Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen

Alarmierungsmeldung: Freitag gegen 18 Uhr

86-jährige Frau in betreuter Wohneinrichtung, nicht ansprechbar

Situation vor Ort:

RTW und NEF treffen annähernd zeitgleich ca. 8 Minuten nach Alarmierung an der Einsatzstelle ein. Die betreute Wohneinrichtung befindet sich im ersten Stock eines mehrgeschossigen Hauses, wobei die Möglichkeit eines Tragentransportes nur in einem der vorhandenen 3 Aufzüge besteht.

Eine Mitarbeiterin der Institution führt das Rettungsteam in das Zimmer eines Ehepaars, das erst seit 1 Woche in der Wohneinrichtung eingezogen ist.

Der ältere Ehemann sei in dieser Woche deutlich immobiler gewesen als seine Frau, die bis gestern eher unruhig und rastlos gewirkt habe. Sie war bis gestern ständig im Zimmer und auf dem Flur unterwegs gewesen. Der die Einrichtung betreuende Arzt wurde daraufhin hinzugezogen und habe der 86-jährigen Frau ein Benzodiazepin-Präparat verordnet.

Seit dem heutigen Morgen sei die Bewohnerin nun erkennbar schläfrig gewesen. Sie habe gegen Mittag dann zweimalig erbrochen, habe das Mittagessen – auch mit Unterstützung des Personals – allenfalls minimal zu sich genommen. Sie sei nun zunehmend eingetrübt und hab nur noch auf sehr laute Ansprache angedeutet reagiert.

Der Medikationsbogen wird gerade in der Praxis des neu betreuenden Hausarztes datenmäßig erfasst und überprüft und ist daher heute nicht greifbar, die Medikation ist aber für dieses Wochenende im Dispenser bereits vorbereitet worden. Einzig identifizierbar sind Medikamentenschachteln mit Forziga, Phenprocoumon und Tavor, die neben dem Medikationsdispenser liegen.  Der Notarzt fragt nach ärztlichen Unterlagen und erhält den internistischen Kurzbericht des Krankenhauses am früheren Wohnort, in dem die Patientin 1 Woche zuvor noch behandelt worden ist. Die 86-jährige Frau ist dort aufgrund eines benignen Lagerungsschwindels behandelt worden. Weitere Diagnosen: Coronare 3-Gefäßerkrankung mit Z.n. mehrmaliger Coronarangiografie und Stent-Implantation, Niereninsuffzienz Stadium 3.

Erstbefund:

RR: 150/110 mmHg, Herzfrequenz 140/min. leicht arrhythmisch, SaO2:88 – 90 % BZ-Stix: 108 mg%

EKG: absolute Arrhythmie bei VHF, schmale QRS-Komplexe, keine ST-Strecken-Auffälligkeiten

Thorax-Auskultation mit diskretem Entfaltungsknistern, kein abgeschwächtes Atemgeräusch, keine Seitendifferenz

Pupillen bds. mittelweit, Reaktion auf Licht prompt. Auf sehr laute Ansprache kann ein Augenblinzeln provoziert werden. Kein Nystagmus. Keine Blickdeviation.

Verbale Reaktionen sind auch als 1-Wort-Reaktion (Ja/ Nein) nicht zu erhalten

Kein erhöhter Muskeltonus. Kein Foetor ex ore. 

Keine Reaktion auf taktile Reize im Bereich der Extremitäten, jedoch gerichtete Abwehrreaktion auf Schmerzreiz bei der Anlage des intravenösen Zugangs auf dem Handrücken.

Erstmaßnahmen:

Die Anlage des intravenösen Zugangs erweist sich aufgrund des schlechten Venenstatus als schwierig. Ein 22 G-Verweilkanüle kann im 2.Anlauf gelegt werden. Eine nochmalige BZ-Kontrolle ist möglich: 105 mg%. 250 ml VEL werden infundiert. Temperatur tympanal: 37,6 °c. Sauerstoffgabe über Brille mit Flow von 4L/Min. Darunter Anstieg der SaO2 auf 93 %.

Verdachtsdiagnose?

Zielklinik?

Dr. Gerrit Müntefering
Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
Lessingstr. 26 

47445 Moers

2 thoughts on “Fall des Monats Juni 2023

  1. Sorry liebe FdM-Fans, ich hatte vergessen die Kommentare freizugeben. Die Auflösung wird Gerrit später einstellen, damit Ihr/Sie noch diskutieren könnt.

  2. Weiterer Verlauf des Juni-Falls 2023:

    Aufgrund der Vigilanzminderung wird eine 10 km entfernt liegende Klinik mit neurologischer Abteilung / Stroke Unit und auch mit kardiologischer Abteilung hinsichtlich eines Überwachungsplatzes angefragt. Die Klinik bestätigt Aufnahmebereitschaft.
    Vor Abfahrt wird beim Personal der betreuten Wohneinrichtung noch abgefragt, ob es Kenntnisse über das Vorliegen einer Patientenverfügung gibt. Eine Patientenverfügung ist nicht bekannt und liegt auch in den personenbezogenen Unterlagen der Einrichtung nicht vor.
    Ein Betreuungsverhältnis ist für die Bewohnerin auch nicht bekannt. Es sind keine Adressen von Angehörigen oder sonstige Bezugspersonen in den Akten.

    Vitalparameter währendes Transports wenig verändert : RR: 140/100 mmHg , Herzfrequenz bei 120/min. leicht arrhythmisch , SaO2:93 %. BZ: 103 mg %
    Die Patientin ist weiterhin schläfrig.Sie reagiert auf laute Ansprache nach wie vor einsilbig. Pupillen bds mittelweit, keine Anisocorie, Lichtreaktion erhalten. Reaktion auf periphere Reize leicht verlangsamt , aber gerichtet.

    In der Zentralen Notaufnahme der Klinik wird eine sofortige Abnahme der Laborparameter durchgeführt einschließlich Blutkulturen und eine BGA am hyperämisierten Ohrläppchen vorbereitet und abgenommen.
    Der Notarzt wird kurz nach dem Eintreffen in der ZNA zu einem Folgeeinsatz abkommandiert.
    Bei der telefonischen Verlaufabfrage 2 Stunden später wird dem Notarzt vom Triage-Arzt der ZNA mitgeteilt, dass bei der Patientin ein BZ-Wert von 25 mg% ermittelt worden ist.
    Nach sofortiger Glucose-Substitution ist es im weiteren Verlauf allerdings nur zu einem langsamen Aufklaren der Patientin gekommen.

    Ein unglücklicher Ausgang des technischen Fouls des BZ-Messgeräts konnte erfreulicherweise verhindert werden.

    Das hier verwendete Messgerät wurde sofort getestet und bei Fehlfunktion entsorgt.

    Dapagliflozin [Forxiga®] hätte auf eine Blutzuckerproblematik hinweisen können, obgleich es für Dapagliflozin als SGLT2-Hemmer mehrere Einsatzbereiche gibt: Außer beim Diabetes mellitus Typ 2 gibt es Medikationsoptionen für das Pharmakon bei koronarer Herzerkrankung und bei Herz- oder Niereninsuffizienz.
    Mit SGLT2-Hemmern ist keine Hypoglykämiegefahr verbunden, in seltenen Fällen kann es aber zur Ketoacidose kommen.

    Dr. Gerrit Müntefering
    Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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