Alarmierungsmeldung für den RTW, Freitag kurz vor 5 Uhr morgens: 64-jähriger Mann mit hypertensiver Entgleisung
Situation vor Ort und Anamnese:
Der RTW trifft 6 Minuten nach Alarmierung am Einsatzort ein (Wohnung auf Parterre-Ebene eines Mehrfamilienhauses). Die Ehefrau des Patienten führt die RTW-Besatzung in die Wohnung. Auf dem Sofa liegt ein 64-jähriger ansprechbarer Patient, der über Herzrasen und Unwohlsein klagt. Das Herzrasen hätte in den frühen Morgenstunden begonnen. Auffälligkeiten oder Stresssituationen am vorangegangenen Tag oder in der Nacht werden verneint. Als Vorerkrankungen werden genannt: Mehrfach rezidivierendes Vorhofflimmern und Episoden mit ventrikulären Tachykardien. Der Patient berichtet, dass bei ihm 3-malig eine Ablation durchgeführt worden sei. Außerdem sei vor ein paar Jahren ein ICD implantiert worden. Präzisere Angaben zur Ablation und zum ICD können nicht gemacht werden. Der Schrittmacher-Ausweis sei vor einiger Zeit verloren gegangen. Aufgrund des offensichtlich noch rezidivierend auftretenden Vorhofflimmerns orale Dauermedikation mit Apixaban. Außerdem bekannte arterielle Hypertonie.
Der Patient kann in ganzen Sätzen ohne Redepause antworten.
Aktuelle Dauermedikation: Bisoprolol, Rosuvastatin, Candesartan und Apixaban.
Primärdiagnostik:
Blutdruck von 117/90 mmHg
Pulsoximetrie : Sauerstoffsättigung von 99% Frequenz 175 / min.
Das sofort abgeleitete 12-Kanal-EKG zeigt den folgenden Befund:
Daraufhin Nachforderung des Notarztes durch die Notfallsanitäter. Anlage eines intravenösen Zugangs und Komplettierung der Anamnese: Allergien bzw. Arzneimittelunverträglichkeiten werden vom Patienten verneint.
Auf Lagerungswechsel zum Sitzen reagiert der Patient mit einem abfallenden Blutdruck auf 90/60 mmHg, woraufhin der Patient sofort wieder in die liegende Position zurückgeführt wird.
Anschließend erfolgt die Übergabe an den nun eingetroffenen Notarzt.
Weitere Diagnostik vor Ort?
Arbeitsdiagnose?
Präklinische Therapie?
Weiterer Verlauf des Juni-Falls 2025:
Nach der Übergabe an den Notarzt wurde von diesem eine intravenöse medikamentöse Therapie mit Metoprolol eingeleitet. Unter der fraktionierten Gabe von 5mg Metoprolol sank die Herzfrequenz allerdings nur geringfügig (Frequenzen noch um 160 – 165 /min).
Nach Abklärung freier kardiologischer Intensivbetten durch das Rettungsteam wurde der Transport in eine nahegelegene kardiologische Krankenhausabteilung vorbereitet. Das EKG wurde per Telemetrie an die zentrale Notaufnahme der Klinik geschickt. Aufgrund der ungünstigen und engen baulichen Gegebenheiten musste der Patient mit erhöhtem Oberkörper (halbsitzend) aus dem Haus gebracht und auf die Trage umgelagert werden. Bei diesem Lagerungswechsel reagierte der Patient erneut mit einem herabfallenden Blutdruck auf 90/60 mmHg, der sich allerdings im Liegen wieder auf 120/80 mmHg stabilisierte.
Weitere präklinische Maßnahmen?
Therapie-Änderung?
Florian Gutsfeld
Notfallsanitäter
Motzfeldstr 148
47574 Goch
EKGs zur Auflösung:
4 thoughts on “Fall des Monats Juni 2025”
Guten Tag,
differentialdiagnostisch kommen meiner Meinung nach 3 Herzrhythmusstörungen in Betracht:
– Ventrikuläre Tachykardie (Z.n. rez. VTs, kardial vorerkrankt)
– VHF/TAA mit Blockbild
– eine Schrittmachertachykardie
Sofern es eine VT ist, stellt sich die Frage, warum der ICD sie nicht terminiert. Dies könnte mit der „niedrigen“ Frequenz zusammenhängen. Manche ICDs lösen erst ab Frequenzen von 180 bpm oder höher aus. Falls es eine Schrittmacher Tachykardie ist, könnte man eine Magnetauflage versuchen und schauen was passiert. Allerdings passt dazu die HF nicht, die wäre eher bei 120-130 bpm.
Ich würde Patches kleben, einen Magneten auflegen, vorab einen Zugang etablieren und Basismonitoring. Sofern man den Patienten als instabil werten mag, gilt der Leitsatz „Je instabiler, desto Strom“, also eine EKV (egal ob VT oder TAA) und Analgosedierung, oder man entscheidet sich für Amiodaron (egal ob VT oder TAA).
Im Anschluss würde ich sofern die Tachykardie sistiert/konvertiert ein erneutes 12 Kanal EKG schreiben, um nach Ischämie-Zeichen zu suchen. Ggf. handelt es sich ja um eine ischämische Herzrhythmusstörung.
