischen Behandlungstag zeigt das Monitoring eine persistierende Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern mit Frequenzen maximal bis 200/ Minute – allerdings auch weiterhin ohne Angabe von Beschwerden.

     

    An diesem Folgetag wird daraufhin die transösophageale Echokardiografie durchgeführt zum Thrombusausschluss im Herzohr und dann anschließend die erfolgreiche Kardioversion in den Sinusrhythmus.

     

    Der Patient kann am 4. stat. Behandlungstag beschwerdefrei aus der Krankenhausbehandlung entlassen werden.

     

    Im Entlassungsbrief wird eine Wiederholung der im Jahr 2013 durchgeführten Ablationstherapie empfohlen, die offensichtlich über längere Zeit erfolgreich gewesen war.

    Die Durchführung dieser Ablationsmaßnahme durch die seinerzeit tätige Klinik wird für sinnvoll erachtet.

     

     

    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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