Fall des Monats Februar 2013

Alarmierungsmeldung Freitag 23:30 Uhr :

Nachforderung RTW,  Jugendlicher mit Hypoglykämie

 

Situation vor Ort:

6 Minuten nach Alarmierung Eintreffen des NEF bei einer Techno-Fete in einem Jugendheim.

Die RTW-Besatzung befindet sich im Nebenraum bei einem 16-jährigen noch somnolenten Jugendlichen. Die Freunde des Patienten konnten zur Vorgeschichte mitteilen, dass der Jugendliche insulinpflichtiger Diabetiker sei. Er sei im vergangenen Halbjahr 3-mal in der Klinik gewesen bei hypoglykämischen Ereignissen mit offensichtlich erheblicher Eintrübung.

 

Nun sei der Jugendliche auf der Fete plötzlich kaltschweißig geworden und sei kollabiert.

Weil  der Jugendliche zunächst noch erweckbar war, konnten ihm seine Freunde noch 2 Gläser Coca-Cola einflößen.

Da sich eine Rettungswache mit RTW-Standort in unmittelbarer Nähe des Jugendheims befindet, kann die dort anwesende RTW-Besatzung von den Jugendlichen hinzugezogen werden.

 

Erstbefund und Erstmaßnahmen nach Angaben der nun erstversorgenden  Rettungsassistenten:

Die Rettungsassistenten finden einen bewußtseinsgetrübten Jugendlichen vor, der auf Ansprache nur mit „ja“ nicht adäquat antworten kann. Auf laute Ansprache öffnet der Jugendliche die Augen nicht, auf Schmerzreiz aber kurzzeitig. Auf periphere Reize reagiert der Patient noch mit normaler Beugeabwehr. GCS : 9 Punkte.

Blutzuckerstix :  Meldung => Low

 

Blutdruck 110 mmHg systolisch ,

Puls 105 / min , rhythmisch

SaO2: 90 %

 

Einer der Rettungsassistenten beruhigt alle Anwesenden. Die Hypoglykämie sei in der Regel unproblematisch und leicht zu behandeln. Die Rettungsassistenten versuchen nun, einen intravenösen Zugang  anzulegen. Bei schlechten Venenverhältnissen, Rollvenen und zusätzlich auch schlechter Beleuchtung misslingen 4 Venenpunktionsversuche. Die RTW-Besatzung fordert daraufhin das NEF nach.

 

Notärztliche Behandlungsmaßnahmen:

Der eingetroffene Notarzt findet im Armbereich keine punktierbare Vene mehr. Am Fußrücken kann schließlich doch noch eine Vene erfolgreich punktiert werden. Nach Infusion von 200 ml Glucose 10 % klart der Jugendliche langsam auf.

BZ-Stix : 55 mg% .

Blutdruck 120 mmHg systolisch ,

Puls 100 / min , rhythmisch

SaO2: 96 % unter Sauerstoffgabe von 4l/ Min.

 

Daraufhin i.v.-Gabe von weiteren 200 ml G10 % . Der Jugendliche wird wach.

BZ-Stix nun 80 mg%

Blutdruck  unverändert 120 mmHg systolisch ,

Puls 90 / min , rhythmisch

SaO2: 97 % .

 

 

Weiteres Behandlungsmangement:

Der Notarzt empfiehlt dringlich den Transport und die Weitere Überwachung in der nahegelegenen Klinik, insbesondere aufgrund der wohl nicht unproblematischen Vorgeschichte.

Der Jugendliche möchte jedoch nicht ins Krankenhaus , sondern weiter im Jugendheim bleiben. Der Notarzt insistiert jedoch auf den Transport des Jugendlichen in der Klinik.

 

Überraschender Fallverlauf:

Ein Rettungsassistent der erstversorgenden RTW-Besatzung unterstützt nun überraschenderweise die ablehnende Haltung des jugendlichen Notfallpatienten:  Der Patient sei doch nun wieder wacher und in gebessertem Allgemeinzustand.

Man müsse doch nicht jeden hypoglykämischen Patienten, der bei erkennbarem Erfolg der Glucose-Infusion von Freunden weiter beobachtet werden könnte, gleich ins Krankenhaus transportieren.

Bei der Mehrzahl von Hypoglykämie-Notfällen, bei denen er in den vergangenen Jahren als Ersthelfer involviert war, sei eine Behandlung vor Ort ausreichend gewesen.

 

Der Patient fühlt sich bestätigt.

 

Weiteres Procedere ?

 

Dr. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin

Lessingstraße 26

47445 Moers

5 thoughts on “Fall des Monats Februar 2013

  1. Auch dieser Fall besticht durch die medizinische und soziale Komponente. Medizinische wäre eine weitere Anamnese inklusive Beleuchtung der psychosozialen Situation (Suizidalität) wichtig. Auch eine weitere körperliche Untersuchung und z.B. Temperatur wären ggf. hilfreich. Aufgrund der hohen Menge an benötigter Glukose steht einfach die Frage im Raum, ob es nicht noch einen anderen Grund für das Geschehene gibt. Alleine deshalb würde ich den Patienten in dem Fall ins Krankenhaus transportieren. In Hinsicht auf die ablehende Haltung wäre hier zunächst zu prüfen, ob, bei weiterhin fehlender Kooperation, die Erziehungsberechtigten nicht frühzeitig mit involviert werden. Bin gespannt auf die Diskussion. Alleine über den Transport den Umgang mit Patienten mit einer Hypoglykämie lässt sich ja durchaus diskutieren.Beste Grüße!

  2. Der junge Mann sollte auf jeden Fall einer klinische Überwachung zugeführt werden, da die zugeführte Glucose evtl. nicht ausreichend sein kann und er wieder bewußtlos werden könnte. Des weiteren befindet er sich auf einer Techno-Party. Der Verdacht liegt Nahe, dass er vielleicht auch noch Rauschmittel zu sich genommen haben könnte (Extasy u.s.w.). Auch ist der Patient noch nicht volljährig, die Eltern sollten benachrichtigt werden um mit ihnen das weitere Vorgehen abzusprechen. Unmöglich finde ich das Verhalten des Rettungsassistenten (ich bin selber Rettungsassistent bei einer BF), man kann einen Patienten nicht in die Obhut von weiteren Jugendlichen belassen.

  3. Uuh – tricky!Also, vorweg ist das Verhalten des RA unmöglich, ist es doch eine der einfacheren Regeln im Rettungsdienst (so wie in der restlichen Medizin), dass man Kontroversen unbedingt nicht vor dem Patienten austragen sollte. Dass er nebenbei mit der „höheren Instanz“ diskutiert, zeugt von großer Ambition, die ordentlich reflektiert werden sollte.Spannend finde ich allerdings die Frage, ob man den minderjährigen, aber schon bedingt haftungsfähigen Patienten im mediko-legalen Kontext überhaupt vor Ort belassen darf, wenn nicht wenigstens ein Erziehungsberechtigter mit entschieden hat.Abschließend würde mir auch bei Volljährigen allein die Information ausreichen, dass im Vorfeld gehäuft Hypoglykämien aufgetreten sind – ein Hinweis auf schlechte Einstellung der Insulintherapie oder schlechte Einstellung des Patienten (möglicherweise hat er durch vermehrte körperliche Anstrengung/die Einnahme von psychotropen Substanzen vermehrt Insulin „verbraucht“) zur Diät. Das reicht im Grunde aus, den Patienten davon zu überzeugen, dass eine neue Einstellung der Therapie und vielleicht eine intensivere Schulung in Zukunft mehr Sicherheit bringen.Den RA würde ich in einem in ruhiger Atmosphäre stattfindenden Debriefing-Gespräch versuchen zu überzeugen, dass eine ambitionierte Diskussion vor dem Patienten lediglich alle Beteiligten verunsichern wird, aber in den meisten Fällen nicht zielführend ist.

  4. Super Fall.Diese Diskussionen sind mir gut bekannt. Erst wird der NA geholt um die Verantwortung abzuwälzen, aber dann wird gemotzt wenn der Patient transportiert werden soll,In diesem Fall auf jeden fall Transport ins KH, weil man nicht sagen kann ob der Unterzucker zufällig aufgetreten ist oder weil was dazu genommen wurde. Der junge Mann ist ja noch nicht voll geschäftsfähig und ob das Umfeld in der Lage ist ihn zu betreuen sei mal dahingestellt. Der NA hat hier gegenüber dem Patienten eine besondere Garantenstellung.

  5. AUFLÖSUNG

    Der Patient ist – nach diesen Äußerungen des Rettungsassistenten – leider nicht mehr davon zu überzeugen, dass eine stationäre Krankenhausüberwachung mit evtl. neuer Einstellung der Therapie notwendig ist.

    Bei weiterhin fehlender Kooperation des Jugendlichen kann jedoch von einem seiner Freunde die Telefonnummer der Eltern in Erfahrung gebracht werden und die Erziehungsberechtigten (trotz vorgerückter Stunde) telefonisch erreicht werden.

    Nach erfolgter Darstellung der aktuellen Situation durch den Notarzt kann die Mutter des Jugendlichen kann allerdings im anschließenden Telfongespräch mit ihrem Sohn keine sichere Behandlungseinsicht erreichen. Die Mutter sichert dem Notarzt aber (unter Telefonzeugen bei auf Lautsprecher gestelltem Handy) zu, sofort zu erscheinen und einen unverzügliche Krankenhausüberwachung ihres Sohnes einzuleiten.

    Eine weitere Glukose-Infusion wird angehangen. Anschließend wird von der Rettungsleitstelle allerdings abgefragt, ob der Notarzt für einen Verkehrsunfall mit mehreren eingeklemmten Pesonen abkömmlich wäre. Das NEF meldet sich daraufhin einsatzbereit, die RTW-Besatzung wird von der Leitstelle vorort belassen bis zur Durchführung des Krankenhaustransports nach Eintreffen der Eltern.

    Weitere Konsequenzen:

    Ein Debriefing-Gespräch mit dem Rettungsasistenten ist nun in größerem Kreis geplant, um derartige patientengefährdende Fehlhandlungen zukünftig zu verhindern.

    Dr. Gerrit Müntefering

    Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin

    Lessingstraße 26

    47445 Moers

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