Fall des Monats April 2020

Notfallmeldung ,Freitag 20:30 Uhr:

Nachforderung des NEF durch RTW-Besatzung vor Ort :  gestürzte Frau , V.a Schädel-Hirn-Trauma

Anfahrt:

Das NEF erreicht die Einsatzstelle (Einfamilienhaus) 8 Minuten nach Alarmierung .

Angaben der 3-köpfigen RTW-Besatzung ( 1 Notfallsanitäter  / 1  Rettungsassistent  / 1 Praktikant  ) zur Auffindesituation:

Die RTW-Besatzung ist vom Ehemann der  57-jährigen Patientin empfangen worden. Er habe seine Frau in der Küche bäuchlings auf dem Boden liegend aufgefunden in einer Blutlache im Kopfbereich. Sie habe auf Ansprache nicht reagiert und sei  auch mit taktilen Reizen für mehrere Minuten nicht erweckbar gewesen. Die Frau liegt im Türöffnungsradius der Küche. An der Tür selbst befinden sich keine Blutspuren.

Noch ca. 15 Minuten zuvor habe der Mann mit seiner Frau noch kommuniziert ohne Auffälligkeiten bei diesem Gespräch .

Aufgrund dieser Auffindesituation habe der Mann die Rettungsleitstelle alarmiert.
Kurz nach diesem Telefonat habe seine Frau das Bewusstsein allmählich wiedererlangt.

Erstbefund:

Die 57-jährige Patientin wird auf dem Bauch  liegend vorgefunden. Nach nochmaliger Inspektion des Umfelds finden sich In der näheren Umgebung der gestürzten Frau keine verletzungsträchtigen kantigen Einrichtungsgegenstände und auch am Mobiliar keine Blutspuren. Die Patientin ist somnolent, reagiert aber auf wiederholte laute Ansprache. Die Antworten der Patientin sind dabei verlangsamt und meist einsilbig („Ja“), jedoch passend zur Frage.

Die Pupillenkontrolle ist bei der Frau aufgrund der Bauchlage nur erschwert möglich. Schmerzen im Wirbelsäulenverlauf  werden nicht angegeben. Die Sensibilität und Motorik im Bereich der oberen und unteren Extremität sind erhalten.

Die Patientin wird daraufhin nach Anlage einer stabilisierenden Halsorthese und unter Zuhilfenahme eines seitlich positionierten Spineboards mit 4 Helfern  (RTW-Besatzung plus Ehemann ) in die Rückenlage transferiert.

Es ist nun eine ca. 5 cm lange Platzwunde im seitlichen Stirnbereich links ( frontotemporal ) erkennbar.

Es besteht eine leichtgradige Pupillendifferenz links größer als rechts bei allerdings erhaltener Lichtreaktion. Kein Blick zur Lichtquelle oder zum Untersucher, keine einseitig betonte Blickrichtung. Daraufhin Nachalarmierung des Notarztes.

Kreislaufparameter und Atmung unauffällig. RR: 120/70 mmHg. Puls 80 /Min.  Pulsoximetrie : SaO2 94 %.
Blutzucker-Stix: 75 mg/dl.

Kein auffälliger Foetor ex ore.
Die orientierende Untersuchung der oberen Extremität und des Rumpfes ergibt keinen pathologischen Befund. Kein erhöhter Muskeltonus. Muskeleigenreflexe leicht abgeschwächt auslösbar ohne Seitendifferenz.

Weitere Recherchen:

Die Abfrage des Notarztes beim Ehemann nach Vorerkrankungen seiner Frau  (Krampfleiden / Stoffwechselerkrankungen / früher abgelaufenen Synkopen ) wird verneint. Kein Drogenabusus bekannt. Keine Hinweise auf psychische Instabilität oder aktuelle Probleme.

Erstmaßnahmen:

Anlage eines peripher-venösen Zugangs.
02-Maske mit Flow von 4 Litern/ Min.
Blutdruck weiterhin bei 120 / 70 mmHg Frequenz  um 80 / min, 02-Sättigung 95 %.
Stabilisierende Lagerung des Patienten auf die Vakuum-Matratze und anschließender Transfer in den RTW.
Nochmals Kontrolle des Blutzucker-Stix : 70 mg/dl.

Welche weiteren präklinischen (diagnostischen / therapeutischen) Maßnahmen kämen noch infrage?

Welche Klinik / Welche Fachabteilung würden Sie ansteuern?

Dr. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin

Lessingstr. 26

47445 Moers

2 thoughts on “Fall des Monats April 2020

  1. Hallo, ich habe eine Frage. Muss man in solchen Fällen als NA die Polizei informieren?
    Diagnostich am Einsatzsort wäre noch ein EKG wichtig und natürlich ein weiteres Monitoring. Als Zielklinik würde ich mir ein KH mit NCH und Kardiologie wünschen. Therapeutisch könnte man b. B Analgetika und Antikonvulsiva geben und Oberkörper mit 30° lagern.
    SG Alicja

  2. Auflösung zum Fall des Monats April 2020

    Wie Alicja im Forum bereits vorgeschlagen hat, ist ein EKG-Monitoring eingeleitet worden, das einen unauffälligen Befund ergab ohne Hinweise auf eine rhythmogene Synkope.
    Die Alarmierung der Polizei erfolgte im aktuellen Fall trotz der unklaren Situation nicht, da der Aufmerksamkeitsfocus des Rettungsteams auf der Einleitung einer adäquaten Weiterversorgung lag.

    Über den peripheren intravenösen Zugang wird unter Berücksichtigung der Glukosewerte um 70 mg/dl eine Kurzinfusion mit Glukose 10% gegeben.
    Als Zielklinik wird aufgrund der unklaren Pupillendifferenz ein Krankenhaus mit neurochirurgischer Abteilung gewählt, auch wenn hier ein Transportweg von knapp 40 Minuten anfällt.
    Während des Transportes ist die Patientin weiter ansprechbar, reagiert aber nach wie vor verlangsamt. Die Prüfung des Blutzucker-Stix ergibt nach Infusion der Glukoselösung einen Wert von 105 mg/dl.
    Die Vitalparameter bleiben während des Transportes stabil.

    In der Zielklinik wird die weiterbestehende Pupillendifferenz der Patientin von neurochirurgischer Seite als sofort abklärungsbedürftig bestätigt.

    Die telefonische Abfrage des erstbehandelnden Notarztes am Morgen des Folgetages in der Klinik ergibt, dass im Schädel-CT eine dringend Metastasen-verdächtige intrakranielle Raumforderung nachgewiesen worden ist bei anamnestisch und auch primärdiagnostisch bisher unklarem Primarius. Aufgrund der durch die Raumforderung resultierenden Hirnoedementwicklung und Hirndrucksymptomatik wird primär die Gabe von Fortecortin eingeleitet.
    Bei der erneuten Abfrage in der Klinik am darauffolgenden Tag 2 wird dem Notarzt ein Bronchialkarzinom als Primärtumor mitgeteilt, das im Vorfeld nicht bekannt gewesen war.
    Nach ausreichender Stabilisierung der Patientin, die nach Reduktion des metastasenbedingten Hirnödems erfreulicherweise wieder rasch remobilisierbar ist, wird am Tag 8 nach Ereignis eine neurochirurgische Metastasenresektion eingeleitet.
    Die Patientin kann dann kurze Zeit später zur weiteren Tumortherapie in die onkologische Abteilung verlegt werden.

    Die hier gewählte Zielklinik hat sich (trotz längerem Transportweg) für den Verlauf des zunächst unklaren Falls als richtige Entscheidung herausgestellt.

    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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