Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen

Alarmierungsmeldung am Dienstag-Abend gegen 18:00 Uhr:

73-jähriger Mann mit akuter Atemnot, bekanntes Lungen-CA

Während der Anfahrt wird von der Leitstelle mitgeteilt, dass der Patient laut Anrufer nicht mehr ansprechbar sei und man eine Corhelper-Alarmierung ausgelöst hätte.

Situation vor Ort:

Nach 10-minütiger Anfahrt findet das ersteintreffende RTW-Team den 73-jährigen Mann wieder ansprechbar, aber vigilanzgemindert und deutlich dyspnoisch in stabiler Seitenlage vor. Die anwesenden Angehörigen berichten, dass ihr Onkel noch am Morgen in einer radioonkologischen Klinikabteilung noch eine palliative Bestrahlung der Thoraxregion erhalten habe. Er sein dann anschließend nach Hause entlassen worden, nachdem man eine ambulante Palliativ-Versorgung eingeleitet hätte, die in 2 Tagen mit der ambulanten Betreuung des Tumorpatienten beginnen könnte. Nach dem Transport in das erste Stockwerk des 2-geschossigen Hauses sei der Tumorpatient dann kurzluftiger geworden und habe nach Luft gerungen.

Von den Angehörigen wird mitgeteilt, dass eine zunächst begonnene chemotherapeutische und pharmakoonkologische Behandlung ihres Onkels bei Tumorprogress in der letzten Woche abgebrochen worden sei und nun nur noch eine palliative Bestrahlung erfolge. Der heutige Krankenhauskurzbrief wird vorgelegt und informiert über ein nicht-kleinzelliges Brochnchialkarzinom des linken Lungenoberlappens mit kompletter Bronchialobstruktion und Oberlappenatelektase. Es werden bipulmonale Metastasen beschrieben. Wiederholt waren bronchoskopische Interventionen wegen Hämoptysen erforderlich.

Bei zunehmenden kognitiven Defiziten des 73-jährigen Mannes ist eine Betreuung des Tumorpatienten ist eingerichtet auch hinsichtlich gesundheitlicher Belange. Der betreuende Neffe ist gerade in Süddeutschland unterwegs. Eine Patientenverfügung liegt nicht vor.

Die Angehörigen teilen mit, dass im Rahmen einer kürzlich erfolgten Unterredung im Verwandtenkreis invasive lebensverlängernde Maßnahmen oder eine Wiederbelebung ihres Onkels nicht mehr gewünscht sei.

Befund:

Der 73-jährige blasse, kachektische Patient liegt in seinem Schlafzimmer auf dem Boden in Seitenlage und öffnet auf laute Ansprache die Augen. Eine sinngebende Kommunikation ist allerdings nur sehr eingeschränkt möglich.

Systolischer Blutdruck bei manueller RR-Messung unsicher bei knapp über 90 mmHg messbar, SaO2 bei 80 %. Die pulsoximetrisch ermittelte Frequenz liegt maximal bei 246/min anschließend zwischen 210-230/min.

Auskultation der Lunge: mittelblasige RG’s bds, keine relevante Bronchospastik, keine abgeschwächten Atemgeräusche. Keine Asymmetrie bei den atemabhängigen Thoraxexkursionen.

Erstmaßnahmen:

Es wird versucht, ein 12-Kanal-EKG abzuleiten. Die EKG-Elektroden der Brustwandableitung werden vom Patienten unruhebedingt aber wieder abgerissen und auch der Fingerclip des Pulsoximeters wird entfernt.

Die Elektroden der Extremitäten-Ableitungen können allerdings vor der Manipulation durch den agitierten Patienten geschützt werden.

Das abgeleitete Extremitäten-EKG zeigt den nachfolgend dargestellten Befund:

Mit Unterstützung durch 2 Helfer kann ein peripher-venöser Zugang bei dem weiterhin agitierten Patienten gelegt werden mit anschließender Infusion einer Vollelektrolytlösung.

Gabe von Sauerstoff über Maske mit Reservoir. Flow 10l/min. Bei SaO2 von 84 % über Ableitung am Ohr erfolgt die weitere Steigerung des Sauerstoff-Flows.  

Es erfolgt die telefonische Kontaktaufnahme mit dem betreuenden Neffen in Süddeutschland:

Nach Schilderung der aktuellen Krankheitsentwicklung wird vom Neffen per Video-Telefonat unter Zeugen mitgeteilt, dass eine Wiederbelebung des Onkels nicht stattfinden soll.

Vom Notarzt wird auf die aktuell nicht optimale Versorgungssituation des 73-jährigen Patienten in häuslicher Umgebung hingewiesen (Kein Pflegebett mit Möglichkeit der Oberkörperhochlagerung, keine Sauerstoffversorgung, aktuell noch nicht rekrutierbare Palliativdienst-Betreuung, keine Mobilitäts- und Transferhilfsmittel)

Herzfrequenz laut EKG-Analyse weiterhin zwischen 210 bis 230/Min. der Patient ist weiterhin agitiert. Die Dyspnoe ist leicht rückläufig.

Eine aktuelle Medikationsliste liegt nicht vor.

Weiteres Procedere?

Fall eingereicht von:
Florian Gutsfeld
Notfallsanitäter
Motzfeldstr. 148
47574 Goch



Bilder zur Auflösung

4 thoughts on “Fall des Montas Dezember 2024

  1. Klare Sache! Da erst in 48h die Betreuung stattfinden kann und offensichtlich kein Palliativteam kurzfristig verfügbar ist, bedeutet dass eine erneute stationäre Betreuung.
    So ist unser System leider aufgebaut…

  2. 73-jähriger Patient in vermeintlich hoch palliativer Situation bei bipulmonal filialisiertem NSCLC mit Oberlappenatelektase links, sowie klinisch V.a. Sekretverhalt /Stauung unter der Tachkardie, Abbruch der systemischen Therapie bei Progress, palliativer Radiatio am Morgen des Notfallereignisses. In der Vergangenheit rez. Haemoptysen.

    Schlechtes Entlassmanagement, vor Sicherstellung der Begleitung durch das ambulante Palliativteam. Hausarzt zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht mehr erreichbar mit Frage nach Begleitungsmöglichkeit in der Häuslichkeit, wenn dies auch von den Zugehörigen sichergestellt werden könnte, trotzdem fehlen vor Ort die nötigen Hilfsmittel.
    Versuch der Kontaktaufnahme zum örtlichen ambulanten Palliativteam mit Fragestellung nach notfallmäßiger Aufnahme, wenn der Patient dort bereits angemeldet / bekannt ist.

    Initial nicht ansprechbar bei tachykarder Rhythmusstörung mit zu unterstellendem low output, bei Eintreffen wieder ansprechbar, aber vigilanzgemindert sowie schon im Vorfeld kognitiv eingeschränkt, so dass bei fehlender Patientenverfügung ausschließlich der mutmaßliche Wille des Patienten über den inzwischen als (gesetzlichem), nicht vor Ort befindlichen, aber telefonisch kontaktierbaren Betreuer (Neffen) eruiert werden muss. Hier scheint bereits Konsens darüber zu bestehen, keine invasiven lebensverlängernden Maßnahmen, insbesondere eine kardio-pulmonale Wiederbelebung, mehr einzuleiten.

    M.E. nach am ehesten supraventrikuläre Tachykardie / AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (schmale Komplexe, rhythmisch), deshalb bei instabilen Kreislaufverhältnissen und Desaturierung zunächst Versuch der Frequenzsenkung mit Adenosin unter Monitorkontrolle. Im Vorfeld mit den Angehörigen kurzes Gespräch und Konsens darüber erzielen, dass alle Maßnahmen nun eher der Leidenslinderung dienen sollen, bei potentiell möglich eintretendem Herzkreislaufstillstand unter den notärztlichen Bemühungen keine Reanimation mehr erfolgt (erfolgen soll).

    Grundsätzlich sollte mit erfolgreicher Frequenzsenkung auch eine Verbesserung der Kreislaufsituation und dann vielleicht auch des Gasaustausches einhergehen, es sei denn, die aufgetretene Herzrhythmusstörung stünde im Zusammenhang mit einer paraneoplastischen LAE.
    Selbst bei strengem Verdacht auf eine LAE würde ich in dieser Situation mit stattgehabten Haemoptysen auf eine Antikoagulation verzichten.

    Zur Dyspnoekupierung könnte desweiteren titriert (mg-weise) Morphin und auch Midazolam bei Agitation appliziert werden, auch in dem Wissen, dass es zu einem akuten Ableben durch weitere respiratorische Insuffizienz / Atemdepression kommen kann.

    Hauptproblem bleibt das vermeintliche Versorgungsdefizit in der Häuslichkeit, wahrscheinlich bleibt nur der Rücktransport in die Klinik, möglichst mit Palliativstation und Mitteilung des mutmaßlichen Patientenwunsches, artikuliert durch den bevollmächtigten Neffen im Konsens mit den weiteren Zugehörigen, um einen Aktionismus innerklinisch zu vermeiden.

  3. Mit MiScha kann ich voll mitgehen, aber ob ich den Mumm zur Adenosingabe in diesem Setting hätte, weiß ich nicht. Aus rein logischer Sicht alles folgerichtig, aber wenn der Pat darunter wirklich abstellt, könnte einfach nur hängenbleiben, dass der NA ihn „totgespritzt“ hat.
    Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der Patient mit dieser Frequenz unbehandelt nicht mehr als ein paar Minuten bis max. Stunden überleben würde. Evt.könnte eine spontane Rhythmisierung eintreten (unwahrscheinlich).
    Hochachtung vor der Herangehensweise des Kollegen. Wenn diese eindeutig und unter Zeugen mit den Angehörigen abgesprochen ist und verstanden wurde, halte ich sie für einen guten Weg.
    Wenn man sich zur Adenosingabe entscheidet und es anschließend zu einem schockbaren Rhythmus kommen sollte, würde ich allerdings 1 oder max. 2 Schocks abgeben, ohne Thoraxkompressionen. Das erfüllt für mich in dieser speziellen Situation nicht den „Tatbestand“ einer Reanimation.

  4. Weiterer Verlauf des Dezemberfalls 2024:

    Frank, Beate und Stefi haben die Unvermeidbarkeit einer erneuten zumindest kurzzeitigen palliativen Behandlung in der Klinik gleichlautend nachvollzogen, da die Klinikentlassung des Patienten in die häusliche Umgebung ohne eine vorbereitete ambulante palliative Versorgungsmöglichkeit und auch ohne eingeleitete Heimsauerstofftherapie erfolgt war.
    Bei kreislaufrelevanter tachykarder Rhythmusstörung mit low Output erfolgte (ergänzend zur genannten Sauerstoffgabe 10 l/ min) – trotz der systolischen Blutdruckwerte knapp über 90 mmHg – der Versuch der Frequenzsenkung mit sehr vorsichtig titriertem Betablocker unter Monitorkontrolle mit Beloc in 0,5 mg Schritten, wobei im Vorfeld mit den Angehörigen über die möglichen Konsequenzen dieser Medikation gesprochen worden war) .
    Es erfolgte zeitgleich die telefonische Anmeldung des Patienten in der vorbehandelnden Klinik mit Schilderung der vital bedrohlichen Situation des Palliativpatienten.

    Unter den vorsichtigen Beta-Blocker-Titrierung bis zur Gesamtdosis von 3 mg Beloc konnte im Verlauf des zeitnah eingeleiteten Transports – unerwarteterweise – eine langsame und stetige Frequenzsenkung auf 128/ min erreicht werden und kombiniert mit der fortgesetzten Sauerstoffgabe (Flow: 10l/ Min) auch ein langsamer Anstieg der Sauerstoffsättigung festgestellt werden.

    Zur Sedierung wurde – wie auch von Beate vorgeschlagen – titriert Midazolam intravenös bis zur Gesamtdosis von 2 mg gegeben, was zum Rückgang der Agitation und Dyspnoe führte.

    Das kurz vor Erreichen der Notaufnahme abgeleitete EKG zeigt im Rhythmusstreifen der Ableitung II den nachfolgenden Befund:

    Die EKG-Streifen 3 und 4 sind am Ende des Dezemberfalls zu sehen!

    Letztendlich konnte der Patient mit Blutdruckwerten von 110/70 mmHg, einer Frequenz von 128/min und unter Sauerstoffgabe (10l/ Min) einer Sauerstoffsättigung von 97 % in der zentralen Notaufnahme der Klinik übergeben werden.

    Laut telefonischer Verlaufsabfrage einige Tage später konnte der Palliativpatient nach 2 Tagen – bei nun offensichtlich wesentlich besserer Vorbereitung der ambulanten Versorgung – wieder nach Haus entlassen werden.

    Es bleibt zu hoffen, dass das ambulante Palliativnetz in naher Zukunft erheblich besser ausgebaut werden kann. Außerdem bleibt zu wünschen, dass der Patientenwille für kritische Situation bei präfinalen Patienten für alle Hilfspersonen eindeutiger hinterlegt wird mit nutzbaren Handlungsanweisungen, um zukünftig solche Einsatzsituationen wie die Geschilderte für das Rettungsteam zu entstressen und zu erleichtern.

    Florian Gutsfeld
    Notfallsanitäter
    Motzfeldstr. 148
    47574 Goch

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