Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen

Alarmierungsmeldung Mittwoch 14:59 Uhr:

„V.a. allergische Reaktion Grad 2 oder mehr, vor 10 min eine Pflanze aus Garten gegessen, Zunge schwillt an, leichte Atemprobleme, 4 Jahre alt“

Situation vor Ort:

Eintreffen des Rettungsteams 7 Minuten nach Alarmeingang an der Einsatzstelle. Mitteilung der Eltern, dass ihr 4-jähriger Sohn wenige Minuten vor Notruf im Garten des Nachbarn ein Stück einer Pflanze abgebissen habe. Die Pflanzenfrucht sähe aus wie ein grüner Maiskolben (siehe Photo).

Befund bei Ankunft:

Das Kind (Alter 4 Jahre, Körpergewicht 16 Kg, ohne Vorerkrankungen und ohne bekannte Allergien) ist beim Eintreffen des Rettungsteams wach und orientiert, freundlich zugewandt. Das Kleinkind spricht nicht. Es ist ein mäßiger Speichelfluss erkennbar.

Die Zunge ist gerötet und leicht geschwollen (siehe Photo).

RR 116/70 mmHg, Puls 113/min, HF (Monitor) 93/min, SPO2 99% , Atemfrequenz:  24/ min.

Das abgeleitete EKG zeigt einen Sinusrhythmus.

Bewusstseinslage ohne pathologischen Befund : GCS 15

Dokumentierter Verlauf der Vitalparameter:



Weiteres Procedere?

Akutmaßnahmen vor Ort?

Dr. med. Holger Wißuwa
Ärztlicher Leiter Rettungsdienst
Berufsfeuerwehr Herne
Sodinger Str. 9
44623 Herne

5 thoughts on “Fall des Monats September 2025

  1. Erster Eindruck: Kritische Situation, potentiell gefährdeter Atemweg falls Schwellung progredient! -> kein Stay and Play, sondern zügig-zielorientiertes Arbeiten mit dem Ziel einer baldmöglichsten Vorstellung in einer Klinik mit Kompetenz und Gerätschaften für den schwierigen pädiatrischen Atemweg.

    Aus der Fallbeschreibung und den Vitalparametern scheint es eine lokale toxisch-irritative Reaktion zu sein, keine Anaphylaxie.

    Maßnahmen vor Ort:
    Beruhigung von Patient und Eltern
    Monitoring der Vitalparameter
    Engmaschiges Klinisches Monitoring der Schwellung (Zunahme?)
    Versuch: Adrenalin vernebeln als abschwellende Maßnahme
    Intubations- und Koniotomiebereitschaft herstellen
    Asservieren der Pflanze
    Wenn möglich Rücksprache mit Nachbar: Name der Pflanze
    Dann ggf. Kontakt Giftnotrufzentrale / Internetrecherche
    Voranmeldung in Klinik mit Hinweis auf bedrohten Atemweg

  2. Ich stimme Kay im Wesentlichen zu. Was mich beruhigt ist, dass der kleine Patient inzwischen ca. 30 min nach Ingestion noch vital stabil ist und nicht gestresst wirkt. Adrenalin vernebeln würde ich auch versuchen, wenn das Kind es toleriert. Den Tipp, den Nachbarn nach dem Namen der Pflanze zu fragen, finde ich super.

  3. Moin,
    irgendwer im Team hat sicher ein smartfon mit installierter Bestimmungs-App (e.g. „plantnet“), um vor Kontakt zur Giftnotrufzentrale wesentliche Informationen zu erhalten. Ein Bild der Frucht, der Blüte oder des Blattes wird in der App angefertigt und in Windeseile abgeglichen.
    mit der Angabe „Grüne, knotige Frucht etwa sechs Zentimeter lang aus dem Garten“ bleibt die Glaskugel der Giftberater bestimmt trübe…

    Das obige Bild ist leider in der Auflösung nicht ausreichend, um hier am Bildschirm einen Treffer zu erhalten. Ich würde dennoch auf eine Magnolie tippen. Die gelten zwar als schwach giftig, doch diesen kleinen Patienten sehe ich als „Potentiell kritisch“ und in der Kinderklinik – in ländlichen Gebieten mit entsprechender Transportdauer ggf. mit Heli. Vorbereitung der Atemwegssicherung, parallel Durchführung von IV-access und Epi-Verneblung wie bereits beschrieben.

  4. Anhand des Bildes scheint es sich bei der Pflanze um eine Art von Aronstab zu handeln.
    Dies passt auch dahingehend, dass sie aufgrund des zunächst süßlichen Geschmacks von Kindern probiert und gegessen werden.
    Auch die beschriebenen Symptome einer rasch einsetzenden lokalen Reizung der Schleimhäute passt.
    Neben den gastrointestinalen Symptomen kann es bei schwereren Vergiftungen zu Agitation und selten Krampfereignissen kommen, daher sollte hier nach Asservation der Pflanzenreste ein Transport in ein Klinikum mit entsprechendem pädiatrischen Überwachungsbett vorrangig sein.
    In der Literatur werden bei Kindern überwiegend milde Verläufe beschrieben.
    Parallel zur Transportvorbereitung würde ich Rücksprache mit der Giftnotrufzentrale halten, ob ggf. die Gabe von Aktivkohle erfolgen soll.
    Ansonsten wird eine reichliche orale Flüssigkeitsgabe empfohlen. Manche Quellen empfehlen auch die Gabe von Milchprodukten, da sich das enthaltene Calcium mit den giftigen Salzen der Oxalsäure des Aronstabs reagiert und über die Bildung von Calciumoxalat eine Resorption verhindert wird.
    Solche Maßnahmen würde ich aber erst nach entsprechender Empfehlung der Giftnotrufzentrale einleiten bzw. der Klinik überlassen.

  5. Weiterer Verlauf des Septemberfalls 2025:

    In unserem Fall ist also die Pflanzen-Identifikations-App „ Picture This “ benutzt worden. Laut dieser App handelt es sich bei der vom Kind ingestierten Pflanzenfrucht um „ARISAEMA TORTUOSUM“.

    Es erfolgt die sofortige i.m. Gabe von 0,15 mg Adrenalin in den linken Musculus vastus lateralis und die rektale Gabe von 100mg Rectodelt.

    Zeitgleich wird telefonischer Kontakt zur Giftnotrufzentrale der Universitätsklinik aufgenommen:
    Demnach sind wenige Daten verfügbar.

    Informationen und Empfehlungen nach Rückruf der Giftnotrufzentrale:
    Es handelt sich bei der Pflanze um ein Aronstabgewächs.
    Die Wirkung beruht auf Calziumoxalaten, die eine starke lokale Reizung verursachen.
    Wegen der sofortigen Reizwirkung sei die Aufnahme größerer Mengen unwahrscheinlich.
    Es kommt zu Reizung, Schwellung und Speichelfluss.
    Behandlungsempfehlung: Kortison, Adrenalin , Auswaschen der Zunge (Alle Maßnahmen waren zu diesem Zeitpunkt bereits durchgeführt)
    Bei gutem Allgemeinzustand des Kinds wurde ein eher zurückhaltender Einsatz von Kohle empfohlen.

    Das Kind ist beim anschließenden Transport durchgehend wach, hämodynamisch und respiratorisch stabil.

    Auch im anschließenden weiteren klinischen Beobachtungsverlauf sind keine Komplikationen aufgetreten.

    Fazit: Die Möglichkeit der Pflanzenidentifikation per App hat im aktuellen Fall zur raschen und effektiven Abklärung und Fallsteuerung geführt.
    Weitere Namen von „ARISAEMA TORTUOSUM“ sind „Schlangenwurz“, „Grüner Feuerkolben“ und im Englischen „Dumb Cane“.
    „Dumb Cane“ heißt übersetzt „Stummer Stock“ hinweisend auf das Symptom „Sprachunfähigkeit“ bei Zungenreizung und Schwellung.
    Der Einsatz bei dieser gifitgen Pflanze als „Kontaktgift“ unterstreicht auch , wie wichtig es ist, als Einsatzkraft „immer“ Handschuhe zu tragen.

    Ergänzende Klärungsoption:
    Nach Identifikation der Pflanze kann man zur Erweiterung des Kenntnisstands die KI / CHATGPT zu Rate ziehen

    KI-Antwort auf die Frage nach der Toxizität des Gewächses:

    Ja, die Arisaema tortuosum ist giftig und sollte in allen Teilen gemieden werden, insbesondere die Wurzeln und Samen sind gefährlich. Die Giftigkeit stammt von Calciumoxalatkristallen, die bei Verzehr zu Symptomen wie Brennen im Mund und Hals, verstärktem Speichelfluss, Brustschmerzen und Atemnot führen können.

    Warum ist Arisaema tortuosum giftig?
    Sie enthält Calciumoxalatkristalle, die sich in den Wurzeln, Stängeln und Blättern befinden.

    Welche Teile sind besonders giftig?
    Alle Teile der Pflanze sind giftig, aber die Wurzeln und Samen sind besonders gefährlich.

    Was sind die Symptome einer Vergiftung?
    -Brennen im Mund und Hals
    -Starke Schmerzen im Mundbereich
    -Übermäßiger Speichelfluss
    -Atembeschwerden und Brustschmerzen

    Wichtiger Hinweis:
    Seien Sie vorsichtig im Umgang mit der Pflanze, besonders in Haushalten mit kleinen Kindern oder Haustieren.

    Dr. med. Holger Wißuwa
    Ärztlicher Leiter Rettungsdienst
    Berufsfeuerwehr Herne
    Sodinger Str. 9
    44623 Herne

Schreibe einen Kommentar zu Frauke Antwort abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert