Alarmierungsmeldung Freitag 10:00 Uhr:
NA-Anforderung durch allgemeinmedizinische Praxis: Patientin mit Herzrhythmusstörungen
Situation vor Ort:
6 Minuten nach Alarmierung trifft das NEF an der Arztpraxis ein. Das Rettungsteam wird in ein Behandlungszimmer der Praxis geführt, in dem eine 89-jährige Frau in Seitenlage auf der Behandlungsliege liegt. Sie ist wach und ansprechbar. Es besteht eine leichtgradige Dyspnoe. Die Patientin kann in eher kürzeren Sätzen antworten. Der Radialispuls ist schwach und tachykard tastbar. Die Hausärztin berichtet, dass bei ihrer Patientin eine Herzinsuffizienz NYHA-Stadium III bekannt sei und auch eine intermittierende Tachyarrhythmie mit der Notwendigkeit der NOAK-Medikation. Vor geraumer Zeit musste eine deutliche Anämie bei peranaler Blutung und Hb-Wert von 7g/dl mit Erythrozyten-Konzentraten behandelt werden. Ein Malignom sei in diesem Zusammenhang aber nicht festgestellt worden. Die anschließenden Laborkontrollen und lokalen Befundkontrollen seien dann wieder unauffällig gewesen.
Die Hausärztin war von der Patientin bereits am Vortag zum Hausbesuch gebeten worden wegen nicht blutigen Durchfällen seit dem Morgen. Es war ein warmer Sommertag. Die Hausärztin stellten einen reduzierten AZ der 89-jährigen Frau fest mit blassem, anämischem Aspekt und stellte an diesem Tag eine Krankenhauseinweisung für ihre Patientin aus. Ein KTW-Transport wurde zeitnah telefonisch eingeleitet. Der KTW-Transport war dann aber am frühen Abend nicht erfolgt, da die Frau bei Eintreffen der Mitarbeiter des Hilfsdienstes den Krankentransport abgelehnt hatte „es sei alles doch nicht so schlimm“ .
Am Folgetag (aktueller Einsatztag) hat sich die 89-jährige Frau dann mühsam rollatormobil mit Dyspnoe in der Hausarztpraxis vorgestellt. Die Hausärztin hat ein Extremitäten-EKG abgeleitet mit Dokumentation einer Herzfrequenz von 160/ Min, jedoch ohne Veränderungen der P-QRS-Konfiguration im Vergleich zum in der Praxis vorhandenen Vor-EKG von vor 2 Monaten.
Die Patientin liegt nun auf der Behandlungsliege in der Praxis in Seitenlage (ohne fortgesetztes Monitoring und ohne i.v.-Zugang).
Erstbefund:
89-jährige Frau, wach und ansprechbar. Leicht blasses Hautkolorit. Keine Zyanose. Atemfrequenz bei 14- 16/min. Auskultatorisch keine RG’s, allenfalls minimale Bronchospastik, seitengleiche Atemexkursionen soweit in primär eingeleiteten Seitenlage beurteilbar. Radialispuls schwach und tachykard aber rhythmisch tastbar. Pulsoximetrie: SaO2 92 % , Herzfrequenz: 170/ Min. Blutdruck: 90/50 mmHg. Recap-Zeit: 2 sekunden. Leichtgradige Unterschenkelödeme bds.. Im Bereich der oberen Extremitäten andererseits vermehrt stehende Hautfalten.
Vorsichtiger Transfer der Patientin in die Rückenlage mit mehreren Helfern. Abdomen mäßig gebläht, lokaler Druckschmerz im rechten Epigastrium. Diese Schmerzen seien laut Patientin erst seit einigen Tagen hin und wieder aufgetreten. Auskultatorisch leichte Hyperperistaltik.
Die Hausärztin berichtet, dass eine vor einigen Wochen erfolgte Abdominalsonografie unauffällig gewesen sei.
Erstmaßnahmen:
Intravenöser Zugang am Handrücken und Infusion von 500 ml VEL. Sauerstoffgabe über Brille
Das 12-Kanal-EKG zeigt folgenden Befund:
Arbeitsdiagnose?
Weitere Maßnahmen?
Teil 2….
Weiterer präklinischer Verlauf des August-Falls 2024:
Wie von Alex auch schon vorgeschlagen, wurden zusätzlich zur bereits genannten Sauerstoffgabe prophylaktisch auch die Patches geklebt und Volumen (VEL) gegeben. Der BZ betrug 110 mg/dl und tympanale Temperatur lag bei 37,9°c. Beim abschließenden Arzt-zu-Arzt-Gespräch konnte sich die Hausärztin noch erinnern, dass bei ihrer Patientin vor ca. 4 Jahren eine stationäre Behandlung wegen tachykarder Herzrhythmusstörungen notwendig gewesen sei, im Rahmen derer eine medikamentöse Rhythmisierung zunächst sehr schwierig gewesen sei. Letztendlich hätte Amiodaron dann eine Befundbesserung ergeben. Die Antiarrhythmika konnten in der poststationären Phase dann ausgeschlichen werden.
Als Zielklinik wurde die auch von Alex präferierte Klinik mit breitem Abteilungsspektrum (Kardiologie / Gastroenterologie) ausgewählt.
Unter titrierter i.v. Gabe von insgesamt 40 mg Amiodaron während des Transports zeigt sich der nachfolgende EKG-Befund bei Blutdruck: 100/50 mmHg und Herzfrequenz zwischen 50 – 70 / Min und einer Sauerstoffsättigung von 93 % (unter O2-Gabe von 4l/min über Sauerstoffbrille).
Änderung der Arbeitsdiagnose ?
Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers
3 thoughts on “Fall des Monats August 2024”
Ich denke wir haben es hier am ehesten mit einer supraventrikulären Tachykardie mit bifaszikulärem Block zu tun (gleich QRS Konfiguration wie vor 2 Monaten -> VT eher unwahrscheinlich). P-Wellen kann ich nicht klar erkennen. Schwierig zu differenzieren, ob es hier primär eine rhythmusstörung ist oder eine Antwort auf ein tieferligenedes Problem. Die Dame zeigt darunter beginnende Dekompensationszeichen.
Prozedere:
Sauerstoffgabe und Patches kleben. Vorsichtig wenig Volumen anbieten. Zur Komplettierung der Diagnostik noch BZ und Temperatur (vielleicht schon stauungspneumonie?). Im Falle weiterer Destabilisierung noradrenalin 10ug/ml für titrierte Bolusgaben vorbereiten.
Ich würde noch die Lewis-Ableitungen machen um nach Vorhofaktionen zu fahnden (Sinustachykardie? Flattern?). Sollte sich die Dame unter einer etwaigen SVT weiter verschlechtern steht noch die synchronisierte EKV bereit, würde ich aber zunächst bei noch leidlicher Stabilität lieber unter kontrollierteren Bedingungen im Krankenhaus machen.
Alternativ ist es kein primäres Rhythmusproblem sondern eine Reaktion; bei undulierendem rechtsseitigen oberbauchschmerz unter NOAK und Z.N Blutabgängen könnte auch eine subakute OGI Blutung bei Ulcus oder Tumor (unklar, ob im letzten Aufenthalt Endoskopie durchgeführt wurde) vorliegen, was eher für eine Bedarfstachykardie bei beginnendem hämorrhagischem Schock spräche.
Zielklinik: Nächstgelegene Innere mit Kardio/Gastro
Liebe Grüße
Unangenehmer Fall und kritische Patientin. Ich bin zunächst mal verwundert und verärgert, dass die HÄ weder Monitoring noch i.v.-Zugang etabliert hat, vielleicht hat das aber auch nachvollziehbare Gründe (vorhandenes EKG dafür uneeignet, bekannt schlechter Venenstatus und geringe Punktionserfahrung der Kollegin…). Deshalb traue ich ihr erstmal nicht so ganz (lasse mir das selbstverständlich nicht anmerken) und lasse mir das ältere EKG zeigen, um selbst zu vergleichen. Im 1. EKG finden wir schnell/regelmäßig/etwas breit. Bei genauerem Hinsehen würde auch mich nicht auf P-Wellen festlegen, aber schon auf einen RSB und überdrehten Linkstyp. Also bifaszikulärer Block, wie Alex schon sagte. Versorgung mit Patches und Volumen gehe ich mit, sooo vorsichtig würde ich das Volumen aber nicht geben. Wir haben hier ziemlich sicher eine zentrale Hypovolämie (Hitze + Durchfall + stehende Hautfalten), vermutlich auch mit Elektrolyt-Verschiebungen (Hypokaliämie). Eine Anämie bei evt. Blutungsgeschehen ist schwerer zu verifizieren. Wenn das BZ-Gerät auch einen Hb kann => her damit! Wie sehen die Konjunktiven aus?
