Fall des Monats Januar 2015

„Leichenschau“ – Diskussion

Alarmierungsmeldung am Freitag um 22:30 Uhr : „ Leblose Person “

Eintreffsituation:

Der RTW trifft 7 Minuten nach Alarmierung am Einsatzort ein. Das NEF 2 Minuten später. Ein ca. 50-jähriger erkennbar alkoholisierter Mann öffnet die Wohnungstür. Es wird eine unaufgeräumte Wohnung betreten. Der Türöffner deutet auf den Eingang zum Schlafzimmer und will sich unmittelbar anschließend zu einem anwesenden Bekannten im Wohnzimmer setzen.

Auffindesituation:
Eine 54-jährige Frau wird mit noch anliegender Sauerstoffbrille eines Sauerstoffkonzentrators im Schafzimmer in Bauchlage vorgefunden. Die Position der leblosen Frau wurde offensichtlich über ein längeres Zeitintervall nicht verändert. Anhaltspunkte für im Vorfeld eingeleitete Notfallmaßnahmen (durch Laien) finden sich nicht.

Primärdiagnostik: 
Der sofortige Basis-Check nach Freimachen der Atemwege in Rückenlage ergibt eine Apnoe und zentral fehlende Pulse. Pupillen weit und lichtstarr. EKG über AED-Elektroden zeigen eine Null-Linie.

Anschließend werden sichere Todeszeichen dokumentiert. Grau-blasse Hautfarbe mit blau-lividen Flecken im aufliegenden Abdominalbereich 

Nach Feststellung des Exitus letalis der 59-jährigen Frau erfolgt die ärztliche Leichenschau.. Keine äußeren Verletzungszeichen. Mund-Rachenraum wie die anderen Körperöffnungen unauffällig.

Im Schlafzimmer der verwahrlosten Wohnung werden mehrere (noch einsetzbare) Asthma-Dosieraerosole gefunden. Außerdem unter dem Nachtzimmerschränkchen mehrere Medikamentenschachteln mit Psychopharmaka ( Zopiclon, Insidon) ohne Inhalt. Die Tablettenblister dieser Medikamente sind allerdings nicht zu finden. Die Hausärztin der Toten ist telefonisch nicht erreichbar.
Aufgrund der genannten Auffindesituation erfolgt bei unklarer Todesursache die Verständigung von Polizei / Kriminalpolizei.

Angaben zur Anamnese:
Es erfolgt die Befragung des Türöffners, der am Wohnzimmertisch sitzt und mit seinem Bekannten spricht  Bei der Toten handelt sich um die 59-jährige Partnerin des Anrufers / Türöffners:

Nach Rückkehr von einem Umtrunk hat der Hausbewohner hat seine Lebensgefährtin im Schlafzimmer neben dem Gehwagen auf dem Bauch liegend aufgefunden. Bei fehlender Reaktion der Frau auf Ansprache und Außenreize habe er zunächst die ihm bekannte Handynummer des Hausarztes angerufen und bei Misserfolg dann die Rettungsleitstelle angerufen.

Die Frau leide an schwerem Bronchialasthma. Mit dem Herzen sei auch etwas nicht in Ordnung.

Das Asthma der 59-jährigen Frau sei im letzten Jahr häufiger akut verschlechtert gewesen. Sie sei mittlerweile fast 12 Stunden im Tagesverlauf auf die Nutzung des Sauerstoffkonzentrators angewiesen.

Der Mann verweist auf die Mappe eines hier tätigen ambulanten Pflegedienstes ( Häusliche Krankenpflege)

Diagnosenauflistung in der Mappe des Pflegedienstes Mappe:

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung, die kortison-pflichtig ist, dilatative Kardiomyopathie, Depression.

Nach Angaben des Lebensgefährten seien die depressiven Verstimmungszustände in den letzten 3 Wochen anhaltend und deutlich intensiver geworden, so dass die Hausärztin vor einigen Tagen eine psychiatrische Krankenhauseinweisung ausgestellt hätte. Die verordnete antidepressive Medikation habe trotz Dosiserhöhung bisher wenig Effekt gezeigt.
Die 59-jährige Frau habe sich jedoch gegen die stationär Behandlung in einer psychiatrischen Klinik gesträubt.

Am heutigen Freitag-Vormittag ist schriftlich von der Mitarbeiterin des amb. Pflegedienstes dokumentiert worden, dass die erst kürzlich gelieferten Antidepressiva nicht mehr auffindbar seien und dringlich nachbestellt werden müssten.

Weitere Verlauf nach Eintreffen der Kriminalbeamten:
Nach Darstellung der Auffindesituation durch den Notarzt entbrennt die bekannte Diskussion zum Thema „ Natürliche  / nicht natürliche Todesursache :

Die Kriminalbeamten verweisen auf die schwerwiegende kardiopulmonale Grunderkrankung der 59-jährigen Frau, die auch in der Pflegedienstdokumentation beschrieben ist. „Dieser Fall sei doch eindeutig, die Frau sei doch offensichtlich von der Lungenfunktion her am Ende gewesen.“
Der nochmalige telefonische Kontaktversuch der Kriminalbeamten mit der behandelnden Hausärztin sind erwartungsgemäß um mittlerweile 23 Uhr nicht erfolgreich. Die Stimmung wird zunehmend gereizt. „ Mit anderen Notärzten habe man bisher keine solchen Probleme erlebt. Eine Besprechung dieses Falls mit der ärztlichen Leiterin des Rettungsdienstes sollte erfolgen. “

 

Wie würden Sie entscheiden  / um-entscheiden ?

Welche Kriterien sind zu berücksichtigen ?

9 thoughts on “Fall des Monats Januar 2015

  1. Frohes neues Jahr lieben Kolleginnen und Kollegen!

    In den letzten 15 Jahren meiner Nonarzttätigkeit habe ich es noch nie erlebt das eine Obduktion seitens der Staatsanwaltschaft durchgeführt wurden! Und dies auch in kuriosen Fällen. Auch bei einem Suizid wird die Akte schnell zugemacht.

    Die Erfahrung im obigen Fall kann ich gut nachvollziehen. Nach vielen derartigen Diskussionen gehe ich heute dazu über nur noch in den seltesten Fällen Ungeklärt anzukreuzen.

    Gruß

    Jörg Kirschnick

  2. Klarer Fall: Unklar ob natürlicher /nicht natürlicher Tod. Die Antidepressiva fehlen, Hausarzt nicht erreichbar… Als Notarzt hätte ich auch die Polizei informiert. Diese kann dann ja immer noch entscheiden, ob sie eine Obduktion für erforderlich hält.  

  3. Bei den Äußerungen der Kriminalbeamten handelt es sich um eine nicht zulässige Beeinflussung, die rechtlich nicht zulässig ist. In einer solch unklaren Situation ist die vorgesetzte Dienststelle der Beamten zu informieren.

  4. Hallo,

    Keine Diskussion, die Todesursache bleibt ungeklärt und Kripo vor Ort.
    Gott sei Dank haben wir diese Probleme in Oberhausen nicht, da war es eine Ansage seitens des damaligen ÄLRD an den Pol-Chef über rechtliche Folen und Dienst ist Dienst und Augen auf bei der Berufswahl und so und seit dem arbeiten NÄ und Kripo gut und effektiv zusammen und keiner ist genervt über den anderen!!

  5. Trotz der Kenntnis der Realität der westfälischen Obduktionspraktiken und des bestehendem Wahrnehmungsbildes der Kriminalbeamten (kein ausreichender Anfangsverdacht für Fremdverschulden) ist von einem Suizid auszugehen. Hieraus resultiert die einzig mögliche Handlung: Leichenschau abschließen, unklare Todesursache angeben und die Kriminalpolizei ihre Arbeit verrichten lassen.

  6. Wenn die Polizei so einen Druck macht, werde ich immer ziemlich sauer. Klar kann der Tod natürlich sein mit der Anamnese aber was ist mit den nicht mehr auffindbaren Tabletten bei manifester Depression und mit den Leichenflecken in den AUFLIEGENDEN Körperpartien? Also muss die Frau sehr wohl bewegt worden sein zum einen und zum anderen ist ein Suizid nicht abwegig.

  7. Ich möchte gerne, bevor hier – vor allem bei der möglicherweise mitlesenden Öffentlichkeit – ein falscher Eindruck entsteht, vorausschicken, dass ich persönlich bislang nie derartige Probleme mit der Polizei gehabt habe. Sollte es in bestimmten Gebietskörperschaften regelmäßig zu Problemen kommen, wie einige der Kommentare das vermuten lassen, so ist eine grundsätzliche Klärung auf entsprechender Ebene zwingend notwendig.

    Insbesondere in der hier vorliegenden Konstellation ist ein Suizid durch die abhanden gekommenen Psychopharmaka sehr wahrscheinlich, die Gesamtkonstellation mit einem mindestens potenziell suchtkranken Partner und einer nachgewiesen psychisch vorerkrankten Patientin schließt auch anders geartetes Fremdverschulden keinesfalls aus. Also: Polizei auf jeden Fall! Abgesehen davon ist auf dem Leichenschauschein ja anzukreuzen, ob es Anhaltspunkte für äußere Einwirkungen gibt, die den Tod zur Folge hatten. Das Vorliegen von derartigen Anhaltspunkten würde ich hier ganz klar bejahen, da eben die Psychopharmaka fehlen und die Anamnese passt. Also deutlich mehr als "nein" + "Todesursache ungeklärt". Ob der Staatsanwalt das weiter verfolgt oder nicht ist dann ja letztendlich seine Verantwortung, aber der Leichenschauschein einzig und allein die des Arztes.

  8. Die Situation ist mitnichten geklärt, es ergeben sich Hinweise auf eine nicht natürliche Todesursache, somit wäre ein Kreuz "natürlich"  als ärztlicher Fehler zu werten. Wenn Polizeibeamten diese ärztliche Begutachtung nicht akzeptieren möchten und Einfluss nehmen möchten, so hilft meist die Frage nach der Kontaktaufnahme mit dem Vorgesetzten weiter.

  9. Weiterer Verlauf  des Januarfalls 2015:

     

    Trotz des Engagements der Kriminalbeamten, doch noch die ärztliche Attestierung einer natürlichen Todesursache für die 54-jährige Frau zu erreichen, bleibt es bei der Entscheidung des Notarztes, die Todesursache als „ungeklärt“ zu attestieren.

    Gründe:
    –  Auffälliges Verhalten des Lebensgefährten und dessen Bekannten
    –  Depression und mitgeteilte Indikationsstellung der Hausärztin zur stationär psychiatrischen Behandlung
    –  leere Tablettenblister von dosisabhängig kardiodepressiven Medikamenten

    –  Auffindesituation der Toten

     

    Eine telefonische Rücksprache des Notarztes mit der übergeordneten Polizeibehörde am nächsten Werktag zeigt den Vorgesetzten zum Verhalten der Kriminalbeamten merklich überrascht. Eine zeitnahe Rücksprache mit den hier involvierten Beamten wird zugesichert.
     

    Eine Woche später ist ein erneutes Telefonat des Notarztes (urlaubsbedingt) leider nur mit einem anderen, nicht fallkundigen Kriminalbeamten möglich. Dennoch kann in Erfahrung gebracht werden, dass eine Obduktion der Frau nicht eingeleitet worden ist.

     

    Also wieder ein Todesfall in NRW mit vielen Fragezeichen, der nicht abgeklärt wurde..

     

    Dr. Gerrit Müntefering
    Chirurgie / Unfallchirurgie / Notfallmedizin
    Lessingstr. 26
    47445 Moers

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