Fall des Monats April 2015

Alarmierungsmeldung:

Fruchtwasserabgang in der 24. Schwangerschaftswoche

Nach Eintreffen des Notarztes und der RTW-Besatzung in der Wohnung ist der Ehemann der Schwangeren vor Ort und kann Auskunft geben. Es handelt sich um die zweite Schwangerschaft einer 25-jährigen Frau. Bei der ersten Schwangerschaft handelte es sich um eine Zwillingsschwangerschaft (2-eiige Fruchtanlage), wobei es „einen“ Abort gegeben hatte bei regelrechter Geburt und Entwicklung des zweiten Kindes.

Der Mutterpass der aktuellen Schwangerschaft ist am Vortag in der Wohnung der Schwiegereltern verblieben und aktuell nicht greifbar.

Der Ehemann der Schwangeren berichtet, dass seine Frau sich bereits 3 Tage vor dem aktuellen Ereignis in der Ambulanz einer Level 1- qualifizierten geburtshilflichen Krankenhausabteilung aufgrund von Unterbauchbeschwerden vorgestellt hätte. (Level 1 Perinatalzentrum = Abteilung für die Versorgung von Kindern mit höchstem Risiko : SSW < 29 + 0 Gewicht < 1250 g ) Aufgrund der Beschwerdesymptomatik habe der Krankenhaus-Gynäkologe dringend zu einer stationären Aufnahme geraten. Die Schwangere habe jedoch eine stationäre Aufnahme zu diesem Zeitpunkt nicht gewünscht und sei auf eigene Verantwortung wieder nach Hause gegangen.

Nun sei es vor ca. 30 Minuten zum Fruchtwasserabgang und auch gleichzeitigem Blutabgang aus dem Introitus gekommen.

Anschließend beginnende Wehentätigkeit, die mittlerweile in einer Frequenz von 1,5 Minuten einsetzen.

Blutdruck 120/80 mmHg, Herzfrequenz 100/min, Sauerstoffsättigung 96%.

Die untergelegten Handtücher zeigen einen leichten Blutabgang an.

Der Notarzt entscheidet sich zum sofortigen schnellen Transport in das oben angesprochene Level1-Perinatalzentrum. (geschätzte Fahrzeit 20 Minuten).

Die Schwangere wird unverzüglich mit dem Tragetuch aus der Wohnung in den RTW transportiert. Aufgrund des vaginalen Blutabgangs erfolgt die Rückenlagerung der Schwangeren in Fritsch-Position.

Zum Beginn der Abfahrt Voranmeldung des Transports am oben genannten Level 1 Perinatalzentrum mit Schilderung der Situation.

Während der Fahrt kann ein intravenöser Zugang gelegt werden. In Ermangelung anderer wehenhemmender Medikamente erfolgt die Gabe von Bronchospasmin  als Beta-2-Sympathomimetikum in verdünnter Lösung (1 Ampulle Bronchospasmin 0,09 mg in 100 ml Kochsalzlösung davon Gabe von 10 ml intravenös). Aufgrund von stärkeren Schmerzen fraktionierte Gabe von 5 mg Morphin.

Wehenfrequenz – nach wie vor – alle 1,5 Minuten.

Nach 10-minütiger Fahrt mit Sonderrechten (und somit Zeitspanne bis zum Erreichen des Perinatalzentrums in weiteren 10 Minuten) erfolgt ein Anruf der Rettungsleitstelle mit „Abmeldung“ der Klinik für die Versorgung dieses geburtshilflichen Notfalls. Aufgrund dieser nicht weiter erläuterten „Abweisung“ versucht der Notarzt sofort, mit dem diensthabenden Krankenhaus-Gynäkologen telefonisch Kontakt aufzunehmen.  Der Telefonversuch ist nicht erfolgreich, eine Telefon-Verbindung kann – trotz dringlicher Anforderung – nicht hergestellt werden.

 

Was würden Sie nun tun ?

3 thoughts on “Fall des Monats April 2015

  1. Also mir (als Neonatologe) ist kein Level-1 Zentrum bekannt, welches sich für diesen Fall abmeldet (falls ja dürfte sich der/die entsprechende KollegIN am nächsten Tag auf einen Termin in der Geschäftsführung gefasst machen…)

    Fachlich bleibt es immer die gleiche, ermüdende Diskussion um Abmeldung hin und her. Die zuständige Klinik ist zur Erstversorgung verpflichtet und wenn keine andere Klinik in akzeptabler Zeit (in diesem Fall unwahrscheinlich) anzufahren ist würde ich die Fahrt auf jeden Fall fortsetzen. Sowohl eine Geburt in dieser SSW im RTW als auch das Anfahren anderer Geburtskliniken löst das Problem mit dem Kind keineswegs.

  2. Es gibt Situationen, die dürfte es gar nicht geben, sehr ärgerlich…

    Dass auch Häuser der Maximalversorgung ausgelastet sein können, ist unbestritten. In diesem Fall liegt aber ein so spezielles Problem vor, dass es nur im angepeilten Haus gelöst werden kann (es sei denn, im Einsatzgebiet kann man sich vor lauter Level-1-Zentren nicht retten).

    Selbst wenn die Spezialklinik akut ausge-/überlastet ist, dürfte meiner Meinung nach die dort vorhandene Infrastruktur alle aktuellen Nachteile überwiegen, ich würde also definitv wie geplant unter Tokolyse weiterfahren.

    A propos Tokolyse: Ich hatte selbst erst einen Einsatz, in dem ich eine präklinische Tokolyse improvisieren musste. Dabei habe ich versucht, eine Schwangere Salbutamol-Dosieraerosol inhalieren zu lassen. ("Versucht", weil der einzige Dolmetscher nicht mitkommen konnte und meine schauspielerische Fähigkeiten zur Demostration des Inhalators offensichtlich unzureichend waren.) Über die notwendige Dosis war ich mir nicht ganz im Klaren. Mein Plan war, zunächst die üblichen 2 Hub wie zur Spasmolyse zu geben und dann nach Wirkung/Nebenwirkung weiter zu titrieren. Während der 30minütigen Fahrt aus der hintersten Eifelecke zum Zentrum habe ich auch versucht, telefonische Informationen vom diensthabenden Gynäkologen unseres Hauses einzuholen, das war aber leider nicht erfolgreich.

    Ich kenne also aus eigener Erfahrung das Problem mit der Tokolyse mit nicht primär hierfür gedachten Präparaten, trotzdem scheint mir hier eine 10tel Ampulle Bronchospasmin vom Gefühl her sehr wenig.

    Kennt hier jemand erprobte Dosierungen von iv-Bronchospasmin oder inhalativen Salbutamol zur Tokolyse?

  3. Weiterer Verlauf des April-Fall des Monats  2015 ( Mitgeteilter ) Fall aus zweiter Hand

     

    Bei Fruchtwasserabgang in der 24. Schwangerschaftswoche mit Wehenfrequenz alle 1½ Minuten entscheidet der Notarzt (bei Unmöglichkeit der telefonischen Klärung zur Abmeldung der Klinik ) das Level1-Perinatalzentrum , das in 10 Minuten erreichbar ist, dennoch zügig anzufahren.

    Bei Eintreffen in der Klinik ist der Eingang zum Fachbereich zunächst verschlossen. Nach 1-minütiger Wartezeit  kann aber durch Alarmschlagen die Türöffnung erreicht werden. Der Kreissaal des Level 1-Perinatalzentrums ist nicht arztbesetzt. Bei Eintreffen vor dem Kreißsaal und beim Umlagern tritt unter erheblichem Pressdrang die Geburt ein. Hier kann im Rahmen des Kopfdurchtritts eine Nabelschnurumschlingung um den Hals des Kindes erkannt werden.

    Durch den nun notfallmäßig hinzugezogenen diensthabenden Gynäkologen erfolgt der zügige Transfer der Schwangeren in den Operationssaal sowie die zeitgleiche Alarmierung der Neonatologischen Intensivabteilung.

     

    Die dann versuchten telefonischen Recherchen des erstversorgenden Rettungsteams am Folgetag zum Verlauf scheiterten an der Schweigepflicht.

     

    2 Tage nach diesem Ereignis ist jedoch die Todesanzeige des Kindes in der Zeitung zu lesen.

     

     

    Die hier beschriebene Fallsteuerung des Notarztes ist m.E. nachvollziehbar.und alternativlos.

     

     

    Zur Frage von Palmchord :  

     

    Kennt hier jemand erprobte Dosierungen von iv-Bronchospasmin oder inhalativen Salbutamol zur Tokolyse?

     

    Hier darf ich auf eine Literaturquelle aus dem Wikipedia-Beitrag zur „Tokolyse“  verweisen :

     

    Artikel von Eckehard Schleußner: Drohende Frühgeburt: Prävention, Diagnostik und Therapie. Im deutschen Ärzteblatt 2013;110(13):227–36:

     

    Eine formelle arzneimittelrechtige Zulassung zur Tokolyse besitzen in Deutschland und Österreich nur Fenoterol ( Partusisten ®) und Atosiban ( Tractocile ® )  (Stand: April 2013). Fenoterol wird in etwa 95 % der Geburtskliniken angewandt. Jedoch erscheint dieses aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen nicht mehr als Mittel der ersten Wahl, so dass andere off label-Präparate Anwendung finden.

     

    In einer bisher noch unveröffentlichten geburtshilflichen Notfall-Faltkarte (bzw. Word-Dokument für Notfall-Smartphone), die sich der Autor als Nicht-Gynäkologe zum Eigengebrauch in Zusammenarbeit mit 2 geburtshilflich sehr kompetenten Fachärztinnen selbst erstellt hat, wird zur Fenoterol-Dosierung zur Tokolyse Stellung genommen ( ohne Gewähr):

     

    Zitat:

     

    Medikamentöse  Wehenhemmung ( Tokolyse )

     

    Partusisten intrapartal 1 Ampulle à 1ml 25 µg  (Wirkstoff Fenoterol )

    Anwendung :

    1 Amp Partusisten intrapartal auf 5 ml aufziehen mit G 5 % oder NaCl 0,9 %  => Konzentration 5 µg / ml

    Intravenöse Gabe der gesamten Ampulle in Boli à 1 – 2 ml  ( 5 – 10 µg )  über 2 – 3 Minuten

    (d.h. ca. 2 ml bzw. 10 µg / Min )

    Ggfls. Anschließend 2. Ampulle in gleicher Weise

    Dosierung nach

    Wirkung ( Abnahme der Wehenfrequenz und Wehenstärke, Abnahme des Uterustonus )
    und Nebenwirkung ( Tachykardie )

    Anmerkung : Die Schwangere auf das Auftreten eines Herzrasens unter Medikamentengabe hinweisen.

     

    Partusisten-Perfusor

    1 Amp Partusisten à 0,5 mg ( = 500 µg ) mit NaCl 0,9% aufziehen auf 50 ml.

    =>  Perfusorkonzentration 500 µg / 50 ml = 10 µg / ml

     Perfusor-Laufrate 18 ml –   3ml / h

     entspricht           180 µg – 30 µg / h

    Perfusortherapie in der Regel mit der höchsten Dosis beginnen und dann nach Klinik ( Wirkung und Nebenwirkung s.o. ) reduzieren

    Maximale Dosis : 24 ml / h

    Cave : Kardiale Erkrankung der Mutter. Risiko des Lungenödems ( Bei Wehenhemmung und reichlicher Flüssigkeitsgabe )

    Anmerkung: Die Anwendung des Fenoterol-Dosieraerosols ( z.B. Berotec 100  2 Hübe alle 5 Minuten ) zur Tokolyse ist sehr umstritten, da diese Indikation nicht in den Herstellerangaben (Beipackzettel ) genannt wird (somit Off-Label-Use) und laut Fachinformationen die tokolytische Wirkung unwahrscheinlich ist.

     

    Zitat-Ende

     

     

    Dr. Gerrit Müntefering

    Arzt für Chirurgie /Unfallchirurgie/Notfallmedizin

    Lessingstraße 26

    47445 Moers

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