Damit hätten wir sowohl Gründe für eine Bedarfstachykardie als auch für eine primäre Rhythmusstörung. Ich tue mich hier schwer mit Antiarrhythmika, weil mir die Genese der Tachykardie so unklar ist und ich auch ganz schön Schaden anrichten kann damit. Ob die Dame einen Valsava-Versuch schafft, darf bezweifelt werden, aber das wäre ein wenig invasiver Therapieversuch. Vasopressoren vorbereiten (z.B. Akrinor) und unter Kardioversionsbereitschaft ins nächste KH mit Kardiologie, Gastroenterologie und Allgemeinchirurgie.
Im weiteren klinischen Verlauf nach Amiodarongabe sehen die Aktionen nicht mehr rhythmisch aus, die Abstand der p-Wellen zu den QRS-Komplexen scheint zu schwanken. Außerdem 2 VES, die sich jetzt zwischen die langsamer werdenden Kammeraktionen schieben können. Auf der anderen Seite gibt es Ableitungen, wo diese auffälligen Komplexe schmaler und fast wie die „normalen“ aussehen. Immerhin hält sich der RR darunter, steigt soagr leicht an. So richtig viel schlauer bin ich nicht. Vorsichtig formuliert. Wenn es die Möglichkeit gibt, einen Tele-NA zu konsultieren, würde ich das hier tun, während das restliche Team den Transport vorbereitet.
Zusammenfassung: Monitoring, Volumen, auf alles vorbereitet sein und Gas geben.
Auflösung zum Fall des Monats August 2024
Die Untätigkeit der Hausärztin hinsichtlich des Zustands der kritischen Patientin löste ( wie Steffi auch angemerkt hatte ) Verärgerung aus, die aufgrund der Dringlichkeit der präklinischen Therapiemaßnahmen erstmal geschluckt wurde.
Das BZ-Gerät ist leider ein älteres Modell ohne weitere Analyse-Fähigkeiten. Zu Steffi’s weiterer Frage: Die Konjunktiven waren bei sehr genauem Hinsehen diskret gelblich gefärbt. Und nach der vorsichtig tritrierten Amiodaron-Gabe zeigte sich die Herzfrequenz zwar erfreulicherweise rückläufig auf Werte zwischen 70 -90 / Minute aber leider auch mit der von Steffi beschriebenen Arrhythmie.
Der Blutdruck war unter Volumengabe und nach der titrierten Antiarrhythmika-Applikation auf Werte von 115/70 mmHg gestiegen, so dass der Weg in die ZNA etwas ruhiger fortgesetzt werden konnte.
In der ZNA wurde der Rechtsschenkelblock bestätigt, wobei dieser wohl neu aufgetreten sein musste, da von der Hausärztin keine vorbestehende Leitungsblockierung mitgeteilt worden war.
Die späteren Verlaufsabfragen des Notarztes in der Klinik waren zunächst mit Hinweisen auf Datenschutz etc. nicht sehr ergiebig. 2 Tage später wurde der Notarzt dann allerdings von der Klinikzentrale überaschenderweise auf eine chirurgische Station weiterverbunden. Vom Stationsarzt war dann zu erfahren, dass der Zustand der Patientin sich hinsichtlich der kardialen Situation nach kurzer Zeit stabilisiert hätte. Bei erhöhten Entzündungsparametern und Gallengangsenzymen sei nach Feststellung einer „Cholezystitis“ mit wahrscheinlichem Interventionsbedarf eine antibiotische Medikation eingeleitet worden. Weitere Informationen waren in der Folgezeit leider nicht mehr zu bekommen.
Insgesamt also ein ziemlich unangenehmer Fall mit verzögerter Pimärtherapie auch aufgrund der fehlenden Behandlungswilligkeit der Patientin am Vortag zum Notfallereignis. Die Option der präklinischen Sonographie an Bord hätte – abhängig vom Gallenblasenbefund – eventuell ein bisschen Licht ins Dunkel gebracht, allerdings m.E. nicht zu einer relevanten Änderung der Primärtherapie geführt.
Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers