Fall des Monats Dezember 2017

Alarmierungsmeldung Freitag 01:30 Uhr nachts :

Anforderung zur Hilfeleistung im Nachbarbezirk: Einsatz in der Stadthalle bei Konzertveranstaltung , weibliche Patientin mit Zustand nach Reanimation, Rettungsassistenten einer Hilfsorganisation als Sanitätsdienst vor Ort

Situation am Einsatzort  / Aktuelle Anamnese

Das NEF hat einen längeren Anreiseweg und trifft erst 11 Minuten nach Alarmierung am Einsatzort  ein (Stadthalle einer Kleinstadt mit aktuell laufenden Konzert einer bekannten Musikgruppe) ein. Die Einweisung des NEF erfolgt vorort durch einen Rettungsassistenten der Hilfsorganisation.

Eine 74 -jährige Frau befindet sich im RTW des konzert-betreuenden Sanitätsdienstes. Die Patientin ist ansprechbar und sitzt auf dem Klappsitz des Fahrzeugs.

Angaben der Rettungsassistenten zur Vorgeschichte :

Die anwesenden Rettungsassistenten berichten über die Alarmmeldung, dass die Frau im Konzertsaal kollabiert sei. Im Rahmen der sofort eingeleiteten Erstversorgung hätte die Frau ihr Bewusstsein jedoch rasch wieder erlangt. Nachdem die orientierende Prüfung der Vitalparameter durch die Rettungsassistenten keinen pathologischen Befund ergibt, wird die wieder zunehmend mobile Patientin (beidseits von Rettungsassistenten gestützt) aus dem Saal begleitet.

Auf dem Flur des Hallenausgangs sei die Patientin jedoch dann erneut kollabiert.

Beim Primärcheck durch die Rettungsassistenten ist bei primär fehlender Ansprechbarkeit nun auch eine Apnoe feststellbar, so dass von den Rettungsassistenten mit der kardiopulmonalen Reanimation begonnen wird. Ca. 30 Sekunden nach Beginn der Thoraxkompression erlangt die Patientin das Bewusstsein wieder, atmet spontan und reagiert auf Ansprache adäquat.  Bei nun erkennbarem Unruhezustand versucht die Frau aufzustehen. Die Prüfung der Vitalparameter ergibt eine Herzfrequenz von 60 pro Minute , der Blutdruck wird mit 210/130 mm Hg gemessen, Sauerstoffsättigung 96 %. Unter energischer Ansprache der Rettungsassistenten und leichter Handanlage kann die Patientin auf die Trage gelegt werden mit anschließendem Transfer in den RTW.

Der weitere Behandlungsverlauf ist dann schwierig. Von den weiterbetreuenden Rettungsassistenten wird mitgeteilt, dass die Patientin eine weitergehende Behandlung und Überwachung und insbesondere einen Transport ins Krankenhaus ablehnen würde.

Die Patientin teilt dem hinzugezogenen Notarzt mit, dass sie nun gerne nach Hause gehen würde. Dort  könne sie dann sofort ihre Blutdrucktablette einnehmen. Es  kann ein deutlicher Foetor alkoholicus  wahrgenommen werden. Befragt nach Alkoholgenuss gibt die Patientin an, dass sie drei oder vier Gläser Bier getrunken habe. An die beiden abgelaufenen Kollapsereignisse kann sich die Patientin nicht mehr erinnern.

Weiterer Untersuchungsbefund im RTW:

Pupillen isocor, mittelweit Pupillenreaktion auf Licht und Konvergenz prompt. Prüfung der Hirnnerven orientierend o.B.

Kein Meningismus.

Extremitätenbeweglichkeit und Kraftentwicklung orientierend unauffällig.  Keine Sensibilitätsstörungen.

Thorax und Abdomen ebenfalls ohne Pathologischen Befund. Vesikuläratmen bds.

Die Patientin kann vom Notarzt nun überzeugt werden, ein EKG ableiten zu lassen und nochmals den Blutdruck messen zu lassen.

Das mit  dem EKG-Gerät des RTW’s abgeleitete Extremitäten-EKG  zeigt  den nachfolgenden Befund:

Blutdruck nun 250/130 mm HG.

Daraufhin ermahnt der Notarzt die Patientin nochmals eindringlich, dass eine weitere antihypertensive Therapie unter engmachiger Kontrolle und eine stationäre Verlaufsüberwachung unbedingt erforderlich seien.

Die Patientin lehnt jegliche weitere Maßnahmen ab und will den KTW verlassen.

Frage an das Forum:

Weiteres Procedere ?

 

Eingereicht von

Dr. Gerrit Müntefering

Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin

Lessingstr. 26

47445 Moers

3 thoughts on “Fall des Monats Dezember 2017

  1. Pat. ist zweimal kollabiert, alkoholisiert, wurde sogar reanimiert. Zudem höchst bedenklicher RR. 

    Insgesamt stellt sich hier die Frage inwieweit die Pat einwilligungsfähig ist. In meinen Augen besteht die Einwilligungsfähigkeit NICHT. Eine weitere stationäre Diagnostik und Therapie bei potentiell vitalgefährdender Situation ist indiziert. Somit wären sämtliche Register zu ziehen mit den Eskalationsstufen 1) Nochmalige ausführliche Erklärung der bedrohlichen Situation (hat die Pat denn handfeste Argumente die gegen eine weitere Behandlung sprechen?) 2) Androhung der gewaltsamen Einweisung mit Hilfe der Polizei 3) Hinzuziehen der Polizei.

    Wichtig ist der Umstand der fehlenden Einwilligungsfähigkeit. Ich würde mich auf Paragraph 34STGB berufen. Zur Not gehe ich dann vor Gericht! 

  2. Ist die Pat. vollständig orientiert?

    Gibt es eine Begleitperson?

    Die Indikation für eine weiterführende medizinische Behandlung ist offensichtlich,

    eine akute Lebensgefahr nicht auszuschließen, es besteht eine Garantenstellung.

    Insofern bei erfolgloser Krisenintervention in den schon geschilderten Eskalationsstufen, notfalls

    Einleitung einer medizinischen Behandlung gegen den Patientenwillen unter Berufung auf Paragraph 34STGB und BGB Geschäftsführung ohne Auftrag.

     

  3. Fall des Monats Dezember 2017:

    Weiterer Fallverlauf:

    Vom Notarzt  wird eine weitere engmaschige Überwachung der 74-jährigen Patientin für notwendig gehalten. Erfreulicherweise sind Bekannte der Patientin vor Ort. Die Bekannten werden nach weiteren Angehörigen der Patientin befragt und können motiviert werden, die Tochter der Patientin, die Arzthelferin ist, telefonisch über die aktuellen Situation zu informieren.

    Zeitgleich erfolgt die Alarmierung der Polizei.

    Eine in der Nähe befindliche Polizeistreife ist zeitnah am Einsatzort.

    Die nicht kooperative Patientin lässt sich von der Anwesenheit der Ordnungshüter allerdings nicht beeindrucken und kann von den Polizeibeamten nur mit leichter Handanlage am Verlassen des Einsatzortes gehindert werden.

     

    Erfreulicherweise trifft die telefonisch erreichte Tochter der Patientin kurzzeitig später an der Konzerthalle ein. Nach Information zur Lage kann sie ihre Mutter in sehr resoluter Ansprache dann doch überzeugen, die Nacht zur Überwachung im nahe gelegenen Krankenhaus zu verbringen.

     

    Transportverlauf:

    Die Patientin lehnt die Anlage eines intravenösen Zugangs ( zur antihypertensiven Medikation mit Ebrantil ) ab. Nach der Gabe einer Phiole Bayotensin (Restbestand im RTW)  reguliert sich der Blutdruck während des Transportes auf einen Wert von 160 /105 mm Hg. Probleme  treten während des Transportes der Patientin zur internistischen Notaufnahme nicht auf.

    Nach stationärer Aufnahme der Patientin ist auch ein komplikationsloser Verlauf in der zweiten Nachthälfte auf der Überwachungsstation dokumentiert.

    Dennoch besteht bei der Patientin offensichtlich nicht der Wunsch eines weiteren Monitorings und einer weiteren Abklärung.

    Die 74 -jährige Frau wird am Morgen des Folgetages auf eigenen Wunsch aus der stationären Behandlung entlassen.

     

     

    Dr. Gerrit Müntefering

    Arzt für Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin

    Lessingstr. 26

    47445 Moers

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