Fall des Monats August 2013

Alarmierungsmeldung morgens um 4:30 Uhr:

Schmerztherapie bei männlichem Patienten, starke Rückenschmerzen

 

Situation vor Ort:

8 min nach Alarmierung eintreffen am Einsatzort. Der Lebensgefährte des Notfallpatienten begleitet das Rettungsteam ins Schlafzimmer. Hier liegt ein 35-jähriger Mann in Rückenlage auf dem Bett klagt über stärkste Rückenschmerzen im LWS-Bereich. Der Lebensgefährte des Patienten berichtet, dass sein Partner vor ca. drei Jahren in der orthopädischen Klinik an einem Bandscheibenvorfall L4/L5 operiert worden sei. Seit dieser Zeit seien bereits mehrere Male massive Schmerzphasen im unteren Lendenwirbelsäulenbereich aufgetreten mit Ausstrahlung in die Gesäßregion.

Eine Vorstellung des Mannes in der operierenden Klinik habe allerdings wiederholt keinen operativ revisionsbedürftigen Befund ergeben.

 

Am heutigen Morgen war beim Versuch des frühmorgendlichen Aufstehens mit Beginn der Rückenschmerzattacke auffällig, dass der Notfallpatient seine Beine nicht mehr spürte und auch nicht mehr bewegen konnte. Eine Anspannung von Oberschenkel- und Unterschenkelmuskelgruppen und selbst Minimalbewegungen der Beinmuskulatur seien nicht mehr möglich gewesen. Zudem habe der Patient eingenässt . Er habe keinen Blasendruck verspürt und habe den Urinabgang auch nicht kontrollieren können.

 

Befund der Erstuntersuchung:

Bei der  orientierenden palpatorischen Untersuchung der Rückenpartie (LWS-Region)  werden deutliche Myogelosen und ein Hartspann der paravertebralen Muskulatur im LWS-Bereich spürbar.

Auf Aufforderung hin sind keine Spontanbewegungen der Beine motivierbar. Bei der anschließenden Prüfung der Oberfächensensibilität der unteren Extremität werden Berührungen vom Patienten nicht wahrgenommen. Es werden daraufhin zunehmend stärkere Schmerzreize im Unterschenkel und Fußbereich gesetzt. Aber auch auf diese massiveren Schmerzimpulse sind keine Reaktionen des Patienten und keine Abwehrbewegungen der Beine erkennbar.

Bei der Inspektion der Unterwäsche ist die Enuresis des Notfallpatienten zu bestätigen.

 

Bei der Prüfung der Muskeleigenreflexe der unteren Extremität ist der Achillessehnenreflex und der Patellarsehnenreflex  bds. nicht auslösbar

 

Auch im Rahmen einer Befundkontrolle ca. 10 Minuten später sind keine motorische Aktionen der unteren Extremität motivierbar und auch weiterhin keine Schmerzäußerungen und Abwehrbewegungen des Versicherten auf massivere Schmerzreize.

 

Beim ersten Versuch des Patiententransfers vom Bett auf die Trage des RTW’s werden vom Patienten dann aber sofort starke Schmerzen im unteren Lendenwirbelsäulenbereich angegeben.

 

Daraufhin erfolgt die Anlage eines intravenösen Zugangs und anschließend die Analgosedierung des Patienten mit Dormicum und Ketanest . Nach Wirkungseintritt dieser i.v.-Medikation ist dann der Transfer auf die Trage des RTW’s  mit weniger Schmerzäußerungen des Patienten verbunden.

 

Erste Arbeitsdiagnose ?  Weiteres Procedere? Zielklinik ?

 

 

Dr. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Notfallmedizin

Lessingstraße 26

47445 Moers

One thought on “Fall des Monats August 2013

  1. Bei Hinweisen auf das Vorliegen eines akuten ( und dann zeitnah revisionsbedürftigen) Konus-Kauda-Syndroms wurde eine Klinik der Maximalversorgung mit neurochirurgischer Abteilung angefahren. Beim Transport verursachten bereits leichte Bodenwellen deutlichere Schmerzäußerungen des Patienten, sodass eine intravenöse Opiat-Medikation erfolgte. Andererseite fehlte – nach wie vor – die Reaktion auf starke periphere Schmerzreize im Beinbereich. Leider war dann (bei Folgeeinsatz) nur eine knappe Übergabe des Patienten in der ZNA des Klinikums möglich. Nach späterer telefonischer Rückfrage des Notarztes zum weiteren Behandlungsverlauf konnte von einem nicht unmittelbar mit dem Fall betrauten Neurochirurgen nur insofern aufgeklärt werden, dass sich im weiteren Tagesverlauf wohl keine notfallmäßige OP-Indikation beim Patienten ergeben habe. Bei der erneuten telefonischen Nachfrage zum Fall am Folgetag war der Patient dann auf die Neurologische Abteilung des Klinikums weiterverlegt worden. Der Stationsarzt war allerdings nicht erreichbar. Erst am darauffolgenden Tag konnte ein zum Fall informierter Neurologe kontaktiert werden: Die nun vordergründige Diagnose des 35-jährigen Patienten lautete: „ Münchhausen-Syndrom “ Fazit: Somit sind auch fehlende Reaktionen auf mehrfache massive Schmerzreize nicht immer richtungsweisend. Die Schmerztoleranz dieser Patienten-Spezies im Rahmen der relevanten Untersuchungen scheint offensichtlich enorm zu sein.

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