Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen

Alarmierungsmeldung Dienstag 05:30 Uhr :

74 -jährige Patientin mit ICD und wiederholter Schock-Auslösung

Situation am Einsatzort:

Das NEF trifft erst 10 Minuten nach Alarmierung am Einsatzort ein, da es sich um ein über schlecht gepflasterten Weg erreichbares Haus im Randgebiet einer Kleinstadt handelt.

Vor dem Haus steht der Anrufer und hinter ihm seine Ehefrau in Straßenkleidung mit einer kleineren Reisetasche. Die Ehefrau, die als Patientin vorgestellt wird, erscheint auf den ersten Blick in einem zufriedenstellenden Allgemeinzustand.

Keine Dyspnoe oder Zyanose. Sie wird nach kurzer orientierender Pulspalpation (tachykard, Puls leicht abgeschwächt tastbar) von den Notfallsanitätern in den RTW begleitet.

 

Anamnese:

Die 74-jährige Patientin ist orientiert und kann Angaben zur Vorgeschichte machen. Es besteht der Z.n. Myokardinfarkt 1998, außerdem wurde im Jahr 2001 ein Mitralklappenersatz durchgeführt mit nachfolgender Marcumar-Dauermedikation.  Im Jahr 2008 ist dann bei deutlicher Arrhythmie-Gefährdung ein ICD implantiert worden, wobei das Aggregat mittlerweile bereits 2-mal gewechselt werden musste. Den ICD-Pass kann die Patientin allerdings nicht vorlegen. Ihr Hausarzt könne aber genauere Auskünfte über den implantierten Defibrillator geben. Der im Jahr 2018 letztmalig gewechselte ICD hatte – nach Angaben der Patientin – bisher noch nie ausgelöst / geschockt.

Die letzte INR-Wertkontrolle sei beim Hausarzt vor 1 Woche durchgeführt worden: Der INR-Wert lag bei 3.1. 

In der Nacht habe sie nun 3-mal gemerkt, wie der ICD einen Schock ausgelöst habe. Am Vortag und Vorabend sei alles noch in Ordnung gewesen. Keine Besonderheiten, keine Schwindelsensationen. Nach der letzten Schockauslösung habe sie kurzzeitig Stuhldrang verspürt und einmalig dünnen Stuhl abgesetzt. Begleitend aber keine Übelkeit und kein Erbrechen.
Aufgrund dieser mehrfachen Schockimpulse ist vom Ehemann schließlich die Alarmierung der Rettungsleitstelle erwogen worden.

 

Erstbefund:

Die Patientin ist – nach wie vor – orientiert und reagiert prompt auf Ansprache. Keine Thoraxschmerzen. Keine in den Arm, in den Hals oder ins Epigastrium ausstrahlende Schmerzen.

RR 115/70 mmHg, Pulsfrequenz um 140/ min., keine auffällige Arrhythmie.   SaO2: 91 %.

 

Es erfolgt die Anlage eines i.v.-Zugangs. BZ: 164 mg/dl

 

Das abgeleitete EKG zeigt den nachfolgenden Befund:

 

 

 

 

 

Weiteres Procedere?

 

Dr. Gerrit Müntefering
Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26
47445 Moers

 

 

7 thoughts on “Fall des Monats März 2023

  1. Im EKG kreislaufstabile VT, Paddel kleben und bei kreislaufdepression Kardioversion.
    Medikamentöse Therapie mit Amiodaron oder Ajmalin möglich.

  2. Die Patientin scheint aktuell Cardio-pulmonal nicht in kritischen Bereichen entgleist zu sein .
    Ich vermute als möglich Urasche eine elektrolyt Entgleisung. Aktuell würde ich in dieser Situation keine weiteren präklinischen Maßnahmen ergreifen , sondern die Patientin unter Notärztlicher Begleitung in eine geeignete Kardiologie verbringen . Sollte sie instabil werden erfolgt eine rein Symptome orientierte Therapie.
    Lg

  3. Ich schliesse mich der Meinung des Kollegen Klump an. Solange die Patientin kardiovaskulär stabil ist, zügiger Transport in die nächste geeignete Klinik, unter Interventionsbereitschaft.

  4. Ich gebe zu, dass ich mit Fast Broad-EKGs etwas auf Kriegsfuß stehe. Mein erster Gedanke ist hier eine VT, die wundersamerweise nicht wirklich kreislaufrelevant ist. Im Einsatz habe ich die Zeit natürlich nicht, aber für dieses Fallbeispiel habe ich u.a. bei den Nerdfallmediziniern recherchiert und denke jetzt, dass es eher eine supraventrikuläre Tachykardie ist.
    Wie auch immer, die Patientin bekommt von mir anterior-posteriore Defi-Elektroden geklebt, den i.v.-Zugang hat sie ja schon. Einen modifizierten Valsalva-Versuch als nichtinvasive Maßnahme lasse ich durchführen, damit vergebe ich nichts außer 30 sec. Zeit.
    Ansonsten Fahrt mit Sondersignal und SM-Pass zur kardiologischen Zielklinik, bis dahin bei unverändertem Zustand keine weitere Intervention. Amiodaron 150 bereite ich für den Fall einer Verschlechterung vor, wenn keine Hyperthyreose/Allergie vorliegt. Da die Patientin durch den Schrittmacher bradykardie-geschützt sein sollte, sollte die Gabe nicht besonders riskant sein. Wenn eine KI für Amiodaron besteht, halte ich einen ß-Blocker bereit.
    Auf der Fahrt ausführlichere Anamnese, auch zu evt. Besonderheiten in den letzten Tagen.

  5. Ergänzung: Bei der Elektrodenpositionierung muss auf die Position des implantierten Devices Rücksicht genommen werden. Tatsächlich ist das Anbringen wahrscheinlich hier nicht unbedingt nötig, (außer man möchte jetzt akut kardiovertieren), da der implantierte Defi ja grundsätzlich zu funktionieren scheint. Allerdings werden vermutlich die meisten hier lieber auf Nummer sicher gehen wollen…

  6. Mir würde prinzipiell die Körpertemperatur in der Diagnostik fehlen, um eventuell eine Bedarfstachykardie erkennen zu können.
    Ansonsten: Wir finden eine Patientin mit einer Breitkomplex-Tachykardie vor, die bis zum Beweis des Gegenteils als ventrikuläre Tachykardie betrachtet werden sollte. Die Patientin bietet in der Beschreibung kein Instabilitätskriterium (Schock, Synkope, Myokardischämie). Ein Blick in den Medikamentenplan wäre hilfreich bezüglich der Dauermedikation. Eine Herzinsuffizienz wäre durchaus denkbar bei der Vorgeschichte, dies wäre anhand der Dauermedikation vermutbar, falls die Patientin selbst hierzu keine Aussage machen kann.
    Da der Defi ja scheinbar schon 3x ausgelöst hat, scheint er ja in gewisser Weise zu funktionieren, und da eine Tachykardie vorliegt, vermutlich auch korrekt getriggert. Da die Patientin hauptsächlich durch die Schockabgabe gestört zu sein scheint, gäbe es aus meiner Sicht die Möglichkeit der medikamentösen Frequenzlimitierung (primär Amiodaron bei klinisch vermuteter Herzinsuffizienz, ansonsten aber auch alternativ Betablocker falls keine KI).
    Klebeelektroden von extern aufbringen halte ich bei funktionierendem implantierten Defi für eher untergeordnet/nachrangig, zumal dann eher das Risiko eines extern zugeführten Gerätedefekts besteht. Eine Magnetauflage wäre dann natürlich nicht drin zum Schutz vor unkontrollierter Schockabgabe…

    Zielklinik auf jeden Fall Kardiologie mit Intensivkapazität mit der Fähigkeit, den Defibrillator auszulesen/umzuprogrammieren. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine sogenannte slow-VT; ggf. müsste der Defi dann umprogrammiert werden, um eine niedrigere Triggerschwelle zu erhalten. Und zusätzlich die frequenzlimitierende Medikation anpassen.

  7. Weiterer Verlauf des März-Falls 2023 :

    Marcus Finckh hat diesmal den Nagel auf den Kopf getroffen…. Respekt !

    Die Patientin hat im Rahmen der Erstversorgung keine Instabilitätszeichen geboten, wie auch Gerwin Santo nachvollziehen konnte. Aufgrunddessen sind in dieser Situation keine weiteren präklinischen Maßnahmen ergriffen worden- wie mehrere Diskussionsteilnehmer vorgeschlagen haben – . Die Patientin ist in notärztlicher Begleitung (mit für den Bedarfsfall aufgezogenem Amiodaron und Betablocker ) in eine geeignete Kardiologische Klinik transportiert worden.
    Während des Transports gab es keine Besonderheiten und es war ein annähernder Normotonus feststellbar bei weiterhin erhöhter Herzfrequenz von um 140/min. SaO2 :zwischen 94 und 96 % .
    Übergabe der Patientin in der ZNA in stabilem Zustand.

    Bei telefonischer Verlaufsabfrage am Folgetag wird mitgeteilt, dass eine deutliche „Hypokaliämie“ vermutlich die Ursache der ICD-Aktionen gewesen ist. Das Auslesen des ICD-Datenspeichers hatte ergeben, dass der ICD in der Nacht insgesamt 13 mal ausgelöst hatte, wovon die Patientin aber subjektiv nur 3 Schocks wahrgenommen hatte. Das Auslesen des Speichers ergab einen stattgehabten Wechsel zwischen Vorhofflimmern und ventrikulären Tachykardien.

    Eine in der Klinik nun versuchte medikamentöse Rhythmisierung mit Amiodaron blieb erfolglos. Daraufhin wurde eine Kardioversion durchgeführt mit Erfolg beim 2.Versuch. Bei anschließend aufgetretener respiratorischer Insuffizienz und Hinweisen auf eine Aspirationspneumonie (präklinisch nicht nachvollziehbar) musste die Patientin intubiert und mehrere Tage kontrolliert beatmet werden. Nach 4 Tagen kontrollierter Beatmung und i.v Kombinationsantibiose konnte schließlich die Extubation erfolgen.
    Anschließend langsame Rekonvaleszenz, so dass die Patientin nach weiteren 4 Tagen von der ITS auf die Normalstation verlegt werden konnte.

    Hinsichtlich des prästationären Vorgehens kann in der Nachschau eine andere Strategie als effektivere Therapie-Alternative nicht nachvollzogen werden.
    Dr. Gerrit Müntefering
    Arzt für Chirurgie / Unfallchirugie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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