Fall des Monats Mai 2015 – Fortsetzung!

Alarmierungsmeldung : hypertensive  Entgleisung

Alarmierungsmeldung um 20:00 Uhr:

65 jährige Patientin mit hypertensiver Entgleisung

Situation vor Ort:

NEF und RTW treffen 6 Minuten nach Alarmierung am Einsatzort (Parterrewohnung) ein. Die Tochter der 65-jährigen Notfallpatientin führt das Rettungsteam ins Wohnzimmer, in dem ihre Mutter im Pflegebett liegt. Die 65-jährige deutlich übergewichtige Frau klagt über starke Kopfschmerzen. Sie habe daraufhin mit dem eigenen Blutdruckmessgerät ein Blutdruck von 170/ 100 mmHg gemessen.

Ein Bluthochdruck ist bekannt. Der Hypertonus ist aber unter medikamentöser Einstellung mit einem ACE-Hemmer und einem Diuretikum bisher gut einstellbar gewesen.

Ein nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus ist bekannt.

Weitere Angaben zur Vorgeschichte:

Die Patientin gibt an, dass sie sich seit mehreren Jahren aufgrund von anhaltenden Schmerzzuständen bei Wirbelsäulenverschleiß und bei Hüftgelenks- und Kniegelenkverschleiß  in schmerztherapeutischer Behandlung befände. Eine Medikation mit einem oralem Opiat-Analgetikum und nichtsteroidale Antirheumatika zeigten biher aber nur mäßige Wirkung.

Vor ca. 5 Monaten sei nun ein künstliches Hüftgelenk implantiert worden mit jedoch postoperativ weiterbestehenden Hüftgelenksbeschwerden. Die daraufhin veranlasste apparative Diagnostik habe ergeben, dass die nicht zementiert implantierte Hüft-TEP wohl partiell gelockert sei.

Erstuntersuchung:

Bei der Bestimmung der Vitalparameter wird ein Blutdruck von 160/90 mmHg gemessen. Die Pulsoximetrie ergibt eine Sauerstoffsättigung von 98% hierbei zeigt das Gerät eine massiv erhöhte Herzfrequenz um 190/min an.

Blutzucker-Stix: 183 mg/dl

Auskultation von Herz und Lunge unauffällig. Kein Meningismus.

Bei der sofortigen Ableitung des 12 Kanal-EKG’s zeigt sich der nachfolgende Befund:

 

 

Die Herzfrequenz von 190 Aktionen/ Minute wird im EKG bestätigt.

 

Erstmaßnahmen:.

Daraufhin wird nun versucht, die Patientin zu einem Valsalva-Pressmanöver anzuleiten. Die 65-jährige Frau hat hier zunächst Verständnisprobleme und Umsetzungsschwierigkeiten. Ein Valsalva-Pressmanöver kann dennoch erreicht werden, zeigt jedoch keinen Erfolg.

Nach Auskultation der Halsgefäße mit unauffälligem Befund wird ein Carotissinusdruckversuch unternommen, der ebenfalls keinen frequenz-reduzierenden Effekt zeigt.

 

An in diesem Zusammenhang relevanten Kardiaka sind im Bestand des Notarzteinsatzfahrzeugs vorhanden:

-Metoprolol

-Verapamil

-Adenosin

-Gilurytmal

-Amiodaron

 

Die Patientin klagt weiterhin über stärkere Kopfschmerzen. Einen Herzrasen wird von der Patientin allerdings nicht empfunden. Sie gibt ein mäßiges thorakales Druckgefühl an.

 

Frage an das Forum:

Welche Therapie würden sie nun durchführen?

 

Achtung !

Der weitere Fallverlauf

Nachdem das Valsalva-Pressmanöver und der Carotissinusdruckversuch keinen frequenz-reduzierenden Effekt bei der Patientin gezeigt hatten,

wurde aus dem Bestand des Notarzteinsatzfahrzeugs Ajmalin (Gilurytmal)  zur Frequenzsenkung fraktioniert i.v. appliziert.

Nach Gabe von 50 mg Ajmalin ist folgendes EKG abzuleiten:

Die Frequenz sinkt kurzzeitig auf 165 Aktionen / Minute, bei Blutdruck von 150/90 mmHg und einer Sauerstoffsättigung von 98%.

Die Herzfrequenz steigt dann aber wieder auf 175 / Minute an.

Frage an das Forum:

Welche Therapie würden sie nun durchführen?

5 thoughts on “Fall des Monats Mai 2015 – Fortsetzung!

