Fall des Monats März 2016

An einem Winterabend wird während einer internen Veranstaltung des Stadtfeuerwehrverbandes ein Mitarbeiter der Feuerwehr von einem Bürger angesprochen, seinem Vater, der etwa 100 m entfernt wohne, gehe es nicht gut. Im Verlauf des Tages habe es bereits in der Wohnung eine kurze Rauchentwicklung gegeben.

Ausgestattet mit einem CO-Detektor begibt sich der Feuerwehrmann zu Fuß zu dem Reihenhaus, vor dem der Bewohner (ein rüstiger 82jähriger Diabetiker mit arterieller Hypertonie) auf dem Gehweg bereits auf einem Stuhl Platz genommen hat.

Die Raumluft-Messung in der Wohnung ergibt eine Konzentration von 16ppm CO.

Bei genauer Betrachtung finden sich in der Wohnung geringe Rußspuren auf den Möbeln.

Es erfolgt eine intensive Belüftung der Wohnung.

Bei Eintreffen des Notarztes ist der Patient wach und orientiert. Er hat weder Luftnot noch Angina pectoris-Beschwerden, weder Übelkeit noch Erbrechen; er gibt lediglich einen „minimalen Schwindel“ an. Er stellt auch sofort unmissverständlich klar, dass er „das schon mal“ habe und er ungern ins Krankenhaus gehen wird.

Wie ist Ihr Vorgehen?

Nähere Untersuchung?

Invasive Maßnahmen?

oder:

Dokumentation der Weigerung?

Einsatzende?

oder:

Andere Maßnahmen?

 

 

Dr. med. Holger Wißuwa

Ärztlicher Leiter Rettungsdienst der Stadt Herne

Berufsfeuerwehr Herne

2 thoughts on “Fall des Monats März 2016

  1. Hallo,

    Zunächst hören sich 16ppm CO nicht viel an, der Arbeitsplatzgrenzwert liegt bei ca. 30ppm, sodass wir hier primär von einer geringen Exposition ausgehen würden. Wichtig jedoch ist die Expositionsdauer. Hat sich der Patient eine sehr lange Zeit in den ungelüfteten Räumlichkeiten aufgehalten ist zunächst eine Messung des CO-Hb mittels spezieller Pulsoximetrie geboten. Hierdurch kann zunächst eine objektivere Beurteilung des Patienten erfolgen. Liegt der CO-Hb unter 5% so kann der Patient bei Beschwerdefreiheit aufgeklärt und nach eventuell erfolgter kurzzeitiger O²-Therapie mittels High-Flow-Maske entlassen werden. Bei allen darüber hinausgehenden Werten bietet sich eine eindringliche Aufklärung des Patienten an, mit dem Ziel ihn einem Krankenhaus zuzuführen. Auch hier ist eine Sauerstofftherapie obligat. Eine Auskultation des Patienten muss stattfinden, um ein Lungenödem auszuschließen. Sollte dieses vorliegen kann auf Glucokortikoide und Schleifendiuretika zurückgegriffen werden. Die bei der Verbrennung von Plastik freigesetzten Cyanwasserstoffe sind ein ebenfalls nicht zu unterschätzender Faktor und sollten die Krankenhauseinweisung begünstigen.

    Nicht einfach abtun darf man in diesem Fall auch eine andere Ursache des Schwindels, deren Behandlung möglicherweise viel wichtiger wäre. Hier denke ich bei regelmäßig wiederkehrenden Episoden vor allem an Blutdruckschwankungen des vielleicht schlecht eingestellten Hypertonus, eine Störung des Glucose-Stoffwechsels oder eine Herzrhythmusstörung.

    Sind diese "Nebenbefunde" ausgeschlossen könnte der Patient meiner Meinung nach in die Obhut des Sohnes entlassen werden, mit dem Hinweis im Anschluss lange an der frischen Luft zu bleiben, sowie bei auftretender Atemnot (Stichwort toxisches Lungenödem) oder Verschlechterung der bekannten Symptomatik umgehend erneut den Rettungsdienst zu rufen.

    In jedem Fall jedoch sollte das vorrangige Ziel sein den Patienten einer stationären Behandlung mit Überwachung zuzuführen.

    Mit freundlichen Grüßen

  2. Weiterer Verlauf des März-Falls 2016:

     

    Es liegt eine sehr niedrige CO-Konzentration von 16ppm innerhalb der Wohnung vor (diese liegt unterhalb der Alarmauslöseschwelle für die vielerorts vorgehaltenen CO-Warner des Rettungsdienstes). Der Patient hat wenig Krankheitseinsicht und möchte „eigentlich“ auch nicht behandelt werden.

     

    Der Notarzt berät den Patienten eindringlich und führt  danach – neben klinischer Untersuchung und Erhebung der Vitalparameter Atemfrequenz, Puls, RR, Sättigung [klassische Pulsoxymetrie] und 12-Kanal-EKG)  – noch an der Einsatzstelle eine venöse Blutgasanalyse auf CO durch:
    Die Messung ergibt einen COHb-Anteil von 17,2%.

     

    Es erfolgt noch von der Einsatzstelle eine telefonische Kontaktaufnahme zu mehreren HBO-Druckkammerzentren. Da wegen schlechter Wetterlage kein Nachtflug-tauglicher RTH zur Verfügung steht, erfolgt der Transport in einem RTW in Notarztbegleitung unter kontinuierlicher O2-Insullation (15L/min über Gesichtsmaske mit Reservoirbeutel) zur HBO in Aachen (Sondersignal, einfache Fahrtstrecke ca. 150 km, Gesamt-Einsatzdauer: ca. 4,0 Stunden).

     

    Der Patient erhält in Aachen während des stationären Aufenthalts insgesamt 3 Sitzungen in der HBO-Druckkammer.

     

    Kommentar des Autors:

     

    Als Ursache der Rauchentwicklung identifiziert die Feuerwehr ein verstopftes Kaminrohr in der mit Kohleofen beheizten Wohnung (ausgelöst vermutlich durch unzureichende Wartung und unsachgemäße Befeuerung).

     

    Trotz der sehr niedrigen Raumluftbelastung mit CO (16ppm) ist es im geschilderten Fall zu einer (mittel-)schweren CO-Vergiftung von 17,2% gekommen.

    Dieses zeigt eindringlich, dass neben der vorliegenden CO-Konzentration die Dauer der Exposition (hier: mehrere Stunden) eine entscheidende Rolle spielt.

     

    Weiterhin ist zu beachten, dass klinische Symptomatik und tatsächlicher Vergiftungsgrad nur eine sehr mäßige Korrelation zeigen. In eigenen Einsätzen wurde ein bewusstloser Patient nach Wohnungsbrand mit COHb=15% gesehen, während eine Patientin mit COHb=29% (vergleichbares Ereignis mit Kaminrohr wie oben) völlig asymptomatisch gewesen war.

     

    Der Patient in vorgestellten Fall hätte dieses Ereignis mit großer Wahrscheinlichkeit auch überlebt, hätte der Rettungsdienst ihn in ein „normales“ Krankenhaus (ohne HBO) transportiert oder gar zu Hause belassen.

     

    Allerdings hätte der Patient unter dieser (mittel-)schweren CO-Vergiftung von 17,2% (als Nichtraucher!) ein 15-40%iges Risiko gehabt, Wochen bis Monate nach dem Ereignis neurologische Spätschäden zu entwickeln (von leichten Konzentrationsstörungen bis hin zu schweren Parkinson-ähnlichen Syndromen).

     Dieses Risiko kann durch eine HBO-Therapie auf 1,6% gesenkt werden (Quelle: S1-Leitlinie „Arbeit unter Einwirkung von Kohlenmonoxid“, AWMF-Register Nr. 002/018, 06/2011).

     

    Aus Sicht des Verfassers rechtfertigt dieses den hohen rettungsdienstlichen nächtlichen Aufwand (mehrstündiger Einsatz: „Fernfahrt“ mit RTW + NA).

     

    Folgende, lokal etablierte Konzeption in Bezug auf CO-Unfälle wurde verfolgt:

    Bewusstsein für das „Problem CO“ durch wiederkehrende Schulungen vorhanden
    Vorhaltung von geeigneter PSA (CO-Warner)
    Vorhaltung einer invasiven Diagnostik (venöse BGA) an der Einsatzstelle
    Beginn der Notfallversorgung (Sauerstoff!) an Einsatzstelle
    Sofortige telefonische Kontaktaufnahme zu HBO-Druckkammerzentren (Abstimmung von Aufnahmeindikation und Aufnahmebereitschaft)
    Prüfung der zur Verfügung stehenden Rettungsmittel für „Fernfahrt (RTW versus RTW+NA)
    Transport unter NA-Begleitung

     

    Am Schluss auch nochmals besten Dank für den sehr ausführlichen Forumsbeitrag von „Volpi“, der zeigt, dass die Kohlenmonoxid- Intoxikation sicher eine Menge Diskussionsstoff bietet.

     

     

    Dr. med. Holger Wißuwa

    Ärztlicher Leiter Rettungsdienst der Stadt Herne

    Berufsfeuerwehr Herne

     

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