Hmm, außer den genannten Rhythmusstörungen käme vielleicht noch ein WPW-Syndrom in Betracht.
Ein Valsalva-Manöver würde ich versuchen. Auch die Magnetauflage finde ich eine gute Idee. Für Strom ist mir der Patient eher zu stabil.
Wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht helfen, Transport in Defi-Bereitschaft in eine Kardiologie.
Weiterer Verlauf des Juni-Falls 2025:
Nach der Übergabe an den Notarzt wurde von diesem eine intravenöse medikamentöse Therapie mit Metoprolol eingeleitet. Unter der fraktionierten Gabe von 5mg Metoprolol sank die Herzfrequenz allerdings nur geringfügig (Frequenzen noch um 160 – 165 /min).
Nach Abklärung freier kardiologischer Intensivbetten durch das Rettungsteam wurde der Transport in eine nahegelegene kardiologische Krankenhausabteilung vorbereitet. Das EKG wurde per Telemetrie an die zentrale Notaufnahme der Klinik geschickt. Aufgrund der ungünstigen und engen baulichen Gegebenheiten musste der Patient mit erhöhtem Oberkörper (halbsitzend) aus dem Haus gebracht und auf die Trage umgelagert werden. Bei diesem Lagerungswechsel reagierte der Patient erneut mit einem herabfallenden Blutdruck auf 90/60 mmHg, der sich allerdings im Liegen wieder auf 120/80 mmHg stabilisierte.
Weitere präklinische Maßnahmen?
Therapie-Änderung?
Weiterer Verlauf des Juni-Falls 2025:
Während des Transports wurde – wie bereits im Fortsetzungsteil unseres Falls mitgeteilt – die Therapie mit Metoprolol titriert fortgesetzt, sodass in Summe 5mg verabreicht wurden. Bei kontinuierlicher EKG-Überwachung konnte im Verlauf des Transports eine Konversion des Herzrhythmus festgestellt werden, wie der an die Falldarstellung angehängte EKG-Rhythmusstreifen zeigt.
Die EKG-Ableitung, die im Anschluss an die Konversion der Rhythmusstörung erstellt wurde, wird ebenfalls präsentiert.
Es zeigt sich ein Rechsschenkelblock mit einer Frequenz von 102 pro Minute. Eine vorbestehende Leitungsblockierung war dem Patienten selbst nicht bekannt. Vor-EKGs oder Vor-EKG-Dokumentationen standen am Einsatztag leider nicht zur Verfügung.
Der weitere Transportverlauf war unauffällig. Der Zustand des Patienten blieb stabil.
Im Krankenhaus wurde der Patient auf der Intermediate care-Station engmaschig weiter beobachtet. Im Rahmen des kontinuierlichen EKG-Monitorings konnte in der Folgezeit eine nsVT => nicht anhaltende ventrikuläre Tachykardie (engl. nonsustained ventricular tachycardia) mit einer Dauer von maximal 4 Sekunden nachvollzogen werden.
Ein kurzer Literatur-Exkurs zum Krankheitsbild der nsVT :
Merkmale einer NSVT:
-Anzahl der Schläge: Mindestens drei aufeinanderfolgende Schläge aus den Herzkammern.
-Dauer: Weniger als 30 Sekunden.
-Frequenz: Über 100 Schläge pro Minute.
-Ursprung: Die elektrischen Impulse, die die schnelle Herzfrequenz verursachen, stammen aus den Herzkammern, also unterhalb des His-Bündels.
Bedeutung:
-NSVT ist eine relativ häufige Arrhythmie, die oft asymptomatisch ist und bei der Überwachung des Herzens (z.B. bei Langzeit-EKGs) entdeckt wird.
-Bei manchen Menschen kann NSVT ein Anzeichen für zugrunde liegende Herzerkrankungen sein.
-In einigen Fällen kann NSVT auch ohne erkennbare Ursache auftreten
Nicht-anhaltende ventrikuläre Tachykardien beim Herzgesunden bedürfen keiner Therapie. Eine lebensverkürzende Wirkung wurde bis jetzt nur bei bestimmten Herzerkrankungen und eingeschränkter Herzfunktion beobachtet.
(Ende des Exkurses)
Abschließender Verlauf des Juni-Falls:
Eine Fehlfunktion des ICD ist nicht dokumentiert worden.
Der Patient konnte nach 3 Tagen bei unauffälligem klinischem Verlauf und nach erfolgter Terminierung einer zeitnahen elektrophysiologischen Untersuchung (EPU) zunächst entlassen werden.
4 Wochen nach dem Erstereignis fand die EPU statt mit angabegemäß gekühlter Re-Ablation von ventrikulären Tachykardien im apikalen Bereich des linken Ventrikels.
Keine Notwendigkeit der ICD-Korrektur.
Der Patient konnte bei unauffälligem postinterventionellem Verlauf zeitnah aus der kardiologisch-stationären Behandlung entlassen werden.
Florian Gutsfeld
Notfallsanitäter
Motzfeldstr 148
47574 Goch