  1. VD: Regelmäßige Schmalkomplextachykardie

    Th: Adenosinversuch (falls kein Asthma bronchiale in der Anamnese) mit 9mg Adenosin schnell iv in eine stammnahe Vene über einen gut laufenden Zugang unter laufendem EKG-Ausdruck.

    Falls kein Erfolg, ggf. mit 12 oder 15mg wiederholen, falls dann kein Erfolg, bradykardisierende Medikation mit Metoprolol oder Verapamil.
     

  2. Adenosin (6mg, ggf. dann 12mg) bei schmalkomplexiger (Re-Entry?-)Tachykardie würde ich auch versuchen.

    Insgesamt irritierende Befundkombination, als Auslöser für Kopfschmerzen scheint mir ein Druck 160-170 syst. bei bek. Hypertonie nicht ausreichend. Vielleicht ein Analgetika-induzierter Kopfschnmerz bei langer Schmerzanamnese?

    Ob ich bei Misserfolg von Adenosin noch was anderes ausprobieren würde, weiß ich nicht genau, am ehesten Metoprolol, soweit kein Fieber (Sepsis mit Bedarfstachykardie??) vorhanden ist. Auf der anderen Seite liegen hier für mich keine eindeutigen Dekompensationszeichen vor, so dass man die Therapie und Diagnostik im Krankenhaus ("Expertenhilfe" lt. Algorithmus) weiterführen könnte.

  3. Verlauf: Trotz Ajmalin könnte man noch wie vorher beschrieben einen Adenosinversuch machen oder ggf. vorsichtig Metoprolol titrieren, cave: Nach Ajmalin KEIN Verapamil mehr. Allerdings kann man auch bei einer kreislaufstabilen Patientin in die Klinik fahren und Expertenrat suchen. Für einen elektrischen Rhythmisierungsversuch sehe ich hier keine akute Notwendigkeit.

  4. Die hohe R-Amplitude von über 3 mm in Abl. aVR spricht für eine Natriumkanalhemmung wie sie bei Überdosierungen von trizyklischen Antidepressiva, Diphenhydramin und Klasse Ia- und Ic-Antiarrhythmika auftritt. Cocain wird die Dame ja wohl nicht zu sich nehmen. Unter der Ia-Substanz Ajmalin nimmt die Amplitude im 2. EKG zu. Behandelt wird mit Na-Bikarbonat, das die Na-Konzentration erhöht und die Bindung der Substanzen an den Na-Kanal vermindert.

  5. Weiterer Verlauf des Mai-Falls 2015:

    Die Entscheidungen zum weiteren Therapieverlauf im Mai-Fall 2015 sind vom engagierten Diskussionsteilnehmer Sebastian bereits im Wesentlichen prognostiziert worden.

    Ich zitiere die zutreffenden Empfehlungen:

    „Man kann auch bei einer kreislaufstabilen Patientin in die Klinik fahren und Expertenrat suchen.

    Für einen elektrischen Rhythmisierungsversuch sehe ich hier keine akute Notwendigkeit.

    Trotz Ajmalin könnte man noch einen Adenosinversuch machen.“

     

    Die Patientin wurde mit weiterbestehender Tachykardie in 10 Minuten erreichbare Klinik mit kardiologischer Abteilung gefahren.

    Frequenz lag unverändert bei 160 – 170 Aktionen / Minute, Blutdruck bei 150/90 mmHg , Sauerstoffsättigung im Mittel 98%.

    Der Allgemeinzustand der Patientin war während des Transports zufriedenstellend.

     

    In der Klinik wurde dann nach erneuter Kontroll-Ableitung des 12-Kanal-EKG’s der Versuch einer Frequenzsenkung mit 9 mg Adenosin im Bolus unternommen und ( bei fehlendem Erfolg ) mit anschließender Dosiserhöhung auf einen 12 mg-Bolus fortgesetzt.

    Leider wieder ohne Erfolg.

    Aufgrund eines Folgeeinsatzes konnte der erstbehandelnde Notarzt den weiteren Verlauf  erst 2 Stunden später nochmals abfragen.

     

    Nun gibt es allerdings eine Abweichung von Sebastian’s Therapieempfehlung (Zitat : „Nach Ajmalin KEIN Verapamil mehr.“)

     

    Nach Angaben des diensthabenden Kardiologen hatte die i.v.-Gabe von „Verapamil“  die Tachykardie schließlich beendet.

     

    Bei unserer Diskussionsrunde fand ich neben der bekannterweise qualifizierten Fallanalyse von palmchord auch den Beitrag von P-H sehr interessant.

    Wir haben aber seit einiger Zeit leider kein Bikarbonat mehr auf unseren Fahrzeugen.

     

     

    Gerrit Müntefering
    Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert