Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen

Alarmierungsmeldung: “Nicht ansprechbare Person“

Gegen 23:00 Uhr wird die Rettungsleitstelle von einer weiblichen Person angerufen. Sie berichtet, dass ihr Ehemann plötzlich bewusstlos geworden sei. Es sei aber noch eine oberflächliche Atmung vorhanden. 

Situation vor Ort:

3-minütige Fahrzeit des NEF zum Einsatzort. Die Anruferin führt die NEF-Besatzung ins Esszimmer der Wohnung.

Ein 68-jähriger adipöser Mann wird zusammengesunken auf einem Stuhl sitzend vorgefunden.

Keine Reaktion des Mannes auf laute Ansprache oder Schulterrütteln. Nach Freimachen der Atemwege aber keine Spontanatmung.

Erstmaßnahmen:

Sofortiger Transfer des übergewichtigen Patienten in Rückenlage und Beginn mit der kardiopulmonalen Reanimation. Über die Klebepads der EKG-Defibrillator-Einheit wird ein Kammerflimmern ausgeschlossen.

2 Minuten nach Beginn mit der kardiopulmonalen Reanimation trifft auch die Besatzung des RTW‘s ein:

–  EKG-Ableitung

–  Anlage eines intravenösen Zugangs

Ein intravenöser Zugang kann bei Adipositas und schlechten peripheren Venenverhältnissen erfreulicherweise ohne Zeitverzug im Bereich der re. Vena jugularis externa gelegt werden.

Blutzucker-Bestimmung: 230 mg/dl.

Die EKG-Ableitung zeigt nach ersten Suprarenin-Gabe eine tachykarde Herzaktion um 110 Schläge/Min. bei Niedervoltage. Schmale QRS-Komplexe. Keine Endstreckenveränderungen.

– Die endotracheale Intubation des adipösen Patienten (mit kurzem Hals und verstrichener Kinnkontur) gestaltet sich zunächst schwierig und gelingt erst im zweiten Anlauf (mit Notwendigkeit einer intermittierenden Oxygenierungsphase  und anschließendem B.U.R.P.-Manöver).

Der anfängliche tachykarde Sinusrhythmus geht dann kurzzeitig in eine Bradykardie über mit Frequenz um 35 – 40/min. Keine AV-Überleitungsstörung, kein Ersatzrhythmus.

Bei zu diesem Zeitpunkt nicht sicher nachweisbarem Puls wird nochmals Suprarenin i.v. injiziert. Die kardiopulmonale Reanimation wird fortgesetzt.

Prüfung der Pupillengröße und Lichtreaktion.

Die rechte Pupille ist diskret weiter als die linke Pupille. Beide Pupillen reagieren allerdings adäquat auf Licht.

Nach der 2. Suprarenin-Injektion kann nun ein schwacher Carotispuls getastet werden. Die EKG-Ableitung zeigt einen Sinusrhythmus – Frequenz um 90/min – mit vereinzelten monotopen ventrikulären Extrasystolen. Auch ein schwacher Radialispuls ist nun palpabel. Der Blutdruck kann bei 70 mmHg systolisch gemessen werden.

Daraufhin Anlegen eines Arterenol-Perfusors mit zunächst vorsichtiger Ersteinstellung einer Flussrate von 0,4mg/h

Bei laufendem Arterenol-Perfusor wird ein systolischer Druck von 90-100 mmHg erreicht. Herzfrequenz um 90 Schläge/min., vereinzelte ventrikuläre Extrasystolen. Sauerstoffsättigung bei 90 – 92 %. Tympanal gemessene Temperatur: 38,7 °c.

Weitere Erstmaßnahmen:

Nun ist auch eine kurze Befragung der Ehefrau zur Vorgeschichte des Patienten möglich:

Es besteht der Zustand nach Operation eines gutartigen Hirntumors vor ca. 30 Jahren. Ob die Pupillendifferenz seit diesem Zeitpunkt besteht, kann von der Ehefrau nicht sicher betätigt werden.

Bestehender Diabetes mellitus mit seit längerem instabiler Einstellung unter Metformin-Medikation. Auch eine Fußambulanz ist involviert, die allerdings zuletzt vor 2 Monaten aufgesucht worden war.  Anamnestisch sei bisher keine Herzerkrankung oder Herzschwäche bekannt. Bis auf die Metformin- und Schmerzmedikamenten als Bedarfsmedikation wegen der hin und wieder auftretenden Schmerzen im Fußbereich – keine Dauermedikation.

Der Patient sei im heutigen Tagesverlauf unauffällig gewesen. Am Abend sei er dann – ohne erkennbare Vorzeichen oder vorherige Schmerzäußerung – bewusstlos geworden. Er habe dabei kurzzeitig mit dem Kopf gezuckt. Ein periodisches Zucken an Armen und Beinen sei jedoch nicht sichtbar gewesen. Auch keine Streckhaltung der Extremitäten. 

Nach diesen erfolgreichen Erstmaßnahmen ist vor Transportbeginn eine orientierende körperliche Untersuchung des Notfallpatienten möglich:

Atemexkursionen beider Thoraxhälften unter Beatmung seitengleich, kein abgeschwächtes Atemgeräusch. Kontur des Abdomens leicht aufgetrieben. Orientierend nur leichtgradige periphere Ödeme. Am linken Unterschenkel ist eine 2-Schalen-Orthese angelegt, die von den 3 Schnallenverschlüssen allerdings ungewöhnlich festsitzen und in der Akutsituation wohl nur mit Hilfsmitteln zu öffnen wären.

Die vorbeschriebene leichtgradige Pupillendifferenz re. > li. besteht unverändert bei adäquater Lichtreaktion der Pupillen.

Die Beatmung wird vom Patienten unter niedrig dosierter i.v. Analgosedierung gut toleriert.

Zu Transportbeginn kann ein systolischer Druck um 90- 100 mmHg gehalten werden, Frequenz bei ca. 90/min.

 

– Verdachtsdiagnose?

 

– Weiteres diagnostisches Vorgehen?

 

Dr. Gerrit Müntefering
Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26 

47445 Moers

3 thoughts on “Fall des Monats Mai 2023

  1. Hallo,
    meine Verdachtsdiagnose lautet:
    „Kreislaufinstabilität bei Sepsis durch diabetisches Fußsyndrom und sekundäre Nebenniereninsuffizienz/ adrenerge Krise infolge Hypophysen-Vorderlappen-Insuffizienz nach OP eines Hypophysenadenoms“

    Begründung:
    – OP eines Hirntumors vor 30 Jahren
    – Kreislaufinstabilität mit Bradykardie trotz Sepsis/ Infekt und ohne Hinweis für kardiale Ursache
    – diabetisches Fußsyndrom mit unzureichender Wundversorgung

    Diagnostik:
    ACTH und Cortisol bestimmen (wären beide niedrig, wenn sekundär).
    Blutkulturen, Labor, Rö, BGA, etc.

    Therapie:
    Substitution von Hydrocortison
    Breitspektrum-Antibiotika frühzeitig
    Kreislaufunterstützende Therapie, Beatmung
    Wunddebridement

  2. Man sagt zwar „Der Fisch stinkt immer vom Kopf“, aber in diesem Fall ist es bestimmt der Fuß, der stinkt. Ich könnte mir vorstellen, dass es unter der Orthese fürchterlich aussieht, die ist wahrscheinlich seit der letzten Fußpflege nicht abgenommen worden.
    Ich vermute dort wie Florian den Herd einer Sepsis mit konsekutivem septisch bedingten Kreislaufstillstand. Die „diskrete“ Pupillendifferenz würde mich im Moment nur peripher tangieren.
    Präklinische Diagnostik: Mir fehlt der Vollständigkeit halber noch der primär festgestellte Rhythmus (am besten etwas spezifischer als einfach nur PEA, oder war es eine Asystolie?) und eine Kapnographie. Davon ab haben wir schon viel Wichtiges vorliegen: Das 12K-EKG ohne Infakthinweis, SpO2 und laufendes EKG, Blutdruck, die unauffällige Pupillenreaktion, den BZ, die Temperatur. Ein seitengleiches und hoffentlich vorwiegend vesikuläres Atemgeräusch. Im Prinzip fehlt noch die Begutachtung des Fußes, aber die würde ich uns allen in diesem Moment ersparen unter der Erwartung, dass es dort schleimt und schmiert und kreucht und fleucht und übelkeitserregend riechen wird. Mindestens wird es gerötet und geschwollen sein. Wir erschweren und verzögern uns bloß den Transport damit ohne Konsequenz für den rettungsdienstlichen Verlauf. Selbst falls der Fuß blande aussehen sollte, steht für mich wegen der erhöhten Temperatur eine Sepsis (vielleicht auch abdominal? => Palpation!) im Raum. Ein Öffnen der festsitzenden Orthese könnte möglicherweise auch zu einem systemischen Einschwemmen von Noxen führen und die Situation unseres Patienten weiter verschlechtern.
    Aus der Anamnese heraus ergibt sich für mich ein eher uncomplianter, vermutlich doch multimorbider Patient. Neben dem schlecht eingesteltten Zucker und der offensichtlichen Adipositas unterstelle ich noch eine Fettstoffwechselstörung und einen Hypertonus, außerdem ein OSAS. Die Sache mit dem Hirntumor nehme ich zur Kenntnis, halte einen kausalen Zusammenhang mit dem Kreislaufstillstand aber für eher unwahrscheinlich. Keine Konsequenz für unser rettungsdienstliches Handeln.
    Reversible Ursachen: Sehr unwahrscheinlich sind primäre Hypoxie, Hypothermie, Intoxikation, Spannungspneu, Infarkt. Nicht ganz auszuschließen: Herzbeuteltamponade + LE (=> Sono, wenn gut geübter Sonografeur vor Ort, da die Schallbedingungen durch die Adipositas hier erschwert sind), sowie E-Lyt-Verschiebung (vielleicht hat sich bereits eine akute Niereninsuffizienz entwickelt). Von einer relativen Hypovolämie gehe ich im Moment aus, auch die könnte man sonografisch verifizieren. Außerdem die Anamnese noch vertiefen in Bezug auf Schmerzverlauf in Bein/Brust/Bauch, kürzliche Veränderungen bzgl. Stuhlgang/Diurese und Vigilanz/Orientierung.
    Präklinische Therapie: Volumen und Volumen. Und Volumen. Evt. mit einem zweiten venösen Zugang, der vermutlich aber schwer zu etablieren ist. Unbedingt gute Sicherung des jugularen Zugangs. Intraossärer Zugang nur, wenn uns der erste abhanden kommen sollte. Arterenol weiter nach Bedarf dosieren (Ziel: Mitteldruck idealerweise um 65mmHg) bei ca. 3minütlichem Blutdruckmessintervall. Sobald der Patient im RTW ist, möglichst kontinuierliche Palapation von A.radialis oder A. femoralis. Beatmung: Normoventilation (e.t. CO2 bei knapp 40) mit ca. 12er AF und einer bedarfsgemäßen FiO2 (Ziel-SpO2 94%). Legen einer Magensonde, falls das aufgetriebe Abdomen auf intragastrale Luft zurückgeführt wird. Sedierung und Relaxierung vorbereiten und Pat. engmaschig auf Abwehrbewegungen und Gegenatmen beobachten. Nur bei Bedarf sedieren/relaxieren.
    Falls eine Treppe überwunden werden muss, ggf. frühzeitig Tragehilfe anfordern (kreislaufinstabiler adipöser Patient).
    Zielklinik wäre für mich idealweise ein Cardiac Arrest Center, je nach Transportstrecken auch ein KH mit einer gut aufgestellten Inneren Abteilung, einer Allgemeinchirurgie und natürlich einem verfügbaren Intensivplatz. Selbstverständlich kündigen wir unser Kommen in angemessener Weise an 😉

  3. Weiterer Verlauf des Mai-Falls 2023:

    Transport des Patienten im RTW mit Sonderrechten ins nächstgelegene Krankenhaus mit noch freier Intensivkapazität.
    Voranmeldung: 68-jähriger Patient, Z. n. kardiopulmonaler Reanimation, Ursache unklar

    Während des Transportes kann ein systolischer Druck um 100 mmHg gehalten werden, Frequenz bei ca. 90/min.
    Die Beatmung wird vom Patienten ohne Analgosedierung toleriert.

    Der 68-jährige Patienten wird unter Umgehung des Schockraums sofort auf die lntensivstation transportiert:
    Und……….
    Florian und Steffi hatten die richtige Vorahnung gehabt :

    Beim Ausziehen der 2-Schalen-Orthese, das nur mit einer Zange gelingt, wird eine ausgeprägte prallelastische Schwellung im Bereich der Fußsohle des re. Fußes festgestellt. Im Fußsohlenbereich ist eine deutlichere Überwärmung spürbar. Die Unterschenkel- und Sprunggelenksregion ist unauffällig.

    Die Röntgenaufnahmen des re. Fußes zeigen ein völlig zerstörtes Mittelfuß-Skelett. Aufgrund dieser ausgedehnten Abszesses im rechten Fußbereich erfolgt zeitnah die operative Entlastung durch die hinzugezogenen Chirurgen. Es entleert sich massiv Eiter aus der Fußsohle, in der großen Wundhöhle sind multiple Frakturen des Fußskelettes feststellbar.

    Auch nach sofort erfolgter Abszess-Entlastung und Sequestrotomie der Osteomyelitis und resistogramm-gerechter Antibiose mit hochpotenter AB-Kombination gelingt die Stabilisierung des Kreislaufes unter intensivmedizinischer Maximaltherapie nur auf einem niedrigen Niveau.

    Trotz Ausschöpfung aller intensivmedizinischer Maßnahmen gelingt es nicht, die Kreislaufsituation des Patienten zu stabilisieren.Der 68-jährige Patient verstirbt 3 Tage nach der Primärbehandlung im septischen Schock und Multiorganversagen.

    Dr. Gerrit Müntefering
    Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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