Bewerbungen/Gewinner 2020

AGNNW-Ideenpreis zum Umgang mit COVID-19 im Rettungsdienst, April 2020

Wir möchten alle eingegangenen Bewerbungen zum Ideenpreis (nicht nur die prämierten) einem breiten Publikum vorstellen, denn der Sinn dieses Ideenpreises besteht genau darin: Gute Ideen verbreiten und Kolleginnen und Kollegen motivieren und inspirieren! Wir beginnen heute mit zwei bemerkenswerten, wenn auch sehr verschiedenen Projekten:

  • „KlinikSanitäter – Ein Weiterbildungskonzept für Rettungsdienstpersonal zur Unterstützung in Zeiten der Covid-19-Pandemie“

Bewerbung, eingereicht von  Dr. Gerrit Jansen, Eugen Latka, Franziska Behrens, Dr. Hans- Werner Kottkamp und Prof. Sebastian Rehberg aus dem Evangelischen Klinikum Bethel und dem Studieninstitut für kommunale Verwaltung Westfalen-Lippe

Ein herausragendes und zukunftsweisendes Projekt aus Bielefeld, erstellt von Mitarbeitern dreier Institute in der Zusammenführung von klinischer und pädagogischer Kompetenz, sucht und findet eine Lösung zum Problem der zu knappen Personalbesetzung in Notaufnahmen und Intensivstationen bei einer erwarteten Überlast mit COVID-19-Patienten. In einem modular aufgebauten Lehrgang aus kombinierter online-basierter Lernplattform und nachfolgender praktischer Einarbeitung mit abschließendem Assessment wurde ausgebildetes Rettungsdienstpersonal auf den Einsatz in Intensivstation oder Notaufnahme vorbereitet. Die ersten Teilnehmer haben den Lehrgang erfolgreich abgeschlossen und das Zertifikat „Kliniksanitäter“ erhalten.

Den Link zur vollständigen Bewerbung mit Abbildungen finden Sie hier.

Das Projekt ist sowohl innovativ als auch nachhaltig und absolut auszeichnungswürdig. Wir haben es jedoch am Ende nicht in die Bewertung zu unserem Ideenpreis einbezogen, weil unsere Ausschreibung auf Ideen zur rettungsdienstlichen Praxis zielte und wir eine Anzahl von Bewerbungen bekommen haben, die dieses Kriterium erfüllen. Wir bedanken uns ganz besonders herzlich bei den Bielefelder Kollegen für ihre Bewerbung und helfen auf diese Weise gern mit, das Projekt mit Ausrufezeichen (!) zu veröffentlichen.

 


  • „Zusammenstellung von transportablen Sets für das notwendige Material zum individuellen Eigenschutz und für eine aussagekräftige Erstuntersuchung des Notfallpatienten zur Vermeidung einer Kontamination des gesamten Einsatzmaterials“

 

Prämierte Bewerbung, eingereicht von Till Fröscher vom DRK-Kreisverband Ludwigsburg

Die Mitarbeiter der Abteilung Rettungsdienst beim DRK Ludwigsburg haben sich gemeinsam Gedanken über ihre Einsatzrealität unter der latenten COVID-19-Gefahr gemacht und festgestellt, dass sie ihr eigenes Infektionsrisiko wie auch das Kontaminationsrisiko für ihre Materialrucksäcke und ihre Diagnostikausrüstung reduzieren können, indem sie bei den alltäglichen Routineeinsätzen zur Ersteinschätzung der Verfassung des Patienten ein kompaktes, praktisch zu handhabendes und leicht zu desinfizierendes Set an Ausrüstung mitführen, das zu diesem Zweck eigens zusammengestellt wurde. Mit dem Ideenpreis honorieren wir die prompte Initiative aus dem Team, die schließlich zur verbindlichen Umsetzung innerhalb der Organisation geführt hat, und wir honorieren die Bereitschaft, die Idee in der Rettungsdienst – „Community“ vorzustellen. Viele haben vielleicht ähnliche Lösungen gefunden, aber die Ludwigsburger haben ihr Konzept vorgestellt und so einer kritischen Beurteilung zugänglich gemacht. Das ist das Besondere daran.

Den Link zur vollständigen Bewerbung mit Fotos finden Sie hier.

Auf die Benachrichtigung über die Prämierung haben wir eine schöne Rückmeldung bekommen: „Über diese Nachricht haben wir uns in der derzeitig schwierigen Situation wirklich sehr gefreut. Unsere Mitarbeiter machen täglich unter erschwerten Bedingungen einen tollen Job und haben diese Idee selbst herausgearbeitet und mit uns zusammen umgesetzt. Auch weiterhin sind wir von unserem Konzept überzeugt.“

 


Alle weiteren Bewerbungen um den Ideenpreis der AGNNW (die Reihenfolge der vorgestellten Bewerbungen entspricht nicht der Reihenfolge in der Bewertung zum Ideenpreis):

  •  „Überpüfung der Praxistauglichkeit handelsüblicher Faceshields sowie Weiterentwicklung für die Anwendung im Rettungsdienst und Bereitstellung einer 3-D-Druckdatei“

Bewerbung eingereicht von Manuel Winkler und Johannes Stoiser von der Interessengemeinschaft Notfallmedizin Innsbruck

Die IG Notfallmedizin Innsbruck ist aus einer Gruppe von Studentinnen und Studenten der Medizinischen Universität Innsbruck hervorgegangen und besteht seit 2017 als eingetragener Verein, dem ÄrztInnen, StudentInnen, SanitäterInnen und Pflegekräfte angehören. Die KollegInnen haben sich – wie viele andere auch – zu Beginn der COVID-19-Krise in einer Mangelsituation bei der persönlichen Schutzausrüstung wiedergefunden. Insbeondere die Beschaffung von Faceshields (Visieren) war schwierig, und die Produkte, die zu bekommen waren, erwiesen sich oft als ungeeignet für den rettungsdienstlichen Einsatz. Also haben sie ihre Visiere selbst im 3-D-Drucker hergestellt, getestet, verbessert und die Druckanleitung online zur Verfügung gestellt. An mehreren Standorten in Österreich sind ihre Prototypen im Einsatz.

Den Link zu ihrer Homepage mit Projektbeschreibung, Abbildungen und 3-D-Druckdatei lautet https://www.igni.at/igni-mitglieder-entwickeln-behelfsmaessigen-gesichtsschutz/

Das Projekt trifft den Kern unserer Ausschreibungs-Idee: Probleme angehen, Lösungen finden und Andere partizipieren lassen. In der Endabstimmung ist es leider nicht unter die ersten drei der eingereichten Ideen gelangt. Wir haben es mit einem Sonderpreis bewertet und wünschen der jungen Initiative in unserem Nachbarland weiterhin viel Engagement und Erfolg.

 


  • „Einrichtung eines Medizinischen Einsatz-Teams (MET) zur Diagnostik und Behandlung von an CoVid-19 erkrankten Personen in ihrer häuslichen Umgebung“

Prämierte Bewerbung, eingereicht von Anja Viethen, Dr. Anke Söntgerath, Dr. Robert Stangl, Marco Strohm und Andreas Jansen von der Berufsfeuerwehr Köln;

Die Kölner Notärzte haben sehr systematisch und konsequent mit den Möglichkeiten eines großstädtischen Rettungsdienstes ein Konzept zur ambulanten Diagnostik und intensiven Weiterbetreuung von COVID-19-Patienten erarbeitet, für diejenigen Fälle, in denen eine vertragsärztliche Versorgung nicht möglich ist. Grundvoraussetzung ist eine besondere Qualifikation und ein umfassender Erfahrungshintergrund der eingesetzten Notärztinnen und Notärzte, die bei ihrer Arbeit über ergänzende medikamentöse Ausstattung und apparatives Equipment verfügen. Das System befindet sich seit Ende März 2020 im Regelbetrieb.

Den Link zum vollständigen Bewerbungstext  finden Sie hier.

 Ein fantastisches Projekt – aber es ist doch eine Idee, die nur mit den Möglichkeiten der Metropole umzusetzen ist, oder? Wir glauben das nicht. Wir sind überzeugt, dass das Prinzip der vorgezogenen ambulanten (not-)ärztlichen Betreuung von COVID-19-Patienten überall sinnvoll ist und funktionieren kann, wenn auch vielleicht regional in abgewandelter Form. Die COVID-19-Pandemie wird uns noch viele Monate, vielleicht Jahre begleiten, und das Kernproblem, welches hier in Köln adressiert wurde, besteht an allen Orten in ähnlicher Weise. Der Rettungsdienst verfügt über geeignete Ressorucen, um hier in der Pandemie eine Versorgungslücke zwischen „ambulant“ und „stationär“ zu füllen – wenn man es geeignet angeht.

 


  • Programmierung und barrierefreie Bereitstellung eines webbasierten Tools zur Bearbeitung von Notrufen in der Leitstelle nach Algortihmus zur Früherkennung von COVID-19-Fällen“,

Prämierte Bewerbung, eingereicht von Dr. Christoph Schenk, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst im Landkreis Harz

Die Identifikation von COVID-19-Verdachtsfällen bei eingehenden Notrufen ist zum Schutz des Einsatzpersonals einerseits wie auch andererseits zum schonenden Umgang mit Schutzausrüstung und anderen Ressourcen von größter Wichtigkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde eine Website programmiert, die anhand von 3 Fragen – angelehnt an die jeweils gültigen Kriterien des RKI und seit dem 10. Mai 2020 in der Version 4.0 – einen Verdachtsfall begründet oder ausschließt. Der Leitstellendisponent bekommt nach Eingabe der Antworten eindeutig signalisiert, ob ein Verdachtsfall vorliegt, und gibt diese Information mit dem Alarm an das Einsatzpersonal weiter. Darüber hinaus können ausführliche Informationen zum ambulanten Management von leicht erkrankten COVID-19-Patienten abgerufen werden. Die Website steht ausdrücklich allen Kommunen und Ärztlichen Leitern kostenlos und zur individuellen Anpassung zur Verfügung.

Der Link zu der Homepage lautet www.corona-leitstelle.de

Wir haben diese Idee gemeinsam mit zwei weiteren Projekten in der abschließenden Bewertung auf den ersten Platz gesetzt, weil es alle Kriterien unserer Ausschreibung erfüllt. Es führt im bisher ungewohnten Umgang mit COVID-19-Fällen zu besserer Handlungs-sicherheit im Rettungseinsatz und wird aus diesem Grund in mehreren Kommunen regelhaft genutzt. Es steht allen potenziellen Nutzern kostenlos und ohne jeglichen Vorab-Aufwand zur Verfügung. Sehr interessant ist auch das Zustandekommen, denn mit einer Idee allein ist ein Internet-basiertes Projekt noch nicht realisiert. Die Lösung bestand für Dr. Schenk darin, dass er sich mit seiner Idee über Social Media–Kanäle an die „Community“ wandte und auf diesem Weg Arne Spieß fand, einen Studenten der Wirtschaftsinformatik, der die programmiertechnische Umsetzung kompetent bewerkstelligen konnte. Wir sagen „Hut ab!“

 


  •  „Ausstattung von RTW und anderen Räumlichkeiten mit kostengünstigen UV-C-Lampen zur Desinfektion von Flächen, Materialien und Innenraumluft während der Ruhezeiten des Fahrzeugs“,

Bewerbung, eingereicht von Frank van Ham, Notfallsanitäter und Notfallpfleger, B-Maasmechelen

In der Initialphase der COVID-Pandemie wurden vielerorts der drohender Mangel an Desinfektionsmitteln sowie die begrenzte Verfügbarkeit von FFP-Masken als kritische Probleme identifiziert. Für die in der Corona-Krise ausnahmsweise erlaubte Aufbereitung kontaminierter Masken gelten verschiedene, aufwändige Verfahren, deren Effektivität vom Anwender nicht ohne Weiteres überprüft werden kann.  Auf der Suche nach einem alternativen Desinfektionsverfahren stieß Frank van Ham auf ein UV-C-Konzept, das im amerikanischen Rettungsdienst Verwendung findet – allerdings zu hohen vierstelligen Kostensummen. Nach einer Berechnung zum Energiebedarf in einem RTW-Innenraum stellte er ein UV-C-Desinfektionssystem aus handelsüblichen Komponenten zusammen, welche im Fachhhandel für weniger als 100 € erhältlich sind. UV-C-Licht ist in der Lage, innerhalb sehr kurzer Zeit Keime auf Oberflächen und in der Luft abzutöten. Das System könnte in ähnlicher Weise auch zur Desinfektion von FFP-Masken verwendet werden. Die technische Realisierung der Testinstallation in Maasmechelen berücksichtigt die besonderen Sicherheitsprobleme im Umgang mit UV-C-Licht (s. Konzept-Details), denn UV-C wirkt auch beim Menschen genotoxisch. Das System ist mit Unterstützung des Standortleiters in Maasmechelen im Probebetrieb, allerdings werden parallel dazu weiterhin die zugelassenen und in den konventionellen Desinfektionsplänen festgelegten Verfahren eingesetzt.

Den Link zu Details des Konzeptes mit Fotos  finden Sie hier.

Das Projekt ist womöglich zukunftsweisend. Nicht nur Oberflächen, sondern auch die Innenraumluft (Aerosole) in RTWs könnten in der einsatzfreien Zeit in sehr kurzer Zeit desinfiziert werden. Allerdings fehlt bisher die Zertifizierung des mikrobiologischen Ergebnisses und der materialtechnischen Unbedenklichkeit. Zur Wirkung auf Corona-Viren gibt es noch keine sicheren Erkenntnisse. Ein Routineeinsatz ist daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Das war für uns der Grund, das Projekt nicht in die Endabstimmung zum Ideenpreis einzubeziehen. Dennoch helfen wir gern mit, die Grundidee zu verbreiten. Die technische Weiterentwicklung und die medizinische Validierung sind denkbar. Vielleicht werden wir in absehbarer Zeit über Desinfektion im Rettungsdienst anders denken als in der Vergangenheit.

 


  • „Vorschlag zum Einsatz von Heliox (Helium-O2-Gemisch) bei COVID-19-PatientInnen mit Dyspnoe zur Vermeidung einer respiratorischen Erschöpfung und zur Vermeidung weiterer Lungenschädigung durch erhöhte Atemarbeit bzw. Überdruckbeatmung“,

Bewerbung, eingereicht von Priv.Doz. Dr. Dr. med. Till S. Mutzbauer, Praxis Mutzbauer&Partner, Zürich

Eine unvermittelt rasche respiratorische Erschöpfung ist für viele COVID-19-Patienten eine akute Notfallsituation, zu welcher der Rettungsdienst hinzugezogen wird. Die drohende Dekompensation könnte präklinisch durch hohen Sauserstoff-Flow oder durch nicht-invasive Beatmung aufgehalten werden. Beide Verfahren jedoch erhöhen die Gefahr der Aerosolbildung und damit einer Virus-Transmission auf die Mitarbeiter des Rettungsdienstes. 

 

Till S. Mutzbauer beschäftigt sich seit den späten 1990er Jahren als Anästhesist und Kiefer-Gesichtschirurg wissenschaftlich mit technischen Aspekten der Tauchmedizin und der Reanimatologie, zunächst in einer Arbeitsgruppe am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm und später an der Univeritätsklinik Zürich. Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen schlägt er den Einsatz von Heliox (ein Sauerstoff-Helium-Gemisch, welches vorwiegend in der Taucherei verwendet wird) bei kritischen COVID-19-Patienten vor und beschreibt ein technisch vergleichsweise einfach realisierbares System zur präklinischen Heliox-Anwendung.

Den Link zur vollständigen Ausarbeitung mit Literaturangaben zum pathophysiologischen, reanimatologischen und technischen Hintergrund finden Sie hier.

Die Anwendung von Heliox in der Intensiv- und Notfallmedizin wird bereits seit über 60 Jahren diskutiert. Vorteile scheinen sich aufgrund der besseren Strömungseigenschaften eines Sauerstoff-Helium-Gemisches im Vergleich zu Sauerstoff-Stickstoff vor allem bei Atemwegsobstruktionen (z.B. Croup, Asthma, COPD, Bronchiolitis) zu ergeben. Klinische Erfahrungen mit COPD-Patienten und vor allem aus dem neonatologischen Bereich liegen vor. Allerdings fällt der Vorteil der geringeren Viskosität des Gasgemisches umso weniger ins Gewicht, je höher der Anteil des Sauerstoffs sein muss, den der Zustand des Patienten erfordert. Aufgrund einer bis heute uneinheitlichen Evidenzlage, aber auch wegen des technischen Aufwandes hat sich Heliox in der klinischen Routine bisher nicht durchgesetzt. Vielleicht aber sind die COVID-19-Fälle Anlass, über die Methode neu nachzudenken und Vor- und Nachteile unter den neuen Bedingungen abzuwägen. Wir haben diese Idee nicht in die Endabstimmung zum COVID-Ideenpreis einbezogen, weil eine Umsetzung in die rettungsdienstliche Praxis bisher nicht erfolgt ist. Wir veröffentlichen den Vorschlag aber gern, gemeinsam mit allen anderen eingerichten Ideen, um die Diskussion darüber zu ermöglichen.